MIT Technology Review 4/2022
S. 14
Titel
Essay

Der neue Code des Lebens

Der Name ist ein Paradoxon: Synthetische Biologie. In ihr verbinden sich Natur und Ingenieurwissenschaften. Sie schafft neue Lebensformen und mit ein wenig mehr Übung wird es irgendwann vermutlich gelingen, sogar Leben selbst zu kreieren. Die noch junge Disziplin stößt gerade in vielerlei Hinsicht in kompliziertes Terrain vor: technologisch, emotional, ethisch.

Jo Schilling

Synthetische Biologie (Synbio) ist in das neue Jahrtausend geboren. Schnell wurde sie zu einem Hype stilisiert. Kein Forschungsförderer, der nicht einen üppigen Synbio-Topf gehabt hätte. Inzwischen ist sie erwachsen geworden und es wird sichtbar, welches Potenzial in der Technologie steckt. RNA-Impfstoffe schützen Millionen Menschen vor Covid-19; Car-T-Zellen heilen bisher unbehandelbare Krebsformen; Mikroorganismen wandeln CO2 in Industriechemikalien um. Das sind nur drei aktuelle Beispiele aus der großen Synbio-Schatzkiste.

Aber es bleibt schwierig mit ihr. Tief sitzt die Angst vor dem Kontrollverlust, wenn Menschen die Prinzipien der Evolution aushebeln und Mikroben, Pflanzen oder Tiere am Reißbrett designen, Pflanzen- und Tierwelt vermischen. In den Forschungsförderungsprogrammen ist der Name nur noch selten zu finden. Es geht nicht mehr um das Werkzeug, sondern um die Inhalte. Das ist das Schicksal einer Querschnittsdisziplin. Und es ist ein Tribut an die Erfahrungen mit den Diskussionen um gentechnisch veränderte Organismen seit der Erfindung der grünen Gentechnik in den 1980er–Jahren. Auf den Labortüren steht deshalb Krebsforschung oder medizinische Diagnostik, organische Chemie in den unterschiedlichen Facetten – von Feinchemie über Massenchemikalien oder auch Energieträger wie Biomethanol oder -diesel –, neue biologische Materialien, Bausanierung oder Saatzucht.