Studie: Registermodernisierung mit zentraler Bürger-ID ist verfassungswidrig

Gutachter warnen vor dem gläsernen Bürger, wenn die Steuer-ID künftig auch als allgemeine Personenkennziffer behördenübergreifend genutzt werden könnte.

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(Bild: Gorodenkoff/Shutterstock.com)

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Der umstrittene Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Registermodernisierung ist verfassungs- und europarechtlich nicht zulässig. Zu diesem Ergebnis kommen die Professoren Christoph Sorge (Saarland), Jörn von Lucke (Friedrichshafen) und Indra Spiecker aus Frankfurt in einem jetzt veröffentlichten Gutachten für die liberale Friedrich-Naumann-Stiftung.

Stein des Anstoßes: Die Regierung will mit der persönlichen Steueridentifikationsnummer eine allgemeine, registerübergreifende und zentralen Personenkennziffer ohne ausreichende Sicherungen schaffen. Diese Bürgernummer müsste damit in 56 besonders relevanten Datenbanken von Bund und Ländern inklusive der Fahrzeug- und Melderegister hinterlegt werden.

Das Konzept erhöht laut den Forschern massiv die Gefahr, dass der Staat und die öffentliche Verwaltung mithilfe von Informationstechnologien in die Lage versetzt würden, "auf Knopfdruck zu einem Bürger ein umfassendes, detailliertes Profil auf Basis aller oder vieler vorliegender Datenbestände in den vorhandenen Registern von Bund, Ländern und Kommunen zu erstellen". Damit würde ein "gläserner Bürger" Realität.

Ein solches Big-Brother-Szenario müsse angesichts "zunehmender Gesamtüberwachung und weitreichender Ausforschungsmöglichkeiten" verhindert werden, heißt es in der Studie. Der Einzelne könnte damit "weder seine Kontrollfunktion noch seine Freiheitsdimension ausleben".

Die Registermodernisierung an sich halten die Wissenschaftler für legitim und wünschenswert. Der Einsatz der Steuer-ID als Bürgernummer sei aber schon aufgrund der Möglichkeit, vorgesehene Schutzmechanismen wie das 4-Corner-Modell zu umgehen, äußerst risikoreich.

Mit jedem allgemeinen Personenkennzeichen – und der damit vereinfachten Möglichkeit der Verbindung verschiedenster beim Staat gespeicherter Datensätze aus allen möglichen Lebens- und Verwaltungsbereichen – wird der Analyse zufolge die Basis "für eine umfassende Registrierung, Profilbildung und Katalogisierung der Persönlichkeit von Bürgern durch den Staat geschaffen". Das Gesetz laufe so große Gefahr, vom Bundesverfassungsgericht verworfen zu werden. Ähnliche Bedenken haben Datenschützer und der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags.

Ferner dürfe die Steuerverwaltung für ihre Verfahren keine allgemeinen Personenkennungen verwenden, arbeiten die Professoren heraus. Ein angenommener Gesetzesentwurf würde damit auch die Grundlagen der Steuererhebung zerstören und besorgniserregende Folgewirkungen auslösen. Insofern sollte das Vorgehen insgesamt überdacht werden. Auch der Bundesrat warnt vor einer solchen Entwertung der Steuer-ID.

Die Experten haben eine Alternative mit bereichsspezifischen Personenkennzeichen und einigen Optionen entwickelt, mit der sowohl die Anforderungen des geplanten Portalverbundes als auch der Registermodernisierung erfüllt werden könnten. Ihr Ziel sei dabei kein Idealbild, sondern "eine mit überschaubarem Mehraufwand und ohne nennenswerte Eingriffe in die Registerstruktur umsetzbare, gleichzeitig aber datenschutzfreundlichere" Variante.

Prinzipiell benötigten die Behörden "auch gewisse personenbezogene Daten der Bürger, die sie datenschutzkonform und zweckgerichtet zu verwenden und zur Erfüllung ihrer Zwecke sicher zu bewahren haben", meinen die Gutachter. Die öffentliche Verwaltung sollte daher in der Lage sein, "bei Bedarf einen Ausschnitt eines Bildes aus dem Leben des Bürgers auf Basis der vorliegenden Daten in dem jeweiligen Amt oder Bereich zu generieren".

Vorstellbar sei es dabei, in einem separaten, eigenständigen Register jede Personenkennziffer um einen Basisdatensatz zu ergänzen. So ließe sich auch die Datenqualität in den anderen Registern verbessern. Auch ein zentrales Kennzeichen sogar auf Basis der Steuer-ID sei denkbar, solange darüber eben nicht schier beliebig Bestände zusammenführbar seien. Es könnten aber auch ganz neue Identitätsnummern vergeben werden, systematisch oder durch Zufallszahlen generiert. Eine weitere Möglichkeit sei es, auf eine zentrale Identitätsnummer zur Identifizierung zu verzichten.

Mit einer Hashfunktion ließen sich auf Basis einer Stammzahl neuartige bereichsspezifische Personenkennzahlen generieren, bringen die Forscher ein Beispiel. Die Alternative einer Zufallszahl bestehe auch hier. Mit einer pseudonymisierten und ausschließlich von einem Intermediär nutzbaren ID-Datenbank könnte eine solche Lösung realisiert werden. Sie müsste aber besonders vor Angriffen geschützt werden. Die geplante Registermodernisierung wird am Montag auch in einer öffentlichen Anhörung im Bundestag auf dem Prüfstand stehen.

(bme)