Vestager: Gier ist Schuld an Handelsabhängigkeit von China und Russland

Europa soll beim Handel unabhängig von China und Russland werden und dafür auf mehrere verschiedene Länder zurückgreifen, wie Vestager dem Handelsblatt sagte.

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EU-Wettbewerbskommissarin Vestager

Margrethe Vestager, EU-Wettbewerbskommissarin.

(Bild: dpa, Piotr Nowak/PAP/dpa)

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Europa soll sich im Handel unabhängig von China und Russland machen und dafür auf die Hilfe mehrerer verschiedener Länder zurückgreifen. Das fordert die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Margrethe Vestager. Der Kontinent dürfe Abhängigkeiten überdies nicht einfach als Teil des Geschäfts akzeptieren. Daher müsse die EU beispielsweise auch das Recycling ausbauen und höhere Preise in Kauf nehmen.

Ein Großteil der europäischen Industrie basiere auf "billiger Energie" und "billiger Arbeitskraft", wie Vestager in einem Interview gegenüber dem Handelsblatt sagte.

Der Aussage von EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton, Europa sei bei industriepolitischen Entscheidungen naiv gewesen, widersprach Vestager – vielmehr sei die EU gierig gewesen. Als Beispiel nannte sie, dass "ein großer Teil der europäischen Industrie auf sehr billiger Energie aus Russland, auf sehr billiger Arbeitskraft aus China und auf hochsubventionierten Halbleitern aus Taiwan" basiere. Rohstoffe, die für Batterien, Solarpaneele und Halbleiter benötigt werden, stammen aus der Ukraine, Russland oder China. Die Abhängigkeit von Russland war ebenfalls risikobehaftet.

Den Ausbau der Beziehungen zu den USA über den Trade and Technology Council (TCC) im Falle politischer Unstimmigkeiten hält Vestager nicht für riskant. Mit dem TCC wollen die EU und USA ein milliardenteures Subventionswettrennen bei Halbleitern vermeiden und beispielsweise bei der Entwicklung von Megawatt-Ladestationen kooperieren. Für eventuelle Knappheiten sei ein "Frühwarnsystem" beschlossen worden. Dies sei "parteipolitisch neutral".

In "schweren Zeiten" sei ein Handel mit USA, Japan, Singapur und Südkorea nötig. Für bestimmte Rohstoffe braucht es nach Ansicht Vestagers eine "langfristige Perspektive" mit Ländern wie Kanada, Norwegen und Australien. Dies ist aufgrund der dortigen Umweltgesetze und Arbeitsschutzregelungen allerdings teurer – vor allem für die Verbraucher. Ebenso verhalte es sich mit dem Flüssiggas aus den USA, Nigeria, Katar und weiteren Ländern, allerdings ließe sich dadurch die Versorgungssicherheit gewährleisten. Europa müsse eine Sicherheitsprämie zahlen. Die "Diversifizierung der Versorgung" habe ihren Preis.

Bezüglich der Gaspreise machte Vestager Hoffnung: Sofern die Europäer gemeinsam verflüssigtes Erdgas einkaufen, könne dies die Gaspreise stabilisieren und senken. Vor staatlicher Intervention bei den Gaspreisen warnte sie, da der durch das subventionierte Gas erzeugte Strom dann an die Nachbarländer abfließen würde. Ihre Kollegen seien derzeit dabei, einen gemeinsamen Einkauf zu ermöglichen. Der vergangene Woche vorgestellte Plan "Repower EU" soll die Abhängigkeit um zwei Drittel reduzieren – bis Ende 2022. Ziel des Programms ist es, Energie zu sparen, sauber zu erzeigen und die Energieversorgung zu diversifizieren.

Ob es neben Spanien und Portugal in noch weiteren Ländern einen Preisdeckel geben wird, müsse man individuell entscheiden. Außerdem erachtet Vestager diese Option als nicht erstrebenswert, da Gaserzeuger dann für die "Differenz zwischen Höchstpreis und Börsenpreis" entschädigt werden müssten. Den Ausgleich zahlen Vestager zufolge wiederum die Verbraucher – ein Teil des billig erzeugten Stroms fließe dann in die Nachbarländer ab. Bei Spanien und Portugal sei das nicht problematisch, da ihr Stromnetz weniger mit anderen Ländern verbunden ist. Allerdings stelle eine "Renationalisierung der Energiemärkte" aufgrund möglicher Stromausfälle ebenfalls keine Option dar.

Die regulierten Preise würden Vestager zufolge nicht im Widerspruch zur europäischen Wettbewerbspolitik stehen und flexibel stehen. Gemäß EU-Vertrag ließen sich im Fall einer "schwerwiegenden Störung" spezielle Regeln aufstellen. Gleichzeitig wird laut Vestager sichergestellt, dass der Binnenmarkt für eine Erholung erhalten bliebe. Für eine erste Halbleiterproduktion in Europa seien schon die Grundlagen geschaffen worden.

Zudem forderte Vestager einen "Solidaritätsmechanismus für besonders abhängige Länder". Für ein sechstes Sanktionspaket gegen Russland würden die Verhandlungen noch laufen. Da Öl in dem Paket inbegriffen ist, werde dieses Paket "schwere Auswirkungen" für Russland haben.

(mack)