Österreichisches Urteil: Privatkopie-Abgabe ist auch ohne Privatkopie fällig

Österreichische Verbraucher müssen auch dann Urheberrechtsabgaben zahlen, wenn sie auf einem Datenträger gar keine Privatkopien speichern. Mit diesem Urteil stellt sich das höchste Zivilgericht des Landes bewusst gegen den deutschen Bundesgerichtshof.

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Graffiti "paste copy paste copy"

Das überraschende Urteil ist rechtskräftig und kostet Amazon Millionen.

(Bild: wiredforlego CC BY-SA 2.0 (Ausschnitt))

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Inhaltsverzeichnis

Die österreichischen Urheberrechtsabgaben auf unbespielte Datenträger sind legal. Das hat der Oberste Gerichtshof (OGH) des Landes vergangene Woche bestätigt. Die Abgaben sollen Rechteinhaber für legale Privatkopien ihrer Werke entschädigen. Doch der OGH überrasche mit einer weiteren Feststellung: Privatpersonen müssen selbst dann zahlen, wenn sie gar keine Privatkopien machen. Damit ändert der OGH nicht nur seine bisherige Ansicht, sondern stellt sich auch bewusst gegen den deutschen Bundesgerichtshof (BGH), wie auch gegen die Antworten des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) auf Fragen des OGH im selben Verfahren.

Dr. Axel Anderl

(Bild: Dorda Brugger Jordis Rechtsanwälte GmbH)

"Diese Auslegung ist außergewöhnlich", reagierte der österreichische IT-Rechtsanwalt Axel Anderl gegenüber heise online auf das OGH-Urteil, "Selbst im Urteil werden abweichende Entscheidungen des BGH zitiert. Es besteht also eine unklare, uneinheitlich entschiedene Rechtsfrage. Es wäre naheliegend gewesen, diese zentrale Frage dem EuGH zur verbindlichen Auslegung vorzulegen."

Verwertungsgesellschaften dürfen unstrittig davon ausgehen, dass Privatpersonen ihre Datenträger in erheblichem Umfang für Privatkopien nutzen. Doch galt diese Vermutung bislang als widerlegbar; wer auf einem Datenträger tatsächlich keine Privatkopien anfertigt, sollte sich die Urheberrechtsabgabe zurückholen können. Das hatten sowohl der OGH selbst (4 OB 79/11p), als auch der deutsche BGH in den Fällen PC III (I ZR 30/11) und Musik-Handy (I ZR 255/14) festgehalten.

Austro Mechana führte das Verfahren stellvertretend für alle österreichischen Verwertungsgesellschaften.

Allein, die österreichischen Verwertungsgesellschaften weigerten sich, die ursprünglich als Leerkassettenvergütung eingeführte Abgabe an Privatpersonen, Vereine, oder Behörden rückzuerstatten. Seit 2015 heißt die Abgabe Speichermedienvergütung und umfasst auch Festplatten, die mit bis zu 43,74 Euro pro Stück belastet werden. Nur Unternehmen konnten, unter Auflagen, das Geld zurückbekommen, machten davon aber kaum Gebrauch.

Diese Einschränkung verletzt aus Sicht des Onlinehändlers Amazon EU-Recht, weshalb Amazon nicht zahlte. Also ging die Verwertungsgesellschaft Austro Mechana vor Gericht. Als das Verfahren 2011 erstmals zum OGH kam, bat dieser den EuGH um die Beantwortung spezifischer Fragen. Der EuGH antwortete, dass Verwertungsgesellschaften pauschale Urheberrechtsabgaben zurückzahlen müssen, wenn "offenkundig" keine Privatkopien angefertigt werden (C-512/11).

Die Sache wirkte gegessen und ging zurück an die unteren Instanzen. Austro Mechana gab aber nicht auf, und so kam die Sache erneut zum OGH. Dieser hat nun überraschend für die Verwertungsgesellschaften geurteilt: Privatpersonen müssen demnach auch für Privatkopien zahlen, die sie nie machen, weshalb der Händler die Abgabe jedenfalls abzuführen hat.

Amazon muss nun Millionen nach Österreich überweisen.

(Bild: Jurgen Appelo CC BY 2.0)

In der Vorlageentscheidung C-521/11 zum konkreten Amazon-Verfahren hat der EuGH ausdrücklich festgehalten, dass die Vermutung, dass Privatkopien angefertigt werden, widerlegbar ist, es also eine Rückerstattungsmöglichkeit für Privatpersonen geben muss. Unter Berufung auf die zwischenzeitlich ergangene EuGH-Entscheidung Copydan (C-463/12) erkennt der OGH nun aber im Umkehrschluss eine zweite Art der Vermutung, die nicht widerlegbar sein soll. Diese Auslegung ist umstritten.

"Ich sehe in den Entscheidungen des EuGH keine Grundlage für die Differenzierung, die der OGH vorgenommen hat. Die Unterscheidung zweier verschiedener Vermutungen ist daher kritisch", meinte Anderl. Das Urteil ist rechtskräftig, aber angesichts der offenen Punkte wohl nicht der Schlusspunkt der rechtlichen Auseinandersetzungen. "Eine betroffene Privatperson könnte auf Rückerstattung klagen und unter Hinweis auf die uneinheitliche Auslegung der EuGH-Entscheidungen und die divergierenden nationalen höchstgerichtlichen Erkenntnisse eine neuerliche Vorlage beantragen", erläuterte der bei Dorda Rechtsanwälte tätige Jurist. Dann hätte der EuGH die Chance, seine bisherigen Erkenntnisse selbst legal zu interpretieren.

Amazon hatte einen weiteren Punkt moniert: Nachdem die Verwertungsgesellschaften ihre Kosten von den Einnahmen abgezogen haben, geht nur die Hälfte an die Rechteinhaber. Die andere Hälfte geht an soziale und kulturelle Einrichtungen zugunsten von Künstlern. Das ist laut EuGH grundsätzlich zulässig, darf aber nicht diskriminierend sein. Nun kommen aber nur ausgewählte Mitglieder der österreichischen Verwertungsgesellschaften in den Genuss dieser Einrichtungen, ausländische Künstler haben das Nachsehen.

Die Rückerstattung der Abgaben für nicht privat genutzte USB-Sticks muss nun einfacher werden.

Der OGH erkennt darin keine Diskriminierung: "Zwar ist richtig, dass das Anknüpfen an der [österreichischen] Bezugsberechtigung wegen der – europaweit praktizierten – Rechtewahrnehmung durch die jeweilige 'Heimatgesellschaft' faktisch dazu führt, dass die Leistungen in erster Linie durch inländische Rechteinhaber in Anspruch genommen werden." Doch seit 2014 könnten auch Ausländer frei mit jeder österreichischen Verwertungsgesellschaft einen Wahrnehmungsvertrag abschließen anstatt einen weltweit gültigen mit der Verwertungsgesellschaft ihres Landes. Dass das global gesehen völlig unpraktikabel ist, ficht den OGH nicht an. Und überhaupt: Solche Konflikte seien zwischen Rechteinhabern und Verwertungsgesellschaften auszutragen und keine Sache der Abgabepflichtigen.

Die Verwertungsgesellschaften dürfen sich über einen durchschlagenden Erfolg freuen. Der OGH schreibt ihnen lediglich vor, neben Unternehmen auch Behörden, Vereinen, Bibliotheken, Forschungseinrichtungen und so weiter die Speichermedienvergütung rückzuerstatten. Diese können ja keine Privatkopien anfertigen. Einen Anspruch auf Rückerstattung haben zudem Einzelunternehmer, wenn sie auf bestimmten Datenträgern keine Privatkopien anfertigen. Außerdem dürfen die Verwertungsgesellschaften Rückerstattungen bei USB-Sticks nicht von weiteren Voraussetzungen wie Schreibsperren abhängig machen.

(ds)