Post aus Japan: Autonomes Fahren mit japanischen Hindernissen

Seit Montag fährt ein Robotertaxi versuchsweise durch den Tokioter Stadtverkehr. Aber die Initiatoren sehen noch keinen autonomen Tür-zu-Tür-Transport. Zu schwierig ist der japanische Verkehr bisher noch.

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Post aus Japan: Autonomes Fahren mit japanischen Hindernissen

(Bild: Martin Kölling)

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Von
  • Martin Kölling
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Tokio ist aktuell um eine automobile Attraktion reicher. Bis zum 1. Februar fahren zwei Robotertaxis durch den Innenstadtverkehr der größten Megacity der Welt, um Daten zu sammeln. Die Route sei dabei viel komplexer als im ersten Stadttest im Jahr 2018, erklärt der Gründer des Roboterentwicklers ZMP Hisashi Taniguchi, der das autonome Auto entwickelt hat. Für ihn ist das ein Zeichen des Erfolgs: "Unsere künstliche Intelligenz entwickelt sich weiter." Nur ist sie bisher auf einem Niveau, das nur beaufsichtigtes Fahren erlaubt.

Schon beim letzten Versuch auf den breiten, ordentlichen Straßen zwischen dem Finanzbezirk Otemachi und Roppongi hat das Auto die Fahrt nur zwei Mal ganz ohne menschlichen Griff ins Lenkrad geschafft, verrät Taniguchis Entwicklungspartner Tomita, der Präsident des Taxikonzerns Hinomaru, der rund 1.800 Taxis managed. Dieses Mal erwartet er auch nur wenige vollautonome Fahrten. Eine vollständig autonome Autowelt verlegt er daher noch in weite Ferne. Zwar will er 2025 die ersten Robotertaxis einführen, aber nur auf begrenzten, einfachen Routen und außerhalb der Stoßzeiten. Ein autonomer Tür-zu-Tür-Transport, der alle Verkehrssituationen selbst meistern kann, werde erst in mehr als zehn bis zwanzig Jahren Wirklichkeit, meint Kazutaka Tomita.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Ein Grund für seine zurückhaltende Prognose ist seine Erfahrung mit dem Robotertaxi im Tokioter Verkehr. Das Auto stoppe beispielsweise noch vor unerwarteten Hindernissen wie Büchern, die auf der Straße liegen. Rasch ausparkende Autos sind ebenfalls noch ein Problem, bei dem das Auto noch den Fahrer ans Lenkrad ruft. Außerdem wird das Fahren auf der äußeren linken Fahrspur (Japan hat Linksverkehr) regelmäßig zur Falle – dank einer Besonderheit des japanischen Verkehrs.

Die linke Spur ist auf mehrspurigen Hauptstraßen sicherlich verlockend, weil kaum ein Autofahrer sie befährt. Aber dies hat einen Grund: Die Spur wird von Auslieferungslastern und Privatfahren für mehr oder weniger kurze Stopps genutzt, so dass Fahrer immer wieder in die Nebenspur wechseln müssen. Noch schlimmer ist dies auf Straßen, die nur eine Spur in jede Fahrrichtung bieten. In dem Fall müssen die Autos meist über durchgezogene Linien fahren, um das haltende Auto zu überholen.

Diese Situation stellt das Robotertaxi allerdings noch vor Probleme. Besonders in Ampelnähe kann es einen Kurzzeitparker noch nicht von einem stoppenden Auto unterscheiden, so die Entwickler. Denn die meisten Kurzzeitparker halten es nicht einmal für nötig, den Warnblinker einzuschalten. Es hält daher regelmäßig hinter dem Parker an und wartet geduldig. Außerdem zögert es, eine durchgezogene Linie zu überfahren.

Doch die weit größere Herausforderung für den autonomen Volltransport sind die Seiten- und Landstraßen in Japan. Drei Viertel aller Straßen in Japan hätten keine Mittellinie, erklärte Toyota-Chef Akio Toyoda einmal. Viele kommen zudem auch ohne Seitenlinie aus. Das erschwert autonomen Autos bisher die Orientierung.

Darüber hinaus gibt es oft keine wirkliche Trennung zwischen Fußgänger-, Fahrrad- und Autoverkehr. Viele kleinere Straßen in Tokio haben keinen abgetrennten Fußweg, noch weniger haben Fahrradwege. Allenfalls sind schmale Zonen in Grün für Fußgänger oder in Blau für Fahrradfahrer auf den Asphalt gemalt. Allerdings müssen Fußgänger auch diese Zone oft verlassen, um einem Strommast am Straßenrand auszuweichen. Noch schwerer sind für Autofahrer (und damit auch für autonome Autos) in besonders engen Straßen die Menschen zu erkennen, die aus ihrem Haus auf die Straße treten. Denn die Häuser stehen oft unmittelbar am Straßenrand.

Erschwerend kommt auch auf Hauptstraßen dazu, dass Fahrradfahrer einfach vom Fußweg auf die Straße fahren, ohne ihre Absicht durch Handzeichen im Voraus anzuzeigen. Und um es noch ein bisschen spannender zu machen, radeln sie auch gerne mal auf der falschen Straßenseite entgegen dem fließenden Verkehr. Nur in Tokios Zentrallagen passiert dies selten, weil es dort weniger Fahrradfahrer als in den Außenbezirken gibt.

Wenigstens in Japan dürfte es daher noch auf absehbare Zeit einen Bedarf an menschlichen Fahrern geben. Darüber hinaus denkt der Taxi-Chef Tomita über neue Beschäftigungsmöglichkeiten für freigesetztes Personal nach, beispielsweise die Begleitung von Kindern zu Schulen oder Senioren zu Ärzten.

Der Taxifahrer wandelt sich damit zum Hospitalitätsanbieter. Dies ist wenigstens ein Jobvorschlag aus Japan für die zunehmend automatisierte Welt.

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