Überwachung: Clearview will Datenbank mit 100 Milliarden Gesichtsfotos füllen

Die umstrittene US-Firma Clearview AI will binnen eines Jahres "fast jeden Menschen auf der Welt" identifizieren und auch Firmenmitarbeiter überwachen können.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 79 Kommentare lesen

(Bild: Scharfsinn/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Inhaltsverzeichnis

Trotz zahlreicher rechtlicher Querelen und internationaler Kritik sieht sich die auf biometrische Gesichtserkennung spezialisierte US-Firma Clearview auf massivem Expansionskurs. Das Unternehmen sei dabei, die Zahl der in seiner Datenbank gespeicherten Gesichtsfotos binnen eines Jahres von 10 Milliarden auf 100 Milliarden zu erhöhen. Dies dürfte gewährleisten, dass "fast jeder Mensch auf der Welt identifizierbar sein wird".

Die Zahlen stammen aus einer 55-seitigen Präsentation für Investoren von Clearview, aus der die Washington Post zitiert. Die New Yorker Firma hätte damit durchschnittlich 14 Fotos von jedem der 7 Milliarden Erdenbürger in ihrem Register, mit dem sie derzeit Erkennungsdienste für Sicherheitsbehörden weltweit durchführt. Das jährliche Wachstum der Datenbank gibt das Unternehmen aktuell mit 1,5 Milliarden Bildern pro Monat an. Bei dieser Rate müsste es noch deutlich zulegen, denn sonst kämen innerhalb eines Jahres "nur" 18 Milliarden Bilder dazu.

50 Millionen US-Dollar will Clearview dem Bericht zufolge von Inverstoren einwerben, um schneller zu wachsen und in neue Geschäftsfelder vorzustoßen. Die Firma betonte nach außen bislang immer, nur mit Regierungsstellen und insbesondere mit Strafverfolgern zusammenzuarbeiten. Nun behauptet sie in der Präsentation, die Art und Weise "revolutionieren" zu können, wie Arbeitskräfte in der Gig Economy überprüft werden. Daneben sollen sich Logos etwa von Airbnb, Lyft und Uber befinden.

Clearview-Gründer Hoan Ton-That bezeichnete diese Namen gegenüber der Zeitung als "Beispiele für die Art von Unternehmen, die Interesse an der Gesichtserkennungstechnologie" der Firma "zum Zwecke der zustimmungsbasierten Identitätsüberprüfung bekundet haben". Sie wollten damit verhindern, dass über ihre Plattformen Straftaten begangen würden. Sprecher der genannten Konzerne betonten, noch nie Pläne für eine Zusammenarbeit gehabt zu haben.

Ferner soll Clearview damit werben, dass die biometrische Erkennungstechnik dazu verwendet werden könnte, um Menschen auf Apps zu bewerten, über die Nutzer etwa nach Partnern, Babysittern, Reinigungskräften oder Handwerkern suchten. Auch die Betreiber von Anwendungen wie Tinder, Sittercity & Co. wollten davon aber nichts wissen und monierten, dass Clearview ihre Logos missbrauche.

Das Unternehmen gibt dem Bericht nach zudem an, dass es neben der Gesichtserkennung andere Systeme etwa zum Scannen von Nummernschildern und zur "Bewegungsverfolgung" entwickelt habe. Es arbeite zudem nach eigenen Angaben an eine Reihe anderer automatisierter Überwachungstechniken. Darunter befinde sich Kamerasoftware zur Erkennung von Waffen und Drogen, Systeme zur Identifizierung einer Person anhand ihres Gangs; "Image to Location"-Programme zur Bestimmung des Aufenthaltsorts einer Person anhand des Hintergrunds eines Fotos. Ferner verweise es auf eine Software, um eine Person aus der Ferne anhand einer Aufnahme ihres Fingerabdrucks zu identifizieren.

Ton-That erklärte gegenüber der Washington Post, diese Techniken dienten alle der öffentlichen Sicherheit, befänden sich in verschiedenen Stadien der Forschung und Entwicklung. Sie seien noch nicht marktreif und noch nicht in der Praxis eingesetzt worden.

Die Präsentation widerspricht auch einem offenen Brief von Clearview aus dem Januar, wonach man auf eine Echtzeiterkennung bewusst verzichte, um die Menschenrechte und Grundfreiheiten zu schützen. Zusammen mit Behörden soll laut den Informationen für Geldgeber doch ein "Echtzeit-Warnsystem" entstehen. Damit könnten Unternehmen die Polizei benachrichtigen, wenn sie etwa "Personen mit hohem Risiko" entdecken. Bereits bekannt war, dass die Firma für die US-Luftwaffe ein Pilotprojekt für eine Datenbrille mit Augmented-Reality-Gesichtserkennung durchführen soll.

Amazon, Google, IBM und Microsoft haben sich aus dem Markt für Gesichtserkennungssysteme weitgehend zurückgezogen. Kritiker warnen, die Technik sei unzuverlässig, fehleranfällig und könnte leicht missbraucht werden. Clearview sieht im eigenen Kurs dagegen beste Geschäftsmöglichkeiten, da es in den USA nun nur noch wenig Konkurrenz habe. Sein Stammprodukt sei zudem mächtiger als in China verwendete Lösungen, da das Fotoregister mit "Metadaten aus öffentlichen Quellen" und Informationen aus sozialen Netzwerken verbunden sei.

Die Aufnahmen hat die Firma vor allem aus Facebook, Instagram, Twitter & Co. sowie aus privaten Webseiten zusammengeklaubt. Voriges Jahr warfen etwa die Aufsichtsbehörden in Frankreich, Österreich, Italien, Griechenland und Großbritannien dem Unternehmen vor, gegen europäische Datenschutzgesetze zu verstoßen. Bereits ergangenen Löschaufforderungen sollen teils Geldbußen folgen. In den USA laufen in mehreren Bundesstaaten wie Illinois Klagen gegen Clearview.

(bme)