Proteste der Landwirte: Streit um Agrardiesel verdeckt größere Probleme

In Berlin kündigt sich Protest von Landwirten an. Längst geht es um mehr als nur eine Rücknahme von Subventionen. Kritik gibt es inzwischen auch an Kritikern.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 273 Kommentare lesen

Es ist nicht das erste Mal, dass Landwirte vor dem Brandenburger Tor gegen die Politik protestieren. Schon Ende 2019 richteten sich Proteste gegen neue Umweltvorgaben und Düngeregeln.

(Bild: Deutscher Bauernverband)

Lesezeit: 8 Min.
Von
Inhaltsverzeichnis

Es soll der vorläufige Höhepunkt der Proteste werden: Bauern haben sich auf den Weg nach Berlin gemacht, um ihre Ablehnung der geplanten Kürzungen nochmals zu verdeutlichen. Längst ist der Subventionsabbau nur Teil der Forderungen. Vielen Bauern geht es um eine tatsächliche Rücknahme von Bürokratie und vor allem um eine langfristige Planbarkeit. Schon weit vor dem geplanten Start der eigentlichen Veranstaltung am 15. Januar um 11:30 Uhr vor dem Brandenburger Tor war die für die Kundgebung vorgesehene Fläche belegt. Rund 5000 Traktoren und Landmaschinen aus dem gesamten Bundesgebiet werden erwartet.

Die Polizei hatte am Vorabend keine Traktoren mehr auf das Gelände der Kundgebung in der Innenstadt gelassen. "Es geht nichts mehr", sagte ein Polizeisprecher am Abend. Die Fläche sei dicht, wer jetzt noch komme, werde zur Ausweichfläche mit genug Parkplätzen auf den Olympischen Platz geleitet. Überall in der Hauptstadt muss mit starken Verkehrsbehinderungen gerechnet werden.

Landwirte sehen ihre wirtschaftliche Zukunft unter anderem durch wegfallende Vergünstigungen beim Kraftstoff in Gefahr. Die seit mehr als 70 Jahren bestehende Agrardiesel-Begünstigung soll entfallen. Noch können sich Betriebe die Energiesteuer von 21,48 Cent pro Liter zurückerstatten lassen. Der Effekt dieser Vergünstigung ist unterschiedlich: Je mehr Maschinen für eine Ernte eingesetzt werden, desto mehr können sich Landwirte zurückholen. Auch nach Protesten hält die Bundesregierung daran fest, dass diese Steuererstattung wegfällt. Allerdings soll die Subvention nun schrittweise über mehrere Jahre abgeschmolzen werden. Auf die ursprünglich geplante Abschaffung der Kfz-Steuerbefreiung für die Landwirtschaft will die Bundesregierung verzichten.

Der Deutsche Bauernverband fordert dagegen, die Kürzungen komplett zurückzunehmen. Er hält die Korrekturen für unzureichend. "Ein fauler Kompromiss, wie er derzeit auf dem Tisch liegt, kann keine Lösung sein, denn der wird keinen Traktor von der Straße holen", hatte Bauernpräsident Joachim Rukwied deutlich gemacht. Der Verband setze darauf, dass die Fraktionsvorsitzenden der drei Regierungsparteien bei einem Gespräch mit Bauernverbänden eine Lösung zum Agrardiesel vorlegen. Rukwied sagte: "Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Beim Gespräch am Montag kann es zunächst nur um den Agrardiesel gehen."

Der Deutsche Bauernverband gilt als politisch gut vernetzt: Bauernpräsident Joachim Rukwied (Mitte) mit Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (links) und dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst (rechts)

(Bild: Deutscher Bauernverband)

Die Bundesregierung muss wegen eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts Milliardenlöcher im Bundeshaushalt stopfen. Auch deshalb will sich Finanzminister Christian Lindner (FDP) auf der Kundgebung einer Debatte stellen. Er dämpfte im Vorfeld Erwartungen, dass auf die Subventionsstreichungen komplett verzichtet werde. Lindner sagte, er werde bei der Kundgebung "nicht versprechen können, dass alle Bereiche der Gesellschaft Konsolidierungsbeiträge leisten müssen – nur einer nicht".

Kanzler Olaf Scholz (SPD) und mehrere andere Ampel-Politiker haben Dialogbereitschaft signalisiert, ohne zunächst allerdings konkrete weitere Zugeständnisse beim Agrardiesel zu machen. Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) dringt darauf, der Branche gerade jetzt neue Chancen und Planungssicherheit zu eröffnen, etwa mit einer dauerhaft gesicherten Finanzierung für den Umbau der Tierhaltung hin zu besseren Bedingungen über eine Tierwohlabgabe.

Die FDP signalisierte nun Bereitschaft für eine solche Tierwohlabgabe, die auch auf Verbraucher umgelegt werden könnte. Die stellvertretende FDP-Fraktionschefin Carina Konrad sagte der Süddeutschen Zeitung, eine Tierwohlabgabe könnte ein Weg sein, die Landwirte beim Umbau ihrer Ställe verlässlich zu unterstützen.

Der SPD-Parteivorsitzende Lars Klingbeil sagte in der ARD, in den Mittelpunkt müsse die Frage gestellt werden, wie es gelingen könne, dass es in Deutschland eine starke Landwirtschaft gebe. "Ich finde, das muss dann auch mehr sein als die Frage Agrardiesel. Da geht es um die Marktmacht der Discounter. Da geht es beispielsweise auch um die Frage, wie wahnsinnig viel Bürokratie da im Bereich der Landwirtschaft vorhanden ist, wie die abgebaut werden kann."

Die Pläne sind momentan im parlamentarischen Verfahren. Dabei geht es um ein Gesetz, das Kürzungen im Etat 2024 umsetzen soll. Ende Januar soll der Bundestag über den Haushalt und auch über das Gesetz zum Agrardiesel abstimmen. Änderungen sind also prinzipiell noch möglich. Der Bundesrat könnte sich am 2. Februar damit befassen. Dabei ist das Haushaltsfinanzierungsgesetz nicht zustimmungsbedürftig, die Länder könnten es aber in den gemeinsamen Vermittlungsausschuss mit dem Bundestag schicken. Mehrere Ministerpräsidenten auch der SPD hatten den Bund aufgefordert, die Agrardiesel-Regelung nicht zu streichen.

Europäische und nationale Subventionen gehören zur Kalkulation landwirtschaftlicher Betriebe. Sie haben im Schnitt insgesamt einen Anteil von 45 Prozent am Einkommen, wie es im Agrarpolitischen Bericht 2023 der Bundesregierung nach Daten für 2021/22 heißt. Bei den großen Betrieben in den ostdeutschen Ländern seien es fast 50 Prozent. Die geplanten Kürzungen machen nur einen geringen Teil der Einnahmen aus. Doch für viele kleinere Betriebe könnten sie entscheidend sein, mahnt der Bauernverband. Ein Großteil der Subventionen entfällt auf Direktzahlungen aus der EU-Agrarfinanzierung, die auch an Umweltauflagen gekoppelt sind. Dabei sollen die Milliarden aus Brüssel die Nahrungsversorgung und den Erhalt der Landschaften und ländlichen Räume insgesamt sichern.

Unterdessen regt sich auch Kritik an jenen, die die Proteste der Bauern für ihre Zwecke nutzen wollen. Die Alternative für Deutschland signalisiert Unterstützung für die Landwirte, fordert in ihrem Parteiprogramm allerdings gleichzeitig die Kürzung von Subventionen. Als Rechtsextreme in der vergangenen Woche in Dresden mit einer eigenen Demo auf den Zug aufspringen wollten, distanzierte sich der Bauernverband von diesem Versuch der Vereinnahmung. Eine solche Distanzierung war unter anderem auch nötig geworden, nach dem sich Anthony Lee, Sprecher des Vereins Landwirtschaft verbindet Deutschland e. V., mit drastischen Worten gegen die Politik geäußert hatte: "Die wollen unser Land. Die wollen unser Land, um darauf Industrie zu bauen, Häuser. Häuser für Flüchtlinge oder wen auch immer." Lee ist einer der Co-Organisatoren, die gemeinsam mit dem Bauernverband zu der Protestwoche aufgerufen hatte.

Der Vorsitzende des Bund Naturschutz Bayern, Richard Mergner, kritisiert dagegen das Preisdiktat der Handelskonzerne. Das System Landwirtschaft kranke vor allem an unfairen Preisen und der schlechten Marktstellung der Bauern gegenüber den Handelskonzernen, meinte er. "Die Probleme sind hausgemacht und daran hat speziell die CSU einen erheblichen Anteil." Die CSU habe 39 Jahre lang das Bundeslandwirtschaftsministerium innegehabt, zuletzt von 2005 bis 2018. "Das dramatische Bauernhofsterben wurde weder in Bayern noch bundesweit gestoppt. Es ist unanständig, wenn sich nun ausgerechnet die CSU an die Spitze der Bauernproteste stellt." Auch der bayrische Wirtschaftsminister und Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger täte besser daran, an konstruktiven Lösungen mitzuwirken, "anstatt mit populistischen Sprüchen die Gesellschaft weiter zu spalten, um daraus politisches Kapital zu schlagen", kritisierte Mergner die in Bayern mitregierende Partei.

Bei Bauernvertretern hieß es, die "Hiobsbotschaft aus Berlin" zum Agrardiesel habe das Fass zum Überlaufen gebracht. Denn auf vielen Höfen, die sich nach schwierigen Zeiten zuletzt stabilisieren konnten, habe sich seit Jahren einiger Frust aufgestaut. Schon Ende 2019 richteten sich Proteste gegen neue Umweltvorgaben und Düngeregeln bei gleichzeitig vielen Billigpreisen im Supermarkt. Bauern forderten mehr Mitsprache und Wertschätzung für ihre Arbeit.

Der Marktdruck der großen Supermarktketten ist generell hoch, auch wenn Bauern zuletzt von höheren Preisen profitieren konnten. Dazu kommen Anforderungen von Politik und Verbrauchern, nachhaltiger zu produzieren. Forderungen, die allerdings zu höheren Preisen für Lebensmittel führen können. Bauern und Politik werden schwerlich vermeiden können, gemeinsam für eine gesellschaftliche Akzeptanz dessen zu werben. Das ist angesichts von ausländischer Konkurrenz auf dem Markt der Erzeuger einerseits und der Marktmacht von Lebensmitteldiscountern andererseits eine Herausforderung. Hinzu kommt, dass Landwirte auf eine Verlässlichkeit vertrauen können müssen. Ansagen von politischen Akteuren, nach einem Wahlsieg alles wieder rückgängig machen zu wollen, sind das komplette Gegenteil davon.

(mfz)