CES

Mit der VR-Brille im fahrenden Auto: Holoride angespielt

Holoride verspricht immersive VR-Erlebnisse im fahrenden Auto, ohne dass dem VR-Brillen-Träger dabei schlecht werden soll. Wir haben es ausprobiert.

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Junger Mann und junge Frau mit VR-Brillen auf der Rückbank eines PKW

(Bild: Holoride)

Lesezeit: 7 Min.
Inhaltsverzeichnis

Lange Autofahrten auf der Rückbank sind meist wenig spektakulär, insbesondere für den Nachwuchs. Die deutsche Audi-Ausgründung Holoride möchte das ändern; sie hat ein System entwickelt, mit dem man sogar während der Fahrt in VR-Welten eintauchen kann. Das wirkt zunächst skurril, schließlich wird nicht wenigen Nutzer schon im Sitzen oder Stehen flau, wenn sie eine VR-Brille aufhaben. Kommt dann noch die Bewegung des Autos hinzu, klingt das erstmal nach einem baldigen Anlass für eine Innenraumreinigung.

Doch Holoride verspricht nichts weniger als das Ausbleiben von Motion Sickness bei der Benutzung des Systems. Dafür werden die Bewegungen des Autos und sogar die Umgebung ins jeweilige Spiel oder die Anwendung integriert. Zur CES in Las Vegas konnten wir das fertige System während einer Probefahrt am eigenen Leib testen. Da der Autor eher früher als später zu flauem VR-Magen neigt, musste er als Versuchskaninchen herhalten. Um es vorwegzunehmen: Holoride hat nicht zu viel versprochen und selbst als eher empfindlicherer Nutzer löste zumindest die kurze Runde durch Las Vegas keine Übelkeit aus.

Sobald sich das Fahrzeug in Bewegung setzte, tut es auch die Umgebung im Spiel. Egal ob Bremsmanöver oder schnelle Kurvenfahrten, die Software reagiert optisch darauf. Das passiert zwar meist im Hintergrund des eigentlichen Geschehens, doch das reicht schon, um der Übelkeit vorzubeugen. Anders als bei herkömmlicher Virtual Reality sind echte G-Kräfte im Spiel, wenn sich virtuell etwas bewegt, was hie und da für mehr Realismus sorgt. Mangels abgesperrter Rennstrecke und angesichts der Ampelphasen in Las Vegas ließ sich dieses Potenzial aber nicht ausreizen.

Was für einen Unterschied die Anpassungen machten, war bei einem kurzen Ladebildschirm zu spüren, der die Bewegung nicht kompensierte: Sofort reagierte der Körper mit einer gewissen Desorientierung. Der Hersteller spricht von bis zu 120 Millisekunden Latenz bei der Umsetzung der Sensordaten, was zunächst eher viel wirkt im VR-Kontext. Anders als bei Kopfbewegungen soll das aber ausreichen, um dem Körper Normalität vorzugaukeln.

Wie bei anderen VR-Umgebungen, steht generell der eigentliche Inhalt im zentralen Blickfeld. Holoride bietet aber nicht nur im peripheren Sichtfeld einige Spielereien. So soll ein Abgleich mit Open-Street-Map-Daten dafür sorgen, dass die virtuelle Landschaft an die tatsächliche Umgebung angepasst wird. Im Zusammenspiel mit Navigationsdaten sollen die Spielewelten im Voraus möglichst passend zur Fahrt zusammengebaut werden. Auch Fehler wie das Durchfahren von Gegenständen sollen so verhindert werden. Wie weit sich das Konzept treiben lässt, und ob es zum Beispiel virtuelle Stadtrundfahrten ermöglicht, bleibt abzuwarten.

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Im Vorzeige-Titel Pixel Ripped 1995: On the Road, einem für Holoride angepassten Spinoff der gleichnamigen Spieleserie für VR-Brillen, waren ein paar der Möglichkeiten schon gut zu sehen. Während man im Spiel ebenfalls im Auto saß, zog draußen die virtuelle Landschaft vorbei. Ein virtuelles Vegas war das nicht, passte aber zum Stil des Spiels. Auch das eigentliche Spiel reagierte auf Kurvenfahrten und sorgte so für Abwechslung beim Hüpfen und Laufen. Später im Spiel sitzt man auch mal überraschend auf dem Autodach, ohne dass einem das losgelöst vom eigenen Körperempfinden vorkäme.

Neben diversen anderen Spielen gibt es zum Beispiel eine Integration des Smartphones, dessen Bildschirm sich für YouTube oder Netflix auch ordentlich vergrößern lässt. Holoride meint sogar, dass sich die klassische Reiseübelkeit durch den Blick ins virtuelle Smartphone verhindern lässt. Die generische VR-Landschaft im Hintergrund erfüllte ihren Zweck allemal.

Spiele und Software müssen für Holoride speziell angepasst werden, damit die Bewegungskompensierung funktioniert. Das nötige SDK für Holoride steht dabei allen interessierten Entwicklern zur Verfügung. Im Gespräch mit den Pixel-Ripped-Machern von Arvore betonten diese gegenüber heise online, dass die Integration der Bewegungsdaten der einfachste Teil bei der Entwicklung war. Holoride selbst bemüht sich, weitere etablierte Spieleverleger zu überzeugen, sodass mit weiteren bekannten Franchises im Portfolio zu rechnen ist.

Holoride gibt es derzeit in zwei Varianten: Als allgemeine Nachrüstlösung für die Windschutzscheibe sowie vollständig integriert ins Auto. Letzteres gibt es derzeit nur bei Fahrzeugen von Audi, die seit dem zweiten Halbjahr 2022 verkauft wurden. Dort ist eine sogenannte Conbox verbaut.

Bei beiden Varianten werden Beschleunigungswerte und über GPS gewonnene Positionsdaten verschlüsselt an das per Bluetooth angebundene VR-Headset gesendet. Angepasste Software baut dann diese Informationen in die virtuelle Umgebung ein, sodass sie bei Kurvenfahrten, Anfahren und Anhalten entsprechend reagiert.

Das Nachrüstset gibt es mit Sender, in dem der Gyrosender und GPS-Empfänger steckt, Brille und Controller für 900 Euro für jedes Auto.

(Bild: Holoride)

Bei der integrierten Lösung kommen noch weitere Informationen hinzu, etwa Daten zu Lenkbewegungen und Bremsmanövern, sowie Navigationsdaten. Um Zugriff auf sensible Fahrzeugdaten abzusichern, muss einmalig über die MyAudi-App eine Verbindung hergestellt werden. Andere Hersteller sollen Holoride ebenfalls in ihre Autos integrieren können, konkrete Partnerschaften gibt es aber noch nicht. Wir haben unsere Testfahrt mit einem entsprechend ausgestatteten Audi unternommen, wobei laut Holoride das Erlebnis bei beiden Lösungen quasi ident sein soll.

Als VR-Brille kommt derzeit die HTC Vive Flow zum Einsatz, die mit 200 Gramm vergleichsweise leicht ist, da sie nur einen winzigen Pufferakku hat. Wahlweise kann sie direkt über einen USB-C-Anschluss im Auto oder aber über einen externen Akku versorgt werden. Auch wenn das Headset ansonsten autark ist und kein externer Rechner benötigt wird, bleibt also zumindest noch ein Kabel während der Verwendung übrig. Wirklich störend war das nicht.

Die VR-Brille selbst erlaubt Kurzsichtigen einfach per Drehrad die benötigten Dioptrien anzupassen, notfalls passt aber auch eine nicht zu große optische Brille unter das Headset. Die Bedienung erfolgt über einen mitgelieferten Controller und gibt keine Rätsel auf. Sehr erfreulich: Das Headset kann auch abseits von Holoride verwendet werden und Zuhause als Spielgerät dienen.

Die Bandbreite von Bluetooth Low Energy reicht als Verbindung zum Headset aus, es werden nur Sensordaten übertragen. Das Spiel läuft direkt auf der jeweiligen Brille.

Geplant ist Unterstützung für weitere Headsets; Holoride will das Ökosystem oder "Motorverse" möglichst offen gestalten. Vorerst ist das HTC-Modell die einzige Option.

Derzeit gibt es rund zehn Spiele für Holoride, wobei jeden Monat weitere Titel hinzukommen sollen. Für die Nutzung muss ein Abo abgeschlossen werden, das im Jahresabo derzeit knapp 15 Euro im Monat kostet, bei monatlicher Kündbarkeit sind 20 Euro fällig. Wer das Paket mit Brille kauft, bekommt das erste Jahr des Abos kostenlos dazu. Zum Nachrüsten kostet das Paket mit Brille, Sender und Controller 900 Euro, ohne Sender für die vorgerüsteten Audis 700 Euro. (asp)