Massive Überwachung: Finnisches Parlament lehnt Chatkontrolle ab

Die in der EU geplante Messenger-Überwachung gefährde die Verschlüsselung, monieren finnische Abgeordnete. Im EU-Rat wird die Luft immer dünner.

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(Bild: oatawa/Shutterstock.com)

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Das finnische Parlament hat Ende voriger Woche für eine Resolution gestimmt, wonach der umkämpfte Entwurf der EU-Kommission für eine Verordnung zur Online-Überwachung unter dem Aufhänger des Kampfs gegen sexuellen Kindesmissbrauch in seiner derzeitigen Form nicht angenommen werden sollte. Die Regierung des EU-Landes soll vielmehr aktiv weiter daran arbeiten, den Vorschlag so abzuändern und zu präzisieren, "um den Anforderungen der Grund- und Menschenrechte gerecht zu werden". Die Anweisung ist für die Exekutive verbindlich. Damit wird es für die Kommission und andere Befürworter der Initiative immer schwieriger, im EU-Ministerrat die erforderliche Mehrheit für eine gemeinsame Position der Mitgliedsstaaten zu organisieren.

Die Entschließung des Parlaments in Helsinki beruht auf Anhörungen diverser Experten etwa aus den Ministerien für Inneres, Justiz und Kommunikation sowie der Datenschutzbehörde und zivilgesellschaftlicher Organisationen. Auch Eingaben mehrerer parlamentarischer Gremien flossen ein. So mahnte etwa der Verfassungsrechtsausschuss an, dass Eingriffe in die Vertraulichkeit elektronischer Nachrichten "möglichst gezielt und begrenzt erfolgen müssen". Er beklagte, dass der Verordnungsentwurf den Schwerpunkt auf den Inhalt der Kommunikation lege und Mindestkriterien für den Einsatz technischer Instrumente auf Basis der vorgesehenen Aufdeckungsanordnungen zur Chatkontrolle unklar lasse. Der Vorschlag berge zudem große Rechtsunsicherheiten etwa rund um die Zielgerichtetheit der Mittel, wie sie die Auslegungspraxis EU-Grundrechtecharta erfordere.

"In der digitalen Welt ist die Verschlüsselung der Kommunikation von zentraler Bedeutung", heben die Abgeordneten hervor. Sie gewährleiste die Sicherheit digitale Systeme und den Schutz der Privatsphäre. Der Staatsrat wies zuvor darauf hin, dass die vorgeschlagenen Beschränkungen starker Verschlüsselung der elektronischen Kommunikation diese Aspekte nicht gefährden dürften. Dazu seien mehr Informationen über die technischen und organisatorischen Mittel zum Aufdecken von Inhalten nötig. Alle Werkzeuge müssten handhabbar und wirksam sein, die Vorgaben insgesamt möglichst technologieneutral sein. Grundsätzlich sollten Anbieter von Speicherdiensten oder Kommunikationsdiensten im Internet nicht dazu verpflichtet werden, die Rechtmäßigkeit von Inhalten generell zu überwachen. Die Befugnisse nationaler Behörden dürften nicht tangiert werden. Alle Pflichten für die Provider müssten klar und genau definiert sein.

Die Volksvertreter geben auch zu bedenken, dass die im Entwurf vorgesehene Anforderung, die Identität aller Nutzer zur Kontrolle von Altersgrenzen zu überprüfen, etwa Dissidenten, Menschenrechtsaktivisten, verfolgte Minderheiten und Whistleblower gefährden würde. Solche exponierten Personen seien in vielen Fällen aus Sicherheitsgründen auf eine anonyme Nutzung des Internets angewiesen. Die finnische Regierung selbst hatte Teile des Vorhabens zuvor vorläufig als gerechtfertigt eingeschätzt. Der Kommission dürfte aber nicht zu viel Freiraum bei künftigen nachgeordneten Rechtsakten eingeräumt werden, um die Kosten und die Risikoabschätzung der gesamten Initiative nicht nachträglich aus den Augen zu verlieren.

Bislang erklärten im Rat unter anderem Deutschland, Polen, Schweden und Österreich, dem gegenwärtigen Text nicht zustimmen zu können. Auch die Niederlande sehen die Chatkontrolle sehr kritisch. Nun kommt Finnland dazu. Prinzipiell können schon vier Mitgliedsstaaten mit zusammen mindestens 35 Prozent der EU-Bevölkerung eine sogenannte Sperrminorität bilden und die Annahme eines Dossiers verhindern. Angesichts der mangelnden Unterstützung schlug die spanische Ratspräsidentschaft jüngst vor, die Aufdeckungsanordnungen auf bekannte Missbrauchsdarstellungen zu beschränken. Sobald feststeht, "dass die Erkennungstechnologien ausreichend zuverlässig und genau sind", sollen die Bestimmungen aber auch präventiv für neues Material und Grooming gelten. Die Kommission könnte dies dann einfach per delegiertem Rechtsakt vorgeben.

(olb)