Trotz Streit über Richter: Frühe Anträge auf EU-Einheitspatent ab Januar möglich

Das Europäische Patentamt startet Anfang Januar Übergangsmaßnahmen für das EU-Einheitspatent. Richter des EU-Patentgerichts werden als befangen kritisiert.

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(Bild: TierneyMJ/Shutterstock.com)

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Langsam wird es ernst mit dem seit vielen Jahren geplanten EU-Einheitspatent. Das Europäische Patentamt (EPA), das die neuen gewerblichen Schutzrechte vergeben wird, will vom 1. Januar 2023 erste "frühe" Anträge auf eine entsprechende "einheitliche Wirkung" des Patentschutzes in bis zu 25 EU-Mitgliedstaaten entgegennehmen. Dies teilte die Münchner Behörde am Montag mit.

Sie will demnach Anfang kommenden Jahres ihre Übergangsmaßnahmen hin zu dem Schutzrecht mit erweitertem Geltungsbereich starten, nachdem auch das zugehörige Einheitliche Patentgericht (EPG) vor Kurzem seinen Umsetzungsfahrplan veröffentlicht hatte. Die Option, erste Anträge einzureichen, steht aber nicht gleich allen Interessenten offen: Sie ist an Regel 71 des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) geknüpft. Diese bezieht sich auf europäische Patentanmeldungen, die die Schlussphase des Erteilungsverfahrens erreicht haben.

Habe die Prüfungsabteilung entschieden, dass ein europäisches Patent erteilt werden kann, müsse sie den Anmelder entsprechend informieren, erläutert das EPA. Der Anmelder werde damit aufgefordert, innerhalb einer nicht verlängerbaren Frist von vier Monaten die Erteilungs- und Veröffentlichungsgebühr zu entrichten sowie eine Übersetzung der Patentansprüche in den beiden Amtssprachen des EPA einzureichen, die nicht die bisherige Verfahrenssprache sind.

Als Beispiel nennt die Behörde einen Fall, in dem der Anmelder Mitte November die Mitteilung nach Regel 71 erhält. Er könnte dann zwischen Anfang Januar und Ende März einen Antrag auf einheitliche Wirkung stellen. Das EPA würde diesen prüfen und sehr bald nach der Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung des europäischen Patents im Europäischen Patentblatt den gewünschten breiteren Geltungsbereich registrieren, sofern alle Erfordernisse erfüllt sind.

Möglich wird es ferner, nach einem bereits früheren, also etwa Mitte September erhaltenen 71er-Hinweises einen Antrag zu stellen, wonach die Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung des europäischen Patents bis zum 5. April 2023 aufgeschoben wird. Das ist der voraussichtlich erste Veröffentlichungstag nach dem Beginn des einheitlichen Patentsystems. Auch so könnte eine Anmeldung noch in dessen Geltungsbereich hineinrutschen. Die beiden, voraussichtlich bis 1. April geltenden Maßnahmen hat das EPA nach eigenen Angaben eingeführt, "um eine zeitnahe Inanspruchnahme des Einheitspatents zu unterstützen".

Anfang dieses Jahres hatte die Behörde noch damit gerechnet, dass das Einheitspatent Ende 2022 starten könne. Im Januar war das Protokoll über die vorläufige Anwendung des Übereinkommens über das Einheitliche Patentgericht in Kraft getreten. Dieser internationale Vertrag bildete den Schlussstein der Reform des europäischen Patentsystems, mit dem das EU-Einheitspatent eingeführt werden soll.

Das EPG selbst verkündete Mitte Oktober seine geplante Besetzung. Der Verwaltungsausschuss des Gerichts gab dazu die Auswahl von 85 Richtern bekannt. Darunter sind 34 juristisch und 51 technisch qualifizierte Fachleute. Schon kurz darauf entbrannte in den sozialen Medien und Fachpublikationen eine Debatte über mögliche Interessenkonflikte. Stein des Anstoßes: Nur sieben der 51 technisch versierten Richter arbeiten momentan an einem Patentgericht in einem EPG-Mitgliedsstaat oder am EPA. Beim Rest handelt es sich um Patentanwälte aus Kanzleien oder Konzernen.

Der Prozentsatz dieser technischen Teilzeitrichter ist nicht unerheblich: Im Bereich Biotechnologie etwa gilt dies für 6 von 8, bei Chemie und Pharma für 6 von 10, im Sektor Elektrotechnik für 5 von 9 und im Maschinenwesen für 11 von 16. Einige davon kommen von großen Unternehmen wie 3M, Agva-Gevaert, Airbus, Bose, Lundbeck, Nokia und Orange.

Er könne zwar verstehen, "warum diese Lösung für die Anfangsphase dieses Gerichts gewählt wurde", kommentiert Thorsten Bausch von der Kanzlei Hoffmann Eitle diesen Schritt im Kluwer-Patentblog. So seien technische Patentrichter nur schwer zu finden, während erfahrene Patentanwälte ihnen wohl fachlich noch am nächsten kämen. Zudem gingen bei einem neuen Gericht naturgemäß anfangs nur sehr wenige Fälle ein. Trotzdem scheine ihm das Modell auf lange Sicht "keine nachhaltige Lösung zu sein": Mittelfristig müssten sich viele Richter für befangen erklären. Selbst dann dürften immer wieder Parteilichkeitsvorwürfe aufkommen.

Benjamin Henrion vom Förderverein für eine freie informationelle Infrastruktur (FFII) reibt sich vor allem daran, dass mit Simon Walker der Patentanwalt von Nokia aus Finnland zu den Teilzeitrichtern gehört. Das sei ein Skandal, der nur noch zu toppen wäre, wenn ein einschlägiger Jurist von Microsoft zum EPG-Präsidenten gekürt würde, erklärte er gegenüber heise online. Nokia lieferte sich hierzulande in den vergangenen Jahren etwa eine lange Patentschlacht mit Daimler. Diese endete erst außergerichtlich, als der Autobauer für eine nicht genannte Summe eine Lizenz von den Finnen erstand. Henrion verwies auch darauf, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Gerichten die Unabhängigkeit abspreche, wenn dortige Richter Sold von Dritten erhielten.

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