Heimlicher Held: Test Mitsubishi L200

Mitsubishis L200 kann Dinge, die Konkurrenten nicht können. Ein zufällig passierter Test enthüllt ein bemerkenswert gutes Fahrzeug mit einer großen Schwäche.

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Mitsubishi L200
Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Unverhofft kommt selten, aber manchmal eben doch. So saß ich im Umfeld des Defender-Tests unlängst unerwarteterweise hinter dem Steuer eines aktuellen Mitsubishi L200. Aah, der Geruch der Neunzigerjahre! Doch auf schwierigen Strecken hinauf zu Skiliften und Wetterstationen zeigte sich beim Fahren ein unerwartet gutes Auto, das mir vorher irgendwie nie so recht auf dem Radarschirm aufgeblippt ist. Also, ich wusste, dass es dieses Auto gibt. Es stellte sich mir nur die Frage, die ich mir auch zu jedem Peugeot stelle: Warum sollte ich das fahren wollen? Die Berge gaben mir eine eindeutige Antwort. Die möchte ich nun etwas auseinanderklamüsern für Andere, denen es angesichts des scheußlichen Gesichts des L200 ähnlich gehen mag wie mir vor der Probefahrt.

"Kann ich den Defender mal fahren?" "Öhm. Ja? Und ich fahre dann den L200? Ok."

(Bild: Sebastian Bauer)

Der Kollege Florian Pillau schrieb zum Vorgänger einen sehr ausführlichen Test, der von seiner langjährigen Kenntnis der Modellbaureihe lebt. Dem gibt es in der aktuellen Version nur wenig hinzuzufügen, weil das Auto in seinen Grundzügen so blieb, doch möchte ich einige Punkte wiederholen und Neuheiten kontrastieren. Denn wie ich weiß der Leser wahrscheinlich schon, dass der L200 existiert, aber dass er in manchen Dingen ganz allein am Markt steht, das wissen bereits nur tiefer Interessierte. Wir testeten parallel zum neuen Defender im Piemont auf Strecken bis SG 4/5 auf Denzels (ja: bedingt nützlicher) Alpenstraßenskala. Das sind Wege, die Alpen-Pickups tatsächlich zu Wetterstationen und Ski-Infrastruktur fahren.

Der Mitsubishi L200 hat als einziger Pickup am Markt ein offenes Mittendifferenzial, in dem der Planetenradsatz eine fixe Kraftverteilung von 40 Prozent vorn, 60 hinten erzeugt. Normalerweise treibt bei Pickups dieser Bauart und Größe der Motor auf der Straße die Hinterachse an und die Vorderachse kann man auf losem Grund an den Antrieb koppeln – das jedoch fix geschlossen, ohne Differenzialfunktion. Bei den langen Radständen von Pickups führt das zu erheblichen Verspannungen, Vergrößerungen des Wendekreises und nicht zuletzt wie von Florian für den Gärtnereibetrieb bemerkten Beschädigungen des Untergrunds.

Mitsubishi bietet noch dazu mit 11,8 m einen kleineren Wendekreis an als die direkte Konkurrenz. Zusätzlich gibt es den Pickup-typischen Hinterachsantrieb ("2H"), der Käufern des differenzierten Allradantriebs allerdings kaum Nutzen bringt. In der Praxis liegt der Verbrauchsvorteil von 2 gegenüber 4 angetriebenen Rädern bei rund 0,2 Litern Diesel auf 100 km. Am Fahrgeräusch konnte ich persönlich keinen Unterschied feststellen. Der L200 hat mittlerweile wie die Pickup-Konkurrenz eine recht gut gedämmte Kabine mit viel PKW-Komfort.

Mitsubishi L200 auf Tour (5 Bilder)

Mitsubishi L200 mit Camping-Ausbau und Dachzelt. Tolles Auto!
(Bild: Sebastian Bauer)

Im Alltag kann also (Differenzial sei Dank) "4H" dauerhaft drin bleiben. Das Auto fährt damit fast alle benötigten Orte problemlos an, denn eine zusätzliche Visco-Bremse im Mittendifferenzial verhindert ein Durchdrehen einzelner Achsen/Räder. Auf Asphalt liegt der L200 mit einigen Updates bei der Modellüberholung 2019 bemerkenswert sicher: neue Bremse vorn, modifiziertes Chassis. Die Starrachse neigt konstruktionsbedingt wie bei Konkurrenten unter unbeladener Pritsche gelegentlich zum Trampeln. Nur selten braucht es "4HLc" (Straßenübersetzung mit voll gesperrtem Mittendifferenzial) und "4LLc" (Geländeübersetzung mit voll gesperrtem Mittendifferenzial).

Bei unseren Fahrten bis auf 3000 Meter Seehöhe bei steilen Steigungen ging dem Motor trotz Turbolader irgendwann die Puste aus, sodass Steigung und Seehöhe bisweilen nach der niedrigen Übersetzung verlangten. Auf 4LLc kann man wie bei anderen Pickups zusätzlich das Hinterachsdifferenzial per Knopfdruck sperren. Damit fräst sich der L200 selbst mit Wurstfingern und damit einhergehender leichter Gewaltanwendung durch zunächst aussichtsarm scheinende Passagen. Leider lässt Mitsubishi den Fahrer die Geländeuntersetzung weiterhin nicht bei offenem Mittendifferenzial verwenden, obwohl technisch wenig dagegen spricht, funktional aber einiges dafür.

Auf dieser sehr guten Basis bietet Mitsubishi zusammen mit ausgewählten Ausrüstern Sonderaufbauten und -ausstattungen maßgeschneidert für die verschiedenen Anwendungen eines Pickup an. Es gibt die obligatorischen Gelände-Varianten mit kompetenter Höhergelegung, es gibt Hundetransporter, Pickup-Camper mit Dachzelten, Werkzeugträger, einen Jagd-Wagen (mit Kadaverkran!), einen Dreiseitenkipper, und das alles regelt der Kunde über einen Anprechpartner: den Vertragshändler.

Mitsubishi L200 Aufbauten (6 Bilder)

Dieses Dachzelt fuhren wir spazieren. Vom Zelt war ich (anders als vom Auto) eher unterbeeindruckt. Ich würde es angesichts des großen Angebots guter Dachzelte nicht empfehlen. Hinten auf der Pritsche sind Schubladen mit Regalen, Waschbecken und Kocher untergebracht.
(Bild: Mitsubishi)

Vorsicht beim Konfigurieren: Mitsubishi bietet den L200 in einer Basisversion mit "zuschaltbarem Allradantrieb" an (also wie die Konkurrenz). Hierin schließt eine schlichte Kupplung die Achsen zusammen, während der Fahrt bis 100 km/h. Für das so gelobte, alleinstellende offene Mittendifferenzial müssen Sie die 6200 Euro teurere Ausstattungsvariante "Plus" kaufen. Wie Florian bereits schrieb: Soo dringend braucht es der Handwerker dann eben doch oft nicht, und die im Plus-Paket obligatorischen Alufelgen sind in einem gerölligen Alltag auch eher kontraproduktiv, müssen aber dennoch bezahlt werden, wenn man das Differenzial braucht.

Der neue Alublock-Vierzylinder-Dieselmotor hinterlässt fahrzeuggewichtsbedingt einen etwas mageren Eindruck. Die kräftigere Motorisierung mit 181 PS strich Mitsubishi aus dem Programm. 110 kW (150 PS) reichen zwar meistens, aber eine stärkere Alternative wäre schön, wie sie etwa Toyota im Hilux (150 kW / 204 PS) oder Ford im Ranger (156 kW / 213 PS) anbieten. VWs Amarok gibt es bei uns gar nur mit einem 190 kW starken V6-Diesel. Wir können lange darüber diskutieren, wie viel Leistung Leute BRAUCHEN, aber der Trend der letzten 20 Jahre ist klar zu dem, was sie WOLLEN: mehr. Der Vollgasanteil im Mitsubishi liegt auf Alpenstraßen sehr hoch, die Überholreserven niedrig. Das Fahrzeug wiegt ja über 2 Tonnen, darf 1087 kg zuladen und 3,1 Tonnen ziehen. Es würde mit 200 PS jetzt nicht plötzlich zum Sportwagen.

Nennenswert für den Betrieb auf gerölligem Grund: Das Lenkrad kickt über die Servo-unterstützte Zahnstangenlenkung deutlich zurück. Die Mahnung der alten Hasen mit "Daumen nicht in den Innenkranz stecken" treibt an die Oberfläche, nur zur Sicherheit. Gleichzeitig gibt die Lenkung im Straßenbetrieb wenig Feedback. Florian wünschte sich im Vormodell die (teurere) Kugelumlauflenkung der älteren Generationen zurück.

Das erste limitierende Element des Testfahrzeugs auf alpinen Schlechtwegstrecken war die tief hängende Towbar hinten (selbst bei demontierter AHK) am sehr ausladenden Arsch des L200 (er hat Radstand-bedingt den größten Hintern-Überhang seiner Klasse). Wer wie wir mit dem Pickup ohne Hänger zum Skilift fahren will, lässt die Anhängekupplung samt Querstrebe weg. Die nächsten limitierenden Elemente sind die Überhänge und der Bauch zwischen den Achsen. Die Hinterachse passt sich recht geschmeidig dem Terrain an, die Vorderachse mit Einzelradaufhängung hat weniger Spielraum. Der L200 ist eben ein geländegängiges Nutzfahrzeug und kein reines Geländefahrzeug. Gleichwohl müssen Sie lange suchen, um ein geländegängigeres Fahrzeug zu einem vergleichbaren Preis zu finden. Der L200 kommt viel weiter, als seine geometrischen Eckdaten es vermuten ließen.

Mitsubishi L200 innen (5 Bilder)

Zwei Runduhren, ein Bildschirm dazwischen, gut lesbar
(Bild: Sebastian Bauer)

Wie so oft verlängern die aus anderen Fahrzeugen des Konzerns adaptierten Software-Gimmicks die Feature-Liste, ohne die Funktionalität nennenswert zu verbessern. Es gibt zum Beispiel einen Knopf, der zwischen Schotter, Schnee und ähnlichem unterscheiden lässt. Im Fahrersitz ist nicht feststellbar, was dieser Knopf eigentlich tut, und das ging auch anderen Testern so (siehe etwa Explorer-Magazin). Nachgeschlagen: Der Knopf passt die Schlupfregelung (denglish: "Traktionskontrolle") auf diese Untergründe an. Vielleicht tut er aber auch nur so, keine Sau würde es merken. Über die "Bergabfahrhilfe" an sich habe ich mich schon beim Defender echauffiert, Mitsubishis Angebot ändert daran nichts. Die Stärken des L200 liegen in seiner Grundkonzeption, nicht in solchen leeren Bonbonpapierchen.

Nachdem ich wie die junge Frau zum Kinde zum Test verschiedener Pickups kam (nämlich durch tendenzielles "Ja!"-sagen), ist noch interessant, wieso ich mich für einen Hilux interessierte, während der L200 an mir vorbeiging und mir nur zufällig als absolute Perle in meinen Schweinetrog fiel. Die Antwort dürfte in Deutschland recht eindeutig das Design sein. Wenn ich am Stammtisch meine vom Himmel gefallene Position als Pickup-Berater wahrnehme, kann ich den Interessenten nicht für Geld und gute Worte einen L200 ans Herz wärmen. Sie kaufen weiterhin Ford Ranger, am liebsten mit viel Brutalo-Optik-Klimbim als Liebhaberfahrzeug. Mitsubishi hat den L200 gestalterisch zu stark auf die stückzahlenstarken Hauptmärkte in Asien angelegt, um die recht spezielle Zielgruppe der deutschen Pickup-Liebhaber zu erreichen.

Hierin liegt eine Chance für Menschen, die weniger Anmutung als vielmehr überragende Funktion suchen. Fahren Sie doch einfach mal einen L200 parallel zu einem Ranger über die berühmte nasse Wiese, zur Skihütte (auf den Hintern achten!) oder auf die Gummistiefel-Baustelle. Liebe ist ja etwas, an dem man arbeiten kann, und der L200 belohnt eine solche Arbeit mit zu entdeckenden erstaunlichen inneren Werten.

Der Mitsubishi L200 kostet als PLUS-Version mit permanentem Allradantrieb und Doppelkabine ab 41.190 Euro.

Motor und Antrieb
Motorart Diesel
Zylinder vier
Ventile pro Zylinder vier
Hubraum in ccm 2268
Bohrung x Hub in mm 86,0 x 97,6
Leistung in PS 150
Leistung in kW 110
bei U/min 3500
Drehmoment in Nm 400
bei U/min 1750 bis 2250
Antrieb Allrad, permanent, abschaltbar
Gänge sechs
Getriebe Wandlerautomat
Kraftverteilung zentrales Differenzial, Planetenradgetriebe (40:60), Viskobremse
Fahrwerk
Spurweite vorn in mm 1520
Spurweite hinten in mm 1515
Radaufhängung vorn Doppelquerlenker
Radaufhängung hinten Starrachse, Blattfedern
Bremsen vorn Scheibe, innenbelüftet
Bremsen hinten Trommel
Wendekreis in m 11,8
Räder, Reifen vorn 7,5 J x 17; 245 / 65 R 17
Räder, Reifen hinten 7,5 J x 17; 245 / 65 R 17
Lenkung Zahnstange, unterstützt
Geländekompetenz
Böschungswinkel vorn in Grad 30
Böschungswinkel hinten in Grad 22
Rampenwinkel in Grad 24
Steigfähigkeit in Prozent 70
Wattiefe in mm 600
Bodenfreiheit in mm 205 (Differenzialkorb hinten)
Maße und Gewichte
Länge in mm 5305
Breite in mm 1815 (2165 über Spiegel)
Höhe in mm 1780
Radstand in mm 3000
Leergewicht in kg nach EU inklusive 68 kg Fahrer und 7 kg Gepäck 2098
Zuladung in kg 1087
Anhängelast, gebremst in kg 3100
Dachlast in kg 80
Tankinhalt in Liter 75
Tankinhalt Adblue in Liter 21
Fahrleistungen / Verbrauch
Höchstgeschwindigkeit in km/h 174
Beschleunigung 0-100 km/h in Sekunden 12,4
Elastizität von 80-120 km/h in Sekunden 4,7
EG-Gesamtverbrauch in Liter/100 km 7,6
EG-Verbrauch innerorts in Liter/100 km 8,5
EG-Verbrauch außerorts in Liter/100 km 7,1
Testverbrauch Gesamt in Liter/100 km 10,1
CO2-Emission in g/km 200
Abgasnorm Euro 6d

(cgl)