Ukraine: Atomkraftwerk Tschernobyl nicht mehr am Stromnetz

Die letzte Stomleitung zum stillgelegten AKW ist jetzt auch gekappt, sagt Netzbetreiber Ukrenergo. Nun springen Notstromdiesel ein.

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Atomkraftwerk Tschernobyl, im Vordergrund Block 4 mit dem "Sarkophag", der den seit der Explosion 1986 offenen Reaktor schützen soll.

(Bild: Energoatom)

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Das stillgelegte ukrainische Atomkraftwerk in Tschernobyl ist nicht mehr mit dem Stromnetz verbunden. Das teilt Wolodmir Kudritskyi, CEO des ukrainischen Netzbetreibers Ukrenergo in einem Video mit. Nachdem durch den Angriff russischer Truppen kurz nach Beginn der Invasion am 24. Februar zwei Stromleitungen durch Beschuss gekappt worden waren, sei Tschernobyl nur noch über eine 750-kV-Leitung mit dem Stromnetz verbunden gewesen. Diese sei nun auch unterbrochen, sagte Kudritskyi.

Im AKW Tschernobyl ereignete sich in Block 4 im April 1986 eine Kernschmelze und eine Explosion. Der letzte der verbliebenen drei Reaktoren ging im Jahr 2000 vom Netz, am Standort werden noch abgebrannte Brennelemente gelagert, die gekühlt werden müssen. In Tschernobyl springen Notstromdiesel ein, wenn die Versorgung von außen abbricht, erläutert die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS). Mit dem Notstrom würden sicherheitsrelevante Verbraucher versorgt, das Kraftwerk selbst und das Nasslager ISF-1 für abgebrannte Brennelemente.

Dafür gebe es zwei stationäre Notstromgeneratoren, die für mindestens 48 Stunden mit Diesel versorgt werden können, führt die GRS aus. Ein Generator reiche aus, um die sicherheitsrelevanten Verbraucher mit Strom zu versorgen. Falls beide Dieselgeneratoren ausfielen, gebe es zusätzlich einen mobilen Dieselgenerator, der für maximal acht Stunden an das Nasslager mit Strom versorgen könne.

Wenn alle Notstromdieselaggregate ausfallen würden, sei nicht davon auszugehen, dass schnell größere Mengen Radioaktivität freigesetzt werden, erläutert die GRS. Die Brennelemente lagerten seit mindestens 20 Jahren im ISF-1, die Nachzerfallsleistung der Brennelemente sei mittlerweile so weit abgeklungen, dass eine Kühlung durch das vorhandene Wasser ohne Umwälzung sichergestellt werden könne.

Mögliche Verdunstungen würden erst nach mehreren Wochen zu einem signifikanten Wasserverlust führen. Dann könne die Abschirmwirkung des Wassers nachlassen, sodass das Betriebspersonal das Lager nicht mehr ohne Weiteres betreten könne. Für die Umgebung des AKW oder für weiter entfernte Regionen würde sich keine sicherheitstechnisch bedenkliche Situation ergeben.

"Die technischen Einrichtungen zur Verpackung der Brennelemente in Lagerbehälter für die Trockenlagerung im ISF-2 sind derzeit bereits unterbrochen, sodass auch dort keine sicherheitstechnisch bedenkliche Situation vorliegt", erläutert die GRS weiter. Die Lager für feste und flüssige Abfälle am Standort des AKW stellten derzeit ebenfalls kein sicherheitstechnisches Risiko dar.

Ukrenergo habe mehrmals darum gebeten, in das von den Russen besetzte Areal von Tschernobyl Reparaturteams entsenden zu können, die das AKW wieder ans Stromnetz anschließen sollen, erläuterte Kudritskyi. Dabei gehe es vorrangig darum, die Sicherheitsfunktionen für die Lagerung großer Mengen abgebrannter Brennelemente wieder in Gang zu setzen. Diese müssten unbedingt weiter gekühlt werden, doch ohne Strom funktionierten die Umwälzung und die Feuerlöschung nicht.

Ein Team sei hineingelassen worden, doch sei mit Gewehren über ihre Köpfe hinweg gefeuert worden. Auch seien den Mitarbeiter angedroht worden, sie würden erschossen, wenn sie weiter versuchten, die Zone zu betreten. Daher seien die Stromleitungen nicht repariert worden. Kudritskyi fordert das russische Militär auf, Tschernobyl sofort zu verlassen, damit dort die nötigen Arbeiten ausgeführt werden können. "Dies ist wichtig für den Planeten", sagte Kudritskyi.

Laut Rafael Mariano Grossi, Generaldirektor der Internationalen Atombehörde IAEA, war bereits die Übermittlung der Daten des Sicherungsübermittlungssystems unterbrochen. Auch hatte sich Grossi besorgt über die Zustände in Tschernobyl geäußert. Für die 210 dort tätigen Mitarbeiter habe es seit zwei Wochen keinen Schichtwechsel gegeben. Das Personal habe nicht nur wenig Ruhepausen, sondern auch nur begrenzt Wasser und Nahrung zur Verfügung.

Zur Lage der Stromversorgung in der Ukraine gab Ukrenergo am Dienstag bekannt, alle Arten von Kraftwerken, Kern-, Wärme-, Solar-, Wind- und Wasserkraft, seien in Betrieb, Strom werde ausreichend produziert. Nun stehe die Synchronisation mit dem europäischen Verbundnetz ENTSO-E an. Die Ukraine ist momentan im Inselbetrieb, das heißt, von außen wird kein Strom zugeliefert.

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(anw)