SPD-Digitalpolitiker gegen Faeser-Vorstoß zu neuer Vorratsdatenspeicherung

Innenministerin Faeser will erneut massenhaft Nutzerspuren sammeln, stößt aber auch in ihrer Fraktion auf Kritik. Dazu kommt die Debatte über die Chatkontrolle.

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(Bild: welcomia/Shutterstock.com)

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Der Anlauf von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) für eine Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung führt auch in den eigenen Reihen zu Widerspruch. Die Ressortchefin habe da offenbar "aus innenpolitischer Sicht mal einen rausgehauen", erklärte der digitalpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Jens Zimmermann, am Donnerstag bei einer Gesprächsrunde des Digitalausschusses des Parlaments in Berlin. "Das ist Teil ihrer Job-Beschreibung." Was Faeser skizziert habe, werde sich angesichts des Koalitionsvertrags aber wohl kaum umsetzen lassen.

Das Ampel-Bündnis hat vereinbart: "Angesichts der gegenwärtigen rechtlichen Unsicherheit, des bevorstehenden Urteils des Europäischen Gerichtshofs und der daraus resultierenden sicherheitspolitischen Herausforderungen werden wir die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung so ausgestalten, dass Daten rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können."

Zimmermann bezeichnete in diesem Sinne ein Einfrieren von Verbindungsdaten in Verdachtsfällen auf Zuruf von Strafverfolgern ("Quick Freeze") sowie die sogenannte Login-Falle als mögliche Instrumente. Bei letzterer sollen vor allem Betreiber sozialer Netzwerke wie Facebook und Twitter gemeinsam mit der Polizei eng zusammenarbeiten, um Verdächtige und deren IP-Adresse zu ermitteln, sobald sie sich erneut einloggen. Für solche Ansätze gebe es auch auf der Arbeitsebene des Innenministeriums eine "neue Offenheit".

Wie viele Beobachter geht auch Zimmermann davon aus: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) wird am 20. September entscheiden, dass die hiesigen, bereits ausgesetzten Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung nicht mit dem EU-Recht vereinbar sind. Mit dem Urteil gebe es dann eine "Arbeitsgrundlage" für die weitere Diskussion. Dabei werde es auch um die Frage gehen, inwieweit IP-Adressen für bestimmte Zwecke wie den Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch pauschal bei wem gespeichert werden sollten und wer Zugriff auf diese Daten erhalten könnte.

Faeser fordert vor allem in diesem Bereich ein anlassloses Protokollieren von Nutzerspuren, um "maximalen Ermittlungsdruck" auszuüben. Sie will prinzipiell gegen pädophile Kriminelle härter vorgehen und mehr Täter identifizieren können. Dafür sei das Aufbewahren der einschlägigen Daten unbedingt erforderlich.

"Selbst die schärfsten Kritiker einer Vorratsdatenspeicherung müssen zugestehen: in gewissen Fällen wird es eine Möglichkeit zur Identifizierung brauchen", erklärte Zimmermann dazu. Derzeit seien Ermittler fast auf den "Good Will" der Netzbetreiber angewiesen, da kaum einer mehr Verbindungsdaten für Abrechnungszwecke aufbewahre. Zudem werde jedem, der Zweifel an der Entschlossenheit im Kampf gegen Kindesmissbrauch aufkommen lasse, "von interessierter Seite erst mal das Gegenteil unterstellt". Faesers Worte seien daher eventuell "etwas markiger" rübergekommen als gemeint.

In jedem Fall hält es Zimmermann für besser, etwa Quick Freeze jetzt wirklich zu nutzen, als eine Vorratsdatenspeicherung neu zu starten, "die immer nur auf dem Papier existierte". Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) arbeite hier mit Faeser an einem Vorschlag mit dem "kompletten Spektrum" eines Kompromisses. Der Entwurf komme in Kürze, hieß es bei den von den Äußerungen der Innenministerin ebenfalls überraschten Grünen. FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle versicherte auf Twitter: "Die Ampel-Koalition wird die anlasslose Vorratsdatenspeicherung beerdigen."

Sie finde den Koalitionsvertrag an diesem Punkt relativ eindeutig, ergänzte die SPD-Digitalpolitikerin Anna Kassautzki: "Eine anlasslose Speicherung von IP-Adressen wird es nicht geben. Dabei bleiben wir auch." Nötig seien Strafverfolgungsbehörden, "die zeitnah ermitteln können" und dafür die erforderlichen technischen Hilfsmittel in die Hand bekämen. Knackpunkt sei hier oft das Personal, das gegebenenfalls aufgestockt werden müsse, um Quick Freeze zu einer sinnvollen Alternative zu machen.

Unter dem Aufhänger, gegen Darstellungen sexueller Missbrauchs vorgehen zu wollen, treibt EU-Innenkommissarin Ylva Johansson derweil auch die hierzulande heftig umstrittene Chatkontrolle voran. Faeser hatte diese Initiative für flächendeckende Kinderporno-Scans zunächst begrüßt, sie später in Teilen aber für rechtlich heikel erklärt. Zimmermann erinnerte nun daran, dass Johansson Sozialdemokratin sei und Deutschland in der EU mit dem Widerstand gegen ihren Vorschlag ziemlich allein dastehe.

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Die Ampel hoffe hier auf Unterstützung beim Widerstand gegen das Vorhaben von "ein paar Südeuropäern", den Niederländern und eventuell Finnland, berichtete Zimmermann. Die dortigen Parlamentskollegen hätten von dem Thema bis vor Kurzem aber noch gar nichts gehört gehabt. Die Großwetterlage sei daher nicht günstig. Auch im EU-Parlament stünden deutsche Volksvertreter mit ihrem Nein zu dem Gesetzesentwurf recht isoliert da.

Persönlich kann sich der SPD-Netzexperte nicht vorstellen, dass eine Chatkontrolle vor dem EuGH Bestand haben könnte. Trotzdem sei es wichtig, dass sich etwa auch die Zivilgesellschaft stärker einbringe und ihre europäischen Kontakte nutze, um das Schlimmste zu verhindern. Die Kommission erinnerte Zimmermann daran, dass Erotikportale wie xHamster oder Pornhub auf Zypern säßen und aus der EU heraus den Jugendmedienschutz unterminierten. Da sollte die Brüsseler Regierungsinstitution mal ansetzen.

Kassautzki, die SPD-Berichterstatterin zur Chatkontrolle ist, hofft darauf, bei dem Thema auf Zeit spielen zu können. Die tschechische Ratspräsidentschaft behandle das Dossier glücklicherweise nicht mit hoher Priorität, sodass in der Zwischenzeit Ansätze verfolgt werden sollten, um Kinder tatsächlich besser zu schützen. "Datenschutz ist Kinderschutz", betonte die 28-Jährige dazu. Es müsse für potenzielle Täter schwieriger werden, den Nachwuchs online anzusprechen. Wichtig sei es auch, in Foren und Chats etwa bei Computerspielen eine Moderation mit drin zu haben. Eine fraktionsinterne Gruppe erarbeite gerade zusammen mit dem Innenministerium entsprechende Vorschläge.

Die Leiterin des Digitalausschusses, die Grüne Tabea Rößner, ließ durchblicken, dass das Gremium mit Faeser schon bald erneut das Gespräch zu diesen Punkten suchen werde. Neben der Innenministerin seien etwa auch die Leiter der Ressorts für Wirtschaft und Digitales, Robert Habeck (Grüne) und Volker Wissing (FDP), bereits im Ausschuss gewesen. Man arbeite noch daran, die Öffentlichkeit und die Zivilgesellschaft stärker in die Arbeit einzubeziehen.

(bme)