Trotz Ampel-Zusage: Regierung schließt Chatkontrolle per Serverscans nicht aus​

Die Ampel lehnt "Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation" ab. Doch die Bundesregierung prüft die Zulässigkeit einer "serverseitigen" Chatkontrolle.​

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(Bild: Wachiwit/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.

Nach monatelangem Streit hat sich die Bundesregierung auf eine erste Stellungnahme zu den umstrittenen Plänen der EU-Kommission für eine Online-Überwachung samt verdachtsunabhängiger Chatkontrolle verständigt und ihre Position Anfang April eingebracht. Die Kommission will zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch auch verschlüsselte Kommunikation auf Missbrauchsdarstellungen scannen lassen.

Die Bundesregierung will sich bislang nicht gegen das massenhafte, verdachtsunabhängige Durchleuchten unverschlüsselter Kommunikation auf Servern aussprechen. Dies dürfte etwa die meisten E-Mails sowie Chats etwa per Facebook-Messenger und Instagram sowie Dienste von Microsoft und Google betreffen, die noch keine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung implementiert haben.

Kritiker sehen darin einen Verstoß gegen den Koalitionsvertrag. "Allgemeine Überwachungspflichten, Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation und eine Identifizierungspflicht lehnen wir ab", heißt es in der Vereinbarung der Ampel-Parteien. In der Stellungnahme der Bundesregierung, die das Portal Netzpolitik.org veröffentlicht hat, heißt es dagegen: "Zulässigkeit sowie etwaiger Umfang serverseitiger Aufdeckungsmaßnahmen in unverschlüsselten Telekommunikations- sowie (Cloud-) Speicherdiensten" prüfe sie noch kritisch.

Kern des Kommissionsvorschlags sind Aufdeckungsanordnungen, auf deren Basis Anbieter auch verschlüsselter Messenger-Dienste wie WhatsApp, Signal oder Threema nach bekannten und neuen Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs suchen müssten. Diesen weitgehenden Ansatz will die Bundesregierung nicht mittragen. Sie ist für den "Ausschluss von Maßnahmen, die zu einem Scannen privater verschlüsselter Kommunikation führen". Maßnahmen, "die zu einem Bruch, einer Schwächung, Modifikation oder einer Umgehung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung führen", müssten "durch konkrete technische Anforderungen im Verordnungsentwurf" ausgeschlossen werden.

Bereits seit Februar war bekannt, dass auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) mittlerweile gegen eine Chatkontrolle mithilfe von Client-Side-Scanning (CSS) ist, also das besonders umstrittene Durchsuchen und Ausleiten privater Kommunikation direkt auf Endgeräten der Nutzer. Damit könnte die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von Diensten wie WhatsApp und Signal unterlaufen werden. Der SPD-nahe netzpolitische Verein D64 warf Faeser aber schon Ende März vor, sie halte auch nach vernichtenden Kritik bei einer Bundestagsanhörung weiter an Vorschlägen wie "der Überwachung privater, unverschlüsselter Kommunikation durch serverseitiges Scannen von Chats und persönlicher Cloud-Speicher fest".

Ebenfalls noch auf keinen grünen Zweig ist die Bundesregierung bei "Aufdeckungsanordnungen von bislang unbekannten Missbrauchsdarstellungen" oder der einschlägigen Kontaktaufnahme mit Minderjährigen gekommen. Beide Verfahren seien zwar tendenziell hilfreich bei der Verbrechensbekämpfung, begründet die Bundesregierung ihr Zögern. Sie ließen sich aber "nicht fehlerfrei" durchführen. Angesichts der damit nötigen Einzelfallprüfung würden "Ressourcen bei nationalen Behörden gebunden".

Die FDP-geführten Bundesministerien für Digitales und Justiz stellten schon frühzeitig rote Linien zu dem Kommissionsentwurf auf. Sie verlangten etwa, bei einer Altersverifikation für Messenger- und Hosting-Dienste sowie App-Stores die Vorlage des Personalausweises auszuschließen. Das Bundesinnenministerium drängte nur auf die weitere Option einer anonymen oder jedenfalls pseudonymen Nutzung und setzte sich damit – wie auch an vielen anderen Stellen – nun durch. Dazu kämen etwa die eID im Online-Ausweis oder gleichrangige Alternativen in Frage. Felix Reda von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) bewertet solche Ansätze als "äußerst eingriffsintensiv". Es sei "keine technische Lösung zur Altersverifizierung in Aussicht, die eine anonyme Internetnutzung ermöglicht".

Die EU-Kommission sieht auch Websperren vor, die als Zensurinstrument gelten. Die Bundesregierung verfolgt eigentlich das Prinzip "Löschen statt Sperren" bei Missbrauchsdarstellungen und drängt nun auch auf EU-Ebene grundsätzlich darauf, dass "vorrangig eine dauerhafte Entfernung der Inhalte angestrebt werden" sollte. Trotzdem ist sie der Ansicht, dass Sperranordnungen, die sich an Internet-Zugangsanbieter richten, "als letztes Mittel" unter gewissen Umständen zulässig sein könnten.

"Die Ampelkoalition bricht den Koalitionsvertrag, wenn sie die Chatkontrolle durch Nichthandeln durchgehen lässt", beklagt das zivilgesellschaftliche Bündnis Chatkontrolle stoppen, das die Vereine Digitale Gesellschaft und Digitalcourage sowie der Chaos Computer Club (CCC) koordinieren. Die Bundesregierung sei verantwortlich dafür, "unsere Grundrechte aktiv zu schützen". Dieser Pflicht müsse sie "auch in der EU gerecht werden".

(vbr)