Kritik vom Bundesrat: EU-Kommission verteidigt Chatkontrolle als Ultima Ratio

Die von ihr vorgeschlagene Überwachung privater verschlüsselter Nachrichten erfolge nur, wenn sie "mit bestehender Technologie" möglich sei, so die Kommission.

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Kind sitzt vor Fernseher

(Bild: Aaron Escobar CC BY 2.0)

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Die EU-Kommission sieht sich bei ihrem heftig umstrittenen Verordnungsentwurf zur Online-Überwachung weitgehend auf einer Linie mit dem Bundesrat. Wie die Länderkammer messe man "der Meinungs-, Kommunikations- und Medienfreiheit eine fundamentale Bedeutung bei", heißt es in einer Stellungnahme der EU-Kommission zu der Eingabe des Bundesrats. Sie teile auch die Position, "wonach zu gewährleisten ist, dass Eingriffe in diese Rechte so gering wie möglich zu halten" seien. Alle Maßnahmen müssten "unbedingt erforderlich und verhältnismäßig" sein.

Mit dem umkämpften Vorhaben sollen auch Anbieter durchgängig verschlüsselter Messaging- und anderer Kommunikationsdienste wie WhatsApp, Apple, Signal und Threema über behördliche Anordnungen dazu verpflichtet werden können, Fotos und Videos von Kindesmissbrauch in den Nachrichten ihrer Nutzer ausfindig zu machen. Der Bundesrat brachte gegen diese Initiative, private Kommunikation nach auffälligen Mustern und möglicherweise über das Aushebeln von Verschlüsselung zu durchsuchen, im September "schwerwiegende grundrechtliche Bedenken" vor.

Die Kommission verweist dagegen auf "eine Reihe von Schutzmaßnahmen". So sei eine Chatkontrolle alias "Aufdeckung" als "Mittel letzter Wahl" vorgesehen (Ultima Ratio). Sollte eine entsprechende Anordnung erforderlich sein, trage der Vorschlag der "Notwendigkeit Rechnung, für Ausgewogenheit zwischen allen betroffenen Grundrechten zu sorgen". Letztlich entscheide das die zuständige Koordinierungsbehörde – unter Berücksichtigung eines entworfenen "Durchführungsplans" des betroffenen Betreibers, der Stellungnahmen der Datenschutzbehörde und des geplanten speziellen EU-Zentrums. Dann könne eine Aufdeckungsanforderung beantragt werden. Abgewogen werden müsse, ob die Auflage zielgerichtet und eine wirksame Chatkontrolle "in dem bestimmten Dienst mit bestehender Technologie ohne unverhältnismäßige Eingriffe in die Privatsphäre der elektronischen Kommunikation möglich ist".

"Die Aufdeckung ist unter ausschließlicher Verwendung der vom EU-Zentrum bereitgestellten Indikatoren durchzuführen", heißt es in dem Schreiben, das die federführende Innenkommissarin Ylva Johansson sowie der für interinstitutionelle Beziehungen zuständige Kommissionsvizepräsident Maroš Šefčovič unterzeichnet haben. Damit werde gewährleistet, dass der sexuelle Missbrauch von Kindern im Internet nach dem Prinzip "Treffer/kein Treffer" aufgedeckt werde. Die auf den Dienst angewandte Erkennungstechnologie könnte so die Nachrichten weder "verstehen" noch "sonstige Kenntnisse oder Informationen sammeln". Sie stelle nur fest, "dass die aufgedeckten Inhalte mit den Indikatoren übereinstimmen".

Der Entwurf dürfte so keine "abschreckende Wirkung" auf die Medienfreiheit haben oder die Sicherheit der Kommunikation zwischen Journalisten und Informanten und ihren Recherchetätigkeiten in irgendeiner Weise beeinträchtigen, meint die Kommission. Nationale Vorschriften wie die Option, eine Aussage zu verweigern und das Verbot der Verwendung von Beweismitteln blieben in allen Bereichen – auch im investigativen Journalismus – unberührt.

Wie der Bundesrat sei man der Auffassung, "dass Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs umgehend zu entfernen sind". Dafür bestehende Verfahren blieben unberührt. Eine generelle Löschpflicht könnte dagegen etwa "in laufende Ermittlungen eingreifen" und sei daher nicht erstrebenswert. Die Bundesregierung hat seit Langem das Prinzip "Löschen statt Sperren" verankert. Die Kommission drängt trotzdem parallel erneut auf Websperren, die als Zensurinstrument gelten.

(mack)