Rezession, Musk: Kündigungswelle in IT-Branche der USA​

Amazon erweitert den Einstellungsstopp, bei Lyft und Stripe muss jeder 7. weg. Elon Musk soll bei Twitter sogar 50 % kündigen und Abfindungen vermeiden wollen.

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Geräumter Schreibtisch

Dieser Schreibtisch ist schon geräumt.

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 4 Min.
Inhaltsverzeichnis

Der Arbeitskräftemangel in der IKT-Branche der Vereinigten Staaten von Amerika ist vorbei. Die Unternehmen steigen immer stärker auf die Bremse, was die Suche nach zusätzlichen Mitarbeitern anbelangt. War im Sommer häufig die Rede von Drosselungen des Einstellungstempos, laufen jetzt komplette Wachstumsstopps und sogar Kündigungswellen.

"Weil die Wirtschaft in einer unsicheren Lage ist, und angesichts der vielen Leute, die wir in den letzten paar Jahren eingestellt haben" hat Amazon.com einen Wachstumsstopp für alle Bürojobs beschlossen. Frei werdende Stellen können nachbesetzt werden, neue Stellen gibt es aber, mit wenigen Ausnahmen, nicht. Seit Anfang Oktober galt das bereits für das Einzelhandelsgeschäft, ab sofort gilt das für den gesamten Konzern, zumindest für mehrere Monate.

Amazons Senior Vice President Beth Galetti erklärt den Wachstumsstopp zur Gelegenheit für die bestehende Belegschaft, "produktiver zu sein". Nicht betroffen ist die ausführende Belegschaft, die für Lagerhaltung und Auslieferung verkaufter Waren sorgt. Dort braucht Amazon im Weihnachtsgeschäft viele Leute, auch wenn das Weihnachtsgeschäft dieses Jahr nicht ganz so fett ausfallen dürfte.

Lyft und Stripe teilen sogar mit, jede siebte bis achte Stelle zu streichen. Für frisch Eingewanderte sind unerwartete Kündigungen besonders schlimm: Sie verlieren damit nicht nur ihr Einkommen, sondern regelmäßig auch die Grundlage für ihren Aufenthaltstitel.

"Wir sehen uns sturer Inflation, Energieschocks, hohen Zinsen, geringeren Investitionsbudgets und weniger (Wagniskapital) ausgesetzt", schrieb Stripe-Chef Patrick Collison am Donnerstag an seine Belegschaft. Alle Gekündigten würden binnen 15 Minuten per E-Mail informiert. Die Kündigungen seien der richtige Schritt für Kunden und Aktionäre "wie Sie selbst", informierte Collison seine (Ex)Mitarbeiter.

Der Schritt sei schmerzhaft für ihn selbst und seinen Bruder John, Mitgründer des Finanzdienstleisters, aber: "Für die Welt, in der wir sind, haben wir zu viele Leute eingestellt", so Collison. In der Tat bedeutet die Streichung jeder siebten Stelle nur einen Rückschritt zum Mitarbeiterstand vom Februar. Außerdem verordnet sich Stripe ein noch nicht näher spezifiziertes Sparprogramm.

Uber-Konkurrent Lyft möchte im Zuge seiner Kündigungswelle unter anderem die Managementebenen reduzieren. Zudem sucht die Firma nach einem Käufer für ihre Autowerkstätten, die in manchen US-Regionen auch Hausbesuche anbieten. Seine relative kleine Autovermietungssparte hat Lyft schon im Sommer geschlossen.

Lyft und Stripe sorgen immerhin für eine etwas weichere Landung, auch dort, wo das nicht rechtlich verpflichtend ist: Lyft zahlt 10 bis 14 Wochen Abfertigung, die Krankenversicherung bis Ende April, und die für 20. November vorgesehene Aktienzuteilung wird vorgezogen, damit die Geschassten nicht um diesen Teil ihrer Entlohnung umfallen. Stripe zahlt mindestens 14 Wochen Abfertigung und zudem die Krankenversicherungsbeiträge für sechs Monate bar aus. Die Jahresboni werden voll ausgeschüttet, zudem werden die für Februar 2023 vorgesehenen Aktienzuteilungen durchgezogen.

Gegenteiliges wird aus Twitters Belegschaft erzählt: Der neue Eigentümer Elon Musk soll schon am Wochenende mit umfassenden Kündigungen und Entlassungen begonnen haben, damit er zum 1. November fällige Aktienzuteilungen nicht bezahlen muss. Am Wochenende hat die New York Times einen Investmentbanker mit Insiderinformationen zitiert, wonach mit der Kündigung der Hälfte der Twitter-Belegschaft zu rechnen sei.

Diese Strategie ist unorthodox, möchte Musk doch mit neuen Angeboten und Dienstmerkmalen neue Einnahmequellen erschließen. Außerdem will er mehr Nutzer anlocken. Neue Einnahmequellen erfordern in der Regel mehr Mitarbeiter, und Nutzer anzulocken, gelingt häufig durch besseren Support. Den gibt es bei Twitter schon jetzt praktisch nicht.

Die Kündigungen laufen bei Twitter auch nach dem Stichtag munter weiter. Ein unter der Belegschaft kursierender Leitfaden zeichnet ein trauriges Bild: Vielen Mitarbeitern setzt das Management plötzlich unerreichbare Ziele und erwartet Arbeitsleistung nach Feierabend und an Wochenenden.

Weil die Ziele nicht erreicht werden, können die Betroffenen dann fristlos entlassen werden und verlieren den Anspruch auf ihre Abfertigungen. Der Leitfaden rät den Twitter-Beschäftigen, ihre Daten und Konten sicherzustellen, Beweise mittels Handyfoto zu sichern, und sich über den verschlüsselten Messenger Signal zu vernetzen.

Gefeuert hat Musk auch Twitters Verwaltungsrat und Topmanagement – zumindest letzteres unter dem Vorwurf von Verfehlungen. Was er den Topmanagern genau ankreidet, ist nicht öffentlich bekannt. Jedenfalls möchte Musk jene Abfertigungen, zu denen er sich im Kaufvertrag verpflichtet hat, nicht zahlen. Prozesse dürften folgen.

(ds)