Impfstoffe: Wie Biontech & Co. die Regierung von einer Patentfreigabe abbrachten

Jetzt publik gewordene Lobbyschreiben und andere Dokumente legen nahe, dass die Pharmaindustrie die Bundesregierung bei Impfstoffpatenten auf Kurs brachte.

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(Bild: Shutterstock)

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Gut zwei Jahre dauerte der Kampf über den gewerblichen Rechtsschutz von Therapeutika, Impfstoffen und Tests bei Covid-19. Vertreter der alten und neuen Bundesregierung liebäugelten dabei anfangs mit einer Freigabe von Patenten, um den Kampf gegen die Seuche weltweit zu forcieren. Nun publik gewordene amtliche Dokumente zeigen, wie die Pharma-Lobby erfolgreich dagegen opponierte. Auch Biontech-Gründer Uğur Şahin legte sich dabei an höchster Stelle ins Zeug.

Der überraschende Kurswechsel lässt sich anhand von Unterlagen bei der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel nachvollziehen. Zu diesen Unterlagen gehören Lobbyschreiben von Konzernen und Verbänden, Ministervorlagen und Vermerke, die Ressorts der Regierung sowie das Bundeskanzleramt jetzt auf Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) des Portals Abgeordnetenwatch.de herausgaben. Nach den ersten Monaten der Corona-Pandemie bezeichnete die CDU-Politikerin einen künftigen Impfstoff gegen die rasch um sich greifende Infektionskrankheit noch als "globales öffentliches Gut". Doch wenige Wochen später erfolgte die Kehrtwende.

Als Merkel am 24. Juni im Bundestag zum Thema Impfpatente spricht, klingt sie laut den Recherchen der Transparenz-Plattform selbst wie eine Lobbyistin der Pharmaindustrie: "Eine politisch erwirkte Freigabe der Patente halte ich für den falschen Weg", betonte sie auf einmal. Die künftige Entwicklung von Impfstoffen sei nur dann gewährleistet, "wenn der Schutz des geistigen Eigentums nicht außer Kraft gesetzt wird".

Was war zwischenzeitlich geschehen? Am 6. Mai 2021 telefonierte Şahin mit Merkel, meldete der "Spiegel" am gleichen Tag. Das Thema Patentschutz stand dabei im Mittelpunkt, nachdem die frühe Ansage der damaligen Regierungschefin bei der Pharmaindustrie die Alarmglocken hatte schrillen lassen. Deutsche und internationalen Unternehmen wie Biontech forschten damals längst an Covid19-Impfstoffen und hofften auf riesige Gewinne. Doch sollten die Impfstoffhersteller gezwungen werden, ihre parallel beantragten Patente freizugeben, entgingen ihnen Milliardeneinnahmen.

Über den genauen Inhalt des Gesprächs zwischen Merkel und Şahin ist weiter nichts bekannt. Noch am selben Nachmittag erhielt das Kanzleramt aber eine E-Mail von dem Pharma-Chef aus Mainz, die Abgeordnetenwatch geschwärzt veröffentlicht hat. Şahin bedankt sich darin bei der "lieben Frau Merkel" herzlich "für Ihre Unterstützung". Dazu kommt eine Art Formulierungshilfe für die Zukunft: "Anbei der Text, den wir derzeit in unserer Kommunikation verwenden, mit den Argumenten, warum eine Freigabe von Patenten nicht sinnvoll ist."

Zuvor hatte sich im Februar 2021 und damit wenige Wochen nach der Zulassung des mRNA-Impfstoffs von Biontech/Pfizer ein Vertreter des US-Pharmakonzerns beim damaligen Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) gemeldet. In seinem Schreiben trug er dem Ressortleiter dem Bericht zufolge vor, dass Immaterialgüterrechte "ein entscheidender Bestandteil für das Entstehen von Innovationen" seien.

Schon vorher habe die Lobbyoffensive der Industrie ihren Lauf genommen, heißt es. Der Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa) appellierte im Januar vorigen Jahres in einem Brief an Altmaier, sich "im Sinne des Standorts Deutschland gegen die Abschaffung der geistigen Eigentumsrechte" einzusetzen. Die zuständige Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) konnte die an sie weitergeleiteten Bedenken "grundsätzlich nachvollziehen". Später soll sich etwa auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ähnlich eingebracht haben.

Auf internationaler Ebene versuchte die Bundesregierung so letztlich immer wieder, eine Freigabe einschlägiger Patente zu blockieren. Der Regierungswechsel änderte daran prinzipiell nichts, denn etwa auch der neue Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen vollzog unter dem Druck der Pharmalobby rasch eine Wende um 180 Grad. Am 26. Januar erklärte er vor der Presse zur Patentfreigabe: "Nachdem ich nochmal intensiv mit den Unternehmen gesprochen habe, bin ich der Meinung, dass uns das nicht helfen würde."

Bei einer Anhörung im Bundestag im Februar plädierten dagegen mehrere der geladenen Experten für die Losung "Öffentliches Geld, öffentliche Impfstoffe" und so für einen effektiveren Einsatz von Steuergeldern. Vor allem der mRNA-Impfstoff des US-Pharmakonzerns Moderna sei fast vollständig aus öffentlichen Mitteln der US-Regierung finanziert worden. Eine solche Förderung müsse an Bedingungen wie Transparenz, Bezahlbarkeit und globalen Technologietransfer geknüpft werden.

Auch deutsche Forscher appellierten laut dem Dokumentenpool an die Bundesregierung, sich zumindest für eine vorübergehende Aussetzung der Patente starkzumachen. Erst im Juni einigten sich die 164 Mitgliedsstaaten der Welthandelsorganisation WTO schließlich auf einen Kompromiss: Ausgewiesene Entwicklungsländer dürften demnach Zwangslizenzen einführen beziehungsweise beibehalten und Impfstoff in Eigenregie herstellen.

Bei dem Austausch zwischen Big Pharma und Bundesregierung ging es laut dem Bericht nicht allein um den gewerblichen Rechtsschutz. Die erhaltenen Papiere legen nahe, dass Biontech und Pfizer wohl auch der Bundesregierung behilflich waren, die Herausforderung mangelnder Computer-Chips insbesondere für die Autoindustrie anzugehen. Dabei soll es sich gut getroffen haben, dass das große Halbleiter-Fertigungsland Taiwan in jenen Monaten Covid19-Impfstoff benötigte. Eine Mail von Pfizer an Altmaier enthielt die Zusage, "dieses komplexe Problem" rasch zu lösen. Der US-Konzern lieferte im September 2021 so Impfdosen im Wert von 350 Millionen US-Dollar an den Inselstaat. Über die Höhe der potenziellen Chips-Gegenleistung ist nichts bekannt.

(tiw)