Mainframe-Ausbildung: Glänzende Berufsaussichten, fehlt jedoch im Studium meist

An vielen Hochschulen spielt der Mainframe keine Rolle mehr, trotz seiner Bedeutung in der Wirtschaft. Professor Brune ändert das.

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Von
  • Berthold Wesseler
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An vielen Hochschulen und in den meisten IT-Studiengängen ist für den Mainframe kein Platz. Dabei ist der Bedarf groß – und das Interesse seitens der Studenten durchaus vorhanden, wie Professor Dr. Philipp Brune der Hochschule Neu-Ulm im Interview erklärt. Doch sein Engagement trägt Früchte, auch über die eigene Institution hinaus.

Die Mainframe-Interviews, Folge 6: Mainframe an der Hochschule

Professor Dr. Philipp Brune ist seit März 2008 Professor für Wirtschaftsinformatik (Lehrgebiet Anwendungsentwicklung) an der Hochschule Neu-Ulm. Schon seit Beginn seiner Studienzeit beschäftigt er sich mit Mainframes, Linux und Open-Source-Software. Nach dem Studium der Physik mit Nebenfach Informatik und der Promotion in theoretischer Physik (mit Schwerpunkt High-Performance-Computing) arbeitete er viele Jahre als Anwendungsentwickler, Team- und Projektleiter sowie Senior Consultant für Enterprise-Anwendungen in der Finanz- und Automobilindustrie bei der HypoVereinsbank und SoftLab in München. Heute sind seine Arbeitsschwerpunkte Software-Entwicklungsmethoden und -werkzeuge für Web- und Unternehmensanwendungen, IT- und Anwendungsarchitekturen und -Management sowie der professionelle Einsatz von Linux und Open-Source-Software, insbesondere auch im Mainframe-Umfeld.

Herr Professor Brune, der Mainframe scheint in der akademischen Ausbildung – anders als in Wirtschaft und Verwaltung – gar keine Rolle zu spielen. Warum ist das so?

In den 80er und 90er Jahren ist der Mainframe allgemein totgesagt worden. Die heutige Generation der Hochschullehrer, aber auch der Entscheider in den Unternehmen ist in dieser Zeit akademisch sozialisiert worden – und hat von Mainframes kaum etwas mitbekommen, beziehungsweise nur, dass diese nicht mehr gebraucht werden oder veraltet seien.

Hinzu kommt, dass insbesondere an Universitäten das akademische Personal meist kaum Praxiserfahrung in der Wirtschaft hat. Bei uns an den Hochschulen ist das zum Glück anders, aber auch hier haben die meisten Kollegen natürlich andere berufliche Hintergründe. Daher ist das Thema in den letzten Jahrzehnten aus der Forschung und damit auch aus Lehre verschwunden. Selbst in Lehrbüchern findet man heute wenig dazu.

Sie persönlich haben es sich zur Aufgabe gemacht, das Thema Mainframe in die Hörsäle zu tragen. Warum?

Zum einen, weil moderne Mainframes technisch faszinierende High-End-Server sind, auf denen Konzepte und Technologien verfügbar sind, die es so auf anderen Plattformen (noch) nicht gibt. Ich meine zum Beispiel die komplette Verschlüsselung aller Daten in Hardware, das mächtige Input/Output-Subsystem oder die unterbrechungsfreie Garbage Collection für Java. Auch die viel bessere Energieeffizienz im Vergleich zu Hyperscalern und die Möglichkeiten für Green IT der Mainframe-Hardware sind solche Beispiele. Ich denke, es ist wichtig, dass Studierende der Informatik auch verstehen, dass horizontal skalierende Cloud-Plattformen nicht die einzige Architektur sind, mit der man zum Beispiel AI oder Blockchain machen kann, sondern dass es verschiedene Ansätze gibt, die je nach Problemstellung zu bewerten sind.

Zum Zweiten gibt es hier einen extremen Bedarf der Wirtschaft an Fachkräften, die dringend benötigt werden, um die Mainframe-Bestandssysteme zu modernisieren. Dies ist essenziell für die digitale Transformation der Unternehmen, aber auch, um den zuverlässigen Weiterbetrieb der oft kritischen IT-Anwendungen zu ermöglichen, auf denen ja letztlich unsere Wirtschaft und die öffentliche Verwaltung und damit die ganze Gesellschaft aufbaut.

Mainframes sind ja auch eine kritische Infrastruktur. Somit ist das auch eine gesellschaftliche Herausforderung insgesamt, auch wenn das viel zu wenige Entscheider bei uns wahrhaben wollen oder zu verstehen scheinen. In den USA gibt es übrigens sogar politische Initiativen von Senatoren, die eine gezielte Förderung der Mainframe-Ausbildung fordern.

Welche Unterstützung erhalten Sie von den einschlägigen Hardware- und Software-Herstellern beziehungsweise IT-Dienstleistern und Beratern? Und was wäre ideal?

Wir haben für diesen Zweck ja das Academic Mainframe Consortium als gemeinnützigen Verein gegründet, der das Thema an Hochschulen gezielt fördert. Beim AMC bin ich Gründungsmitglied. Darin sind sowohl Hochschulen als auch viele einschlägige Firmen sowohl auf der Anbieter- als auch der Anwenderseite Mitglied und kooperieren mit den Hochschulen. Das ist ein großer Erfolg für das Thema und eine tolle Plattform. Hier würde ich mir nur noch mehr Mitgliedschaften auch von großen Mainframe-Anwenderunternehmen wünschen, vor allem aus dem Finanzsektor, die ja die Hauptnutznießer wären. Hier sind wir aber dran.

Wie fällt die Resonanz der Studenten auf Ihre doch eher exotischen Lehrveranstaltungen aus? Und wie passen diese Veranstaltungen in das Curriculum klassischer Studiengänge wie Informatik oder Wirtschaftsinformatik?

Wir bieten das Thema als Wahlpflichtmodule im Masterstudium Informatik, Wirtschaftsinformatik oder verwandten Fächern an, als Vertiefungsfach im Bereich angewandte Informatik. Die Resonanz ist eigentlich immer sehr gut. Denen, die es machen, gefällt es sehr gut und die erzählen es auch weiter. Einige gehen dann auch beruflich in diese Richtung.

Welche Anreize können Sie setzen, damit Ihre Studienangebote mit Mainframe-Inhalten auch tatsächlich genutzt werden?

Die werden ja genutzt, das ist schon ok! Ich denke, es spricht sich auch herum, dass die Vorlesungen interessant sind. Darüber hinaus kann man in Gastvorträgen in anderen Veranstaltungen sicherlich Interesse wecken und auf die Vorlesungen hinweisen. Das machen wir schon, aber da wollen wir noch mehr machen. Das ist auch eine gute Möglichkeit, weitere Hochschulen mit ins Boot zu nehmen.

Ist der beklagte Fachkräftemangel im Mainframe-Umfeld ein Anreiz? Falls nein: Warum nicht?

Eher nicht, da in allen Bereichen der IT ja ein Fachkräftemangel herrscht und die Berufsaussichten ja generell glänzend sind, egal in welchem Themenfeld. Die meisten Absolventen haben ja schon vor dem Abschluss einen Job, oft über langjährige Tätigkeiten als Werkstudierende. Da muss man früher ansetzen, eben zum Beispiel mit Vorlesungen und Seminaren, so wie wir sie machen.

Wie schätzen Sie die Entwicklung im Arbeitsmarkt für Mainframe-Experten ein?

Diese ist sicher sehr gut – vor allem für diejenigen, die sowohl klassische Technologien wie COBOL als auch moderne Software-Entwicklung mit Java und Python beherrschen. Ich sehe auch, dass der Arbeitsmarkt hier zunehmend enger und somit die Gehälter und Perspektiven aus Absolventensicht immer besser werden.

Der moderne Mainframe gleicht sich ja auch immer mehr an andere Plattformen an. Deshalb ist das auch keine Nische oder Sackgasse, weil man da ja auch aktuelle Themen wie KI oder Blockchain machen kann. Ich sehe den Mainframe heute als Teil einer effektiven Hybrid-Cloud -Strategie.

Wie wichtig ist eine Kenntnis zumindest von Mainframe-Basics für Studenten, auch wenn sie ihre Zukunft in ganz anderen Bereichen wie KI oder Cloud Computing sehen?

Wie schon gesagt, denke ich, dass jeder Informatik-Absolvent zumindest mal davon gehört haben sollte: Zum einen, um den Überblick zu haben und die Relevanz einschätzen zu können, zum anderen, weil IBM die Systeme ja inzwischen mit LinuxONE auch als High-End-Linux-Server oder Cloud-Services auch für neue Kundenbereiche wie Fintechs positioniert. Von daher ist das Thema auch für Studierende mit einem anderen Fokus nützlich. Ein bekanntes Beispiel hier ist ja das Start-up Plastic Bank. Mit so einer Story kann man dann über das Thema Nachhaltigkeit auch noch ganz andere Zielgruppen erreichen.

Was könnten die Hochschulen tun, um die IT-Ausbildung rund um Großrechner zu verbessern – und was tun sie heute wirklich?

In den letzten Jahren hat sich da schon viel bewegt! Es gibt immer mehr Hochschulen, an denen es Wahlpflichtmodule zu dem Thema gibt, so an den Universitäten Frankfurt, Tübingen, Leipzig, Magdeburg oder Erlangen – und an vielen Fachhochschulen ebenfalls.

Darüber hinaus haben wir zumindest für Bayern inzwischen auch entsprechende Online-Kurse über die virtuelle Hochschule Bayern geschaffen, die allen Studierenden jeder bayerischen Hochschule und Universität als Wahlpflichtfächer offen stehen. Damit kann man das Thema natürlich noch viel besser in die Fläche bringen. Zusätzlich sind Gastvorträge oder Ringvorlesungen ein Angebot, um Studierende für das Thema zu interessieren. Das machen wir auch in Erlangen. Es gibt natürlich noch viel zu tun, aber wir als AMC sind dabei, weitere Hochschulen ins Boot zu holen.

Inwieweit könnte es helfen, wenn sich die Hochschulen selbst einen Großrechner anschaffen? Wie ließe sich das finanzieren?

Ich denke, dedizierte Hardware an Hochschulen macht durchaus Sinn, weil man dann die Maschine auch mal zeigen kann und wirklich Forschung damit machen kann. Allerdings ist so ein Mainframe ja ein komplexes System und man braucht schon Know-how und Aufwand, um ihn dauerhaft zu betreiben. Von daher lohnt sich das nicht für jede Hochschule – und würde auch keinen Sinn machen.

Aber wir haben an mehreren Universitäten eigene Systeme in Betrieb, auch als Anschauungsobjekte. Dies dort, wo es einen größeren Bedarf gibt, quasi als Leuchttürme. Aktuell sind dies die Universitäten Frankfurt, Tübingen und Leipzig. Dort stehen gebrauchte Maschinen, die in der Wirtschaft ausgemustert wurden. Diese sowie die zugehörigen Plattensysteme sind uns von Firmenmitgliedern des AMC, nämlich T-Systems, Atruvia und Datev, dankenswerterweise gespendet worden. Über die Mitgliedsbeiträge wird dann auch der Betrieb finanziert. Aber man kann auf diesen Systemen problemlos auch weitere Hochschulen mit laufen lassen, denn es macht sicherlich keinen Sinn, dass jede Hochschule einen eigenen Mainframe hat.

Herr Professor Brune, vielen Dank für das Interview! IBMs Business-Sicht auf den Mainframe widmete sich die erste Folge der Mainframe-Interviews, weitere Einblicke gibt es zur Anwendungsmodernisierung und zur Qual der Wahl bei der Ablösung der Technik. (fo)