MIT Technology Review 2/2024
S. 104
Review
Meinung

Ist das schon Diskriminierung?

Brille, Abnehmspritze, Globuli: Welche Leistungen Krankenkassen bezahlen und welche nicht, ist oft kaum nachvollziehbar.

Schon lange finde ich es empörend, dass die Kosten für Brillen oder Kontaktlinsen in der Regel nicht mal anteilig von den Krankenkassen übernommen werden. Das liegt natürlich vor allem daran, dass ich selbst betroffen bin und ganz sicher weiß: Meine Kurzsichtigkeit ist keine Lifestyle-Entscheidung und die Brille kein Placebo. Ohne Sehhilfe geht es schlicht nicht. Auch jüngere Familienmitglieder könnten davon ein Lied singen. Bei ihnen erlischt der Anspruch auf eine ohnehin eher knapp bemessene Zuzahlung mit dem 18. Geburtstag und am Ende haben Mama und Papa eben doch einen Pfennig zugezahlt – in der Regel sogar mehrere. In einem Leben mit Durchschnittslänge können sich die Kosten für Sehhilfen auf mehrere Hunderttausend Euro aufsummieren. Ist das schon Diskriminierung? Es fühlt sich zumindest ein bisschen so an.

Die Brille ist nur ein Beispiel für Ungereimtheiten im Dschungel der Kassenleistungen. Dass etwa Menschen mit Adipositas nur in Ausnahmefällen Therapieangebote bezahlt bekommen, bezeichnen auch Mediziner als Stigmatisierung. Die Diskussion ist mit den neuen hochwirksamen Abnehmspritzen gerade wieder entbrannt. In einer Studie konnten Probanden mit einem BMI von über 30 – bei regelmäßigen Injektionen – in nur wenigen Monaten im Schnitt fünf Prozent ihres Gewichts loswerden. Die Wirkstoffe wurden ursprünglich zur Blutzuckerregulierung entwickelt und werden Diabetes-Patienten anstandslos verschrieben – Menschen mit Adipositas hingegen nicht. Auch für andere Abnehmmedikamente, eine Magenverkleinerung, Verhaltens-, Bewegungs- und Ernährungstherapien kommen die Kassen in der Regel nicht auf. Dabei kann Adipositas lebensbedrohliche Folgeerkrankungen nach sich ziehen und ist seit 2020 eine offiziell anerkannte chronische Krankheit. Die Biologie, ein verändertes Belohnungssystem im Gehirn und die Genetik sind verantwortlich – und nicht ein schwacher Wille, wie viele Nicht-Betroffene wohl noch immer glauben.