MIT Technology Review 5/2022
S. 66
Report
Digitales Glücksspiel
Bill Kirwa hat seinen Wettgewinn in ein Auto investiert, um für Wasili, einen Uber-ähnlichen Taxidienst, zu fahren. Aber er spielt weiter. Inzwischen hat er die Soundanlage des Autos verkauft, um Wettschulden zu bezahlen.
Bill Kirwa hat seinen Wettgewinn in ein Auto investiert, um für Wasili, einen Uber-ähnlichen Taxidienst, zu fahren. Aber er spielt weiter. Inzwischen hat er die Soundanlage des Autos verkauft, um Wettschulden zu bezahlen.
Foto: Brian Otieno

Ein Casino in jeder Tasche

In Kenia und anderen afrikanischen Ländern hat die Kombination aus Smartphones, einfachen mobilen Bezahlsystemen und einer traditionellen Leidenschaft für Sportwetten ein hartnäckiges Problem hervorgebracht: einen Online-Glücksspiel-Boom.

Jonathan W. Rosen (Übersetzung: Dr. Jo Schilling)

Als Bill Kirwa samstagabends eine Mitfahrgelegenheit in einem Sandlaster ergatterte, hatte er sie fast schon wieder vergessen – die Wette, die er am Nachmittag abgeschlossen hatte: vier Fußballspiele auf drei Kontinenten. Für einen Gewinn musste er voraussagen, welche Mannschaft sowohl zur Halbzeit als auch zum Ende der Spielzeit vorne liegen würde. Unterwegs und pleite war Kirwa so sehr damit beschäftigt gewesen, einen Shuttle nach Hause zu finden, dass er den Ausgang der ersten drei Spiele gar nicht mitbekam: Sie waren exakt so ausgegangen, wie er es vorausgesagt hatte.

Dann, 8000 Kilometer entfernt im Stadio Olimpico in Rom, schoss Lorenzo Insigne mit Wucht aufs Tor. Damit siegte seine Mannschaft Napoli mit 2:1 im ersten Spiel der italienischen Serie A. Kirwa lag auch dieses Mal richtig, und während der Sandlaster durch das westliche Hochland Kenias rumpelte, pingte ihn sein Infinix-Smartphone an. Die Wette über 3500 kenianische Schilling – etwa 30 Euro – hatte er mit einem mobilen Bezahlsystem abgeschlossen, für das kein Konto erforderlich ist. Diese 30 Euro hatten sich durch Insignes Schuss in 8000 Euro verwandelt. Beinahe hätte er aufgeschrien, doch mit einem Blick auf den Fahrer besann er sich eines Besseren. „Ich wollte nicht, dass der Typ etwas merkt“, erinnerte er sich. „Seit dem Tag, an dem ich geboren wurde, hatte ich noch nie so viel Geld gesehen.“