Run auf die Akten?

Interview mit Alexander Dix, dem Landesbeauftragten für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht in Brandenburg

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Informationsfreiheit zu verwirklichen ist nicht einfach. Wieviele Informationen sollen die Verwaltungen innerhalb welches Zeitraums für welchen Preis herausgeben? Wie ist der Datenschutz zu gewährleisten.? Wie kann der Bürger überhaupt auf die sich mit einem Akteneinsichtsrecht bietenden Möglichkeiten aufmerksam gemacht werden? In Brandenburg wissen die "Informationsbefreier" und ihre Gegenüber in den Verwaltungen ein Lied von den Anfangswehen im Umgang mit der ungewohnten Freiheit zu singen.

Brandenburg war im März 1998 Pionier in Fragen Informationsfreiheit. Nachdem die Verfassung des Landes in Artikel 21 bereits ein Recht auf Einsicht in Akten und sonstige amtliche Unterlagen garantierte, machten die Märker mit dem Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz Ernst.

Als Wächter über die Informationsfreiheit wurde der Landesdatenschutzbeauftragte, Alexander Dix, bestellt, der vor kurzem in seinem Tätigkeitsbericht ein Resümee des ersten Jahres gezogen hat. Überraschend war für Dix vor allem, daß der große Ansturm auf die Rathäuser zunächst ausblieb. Viele Anfrager wollten zudem vor allem wissen, welche Daten die Verwaltungen über sie selbst gespeichert haben, und meinten, diese Einsicht sei erst durch das neue Gesetz möglich. Solche Auskunftsrechte bestehen in Brandenburg allerdings bereits seit kurz nach der Wende - sie gehören allgemein zum Grundbestandteil des Datenschutzrechts. Ein Informationszugangsgesetz formuliert weit darüber hinausgehende Rechte.

Stefan Krempl befragte Alexander Dix nach den (Miß-) Erfolgen des ersten Jahres, nach der Einbettung des brandenburgischen Vorstoßes in gesamtdeutsche und europäische Vorhaben und nach Möglichkeiten, die Lust des Bürgers an der Informationsfreiheit zu wecken.

Brandenburg hat als erstes und bislang einziges Bundesland ein Akteneinsichts- und Informationszugangsrecht. Das Gesetz ist jetzt seit einem Jahr in der praktischen Erprobung - was sind bisher die wichtigsten Erfahrungen?

Alexander Dix: Die Verwaltung ist nicht - wie von einigen im Gesetzgebungsverfahren befürchtet - zusammengebrochen. Diese Angst wurde auch bei Einführung der ersten Datenschutzgesetze Anfang der 70er Jahre geäußert und ist damals ebensowenig eingetreten. Auch die Wirtschaft ist nicht aus Brandenburg abgewandert, weil ihre bei den Behörden vorliegenden Unterlagen von Konkurrenten ausgespäht worden wären. Selbst das wurde ja befürchtet.

Diejenigen, die sich zuerst auf das neue Gesetz berufen haben, waren und sind Journalisten, die das neue Recht - legitimerweise - für Recherchezwecke nutzen wollen. Außerdem haben Bürgerinitiativen Zugang zu Informationen der öffentlichen Verwaltung im Zusammenhang mit Planungsverfahren verlangt. Einzelne Bürger haben bisher dagegen erst selten ihr Grundrecht auf Informationszugang, das durch das neue Gesetz konkretisiert wird, geltend gemacht.

Warum sind die Bürger so "akteneinsichtsmüde" und nutzen ihre Rechte nicht?

Alexander Dix: Dafür gibt es mehrere Gründe: Zum einen ist das Gesetz sehr kompliziert, sehr anwender-unfreundlich formuliert. Das Gesetz ist außerdem bisher noch zu wenig bekannt und enthält sehr viele Einschränkungen, über deren Berechtigung sich streiten läßt, die aber den praktischen Anwendungsbereich des Gesetzes stark eingrenzen.

Informationszugangsrechte sind politische Rechte - Wissen ist Macht, wie Francis Bacon schon sagte. Das Grundrecht auf Informationszugang ist nach der Brandenburgischen Verfassung Teil und Voraussetzung des Grundrechts auf politische Mitgestaltung. Die Neigung, von politischen Rechten Gebrauch zu machen, ist gegenwärtig eher gering - das gilt meiner Meinung nach nicht nur für die neuen Bundesländer. Den Bürgern muß noch stärker verdeutlicht werden, daß Demokratie sich nicht auf einen Wahlakt alle vier Jahre beschränkt, sondern ein kontinuierlicher Prozeß ist. Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus, heißt es im Grundgesetz, nicht: Alle Staatsgewalt geht dem Volke aus.

Sind Verwaltungen überhaupt "reif" für die neue Transparenz?

Alexander Dix: Die Verwaltungen sind vielfach besser als ihr Ruf. Viele Landes- und Kommunalverwaltungen haben sich durchaus sorgfältig auf die neue Rechtslage vorbereitet - und waren überrascht, daß der Run der Bürger auf die Akten bisher ausblieb. Allerdings muß teilweise auch noch ein gewisses Wagenburg-Denken überwunden werden. Es wird genau wie beim Datenschutzrecht mit Sicherheit einige Jahre dauern, bis sich in der Verwaltung eine Kultur der Offenheit durchgesetzt hat, die auch nicht auf Informationsverlangen der Bürger wartet, sondern so viel wie möglich Informationen, bei denen das möglich ist, z.B. über das Internet, verfügbar macht.

Das brandenburgische Gesetz ist von Beobachtern bereits kurz nach seiner Erlassung gerne als "Akteneinsichtsverhinderungsgesetz" bezeichnet worden. Wo liegen die "Knackpunkte", was muß geändert werden und wie könnte die Bundesregierung, die in ihren Koalitionsvereinbarungen ein Informationszugangsrecht angekündigt hat, die brandenburgischen Erfahrungen nutzen?

Alexander Dix: Zunächst muß die Liste der Ausnahmen drastisch reduziert werden. Der zweite Faktor sind die Kosten: Es ist entscheidend, daß eine informationszugangsfreundliche Kostenregelung getroffen wird. Die ist bisher im Gesetz nur in allgemeiner Form enthalten, die Landesregierung hat sich aber noch nicht auf eine Gebührenordnung geeinigt. Die Ausübung eines Grundrechts darf nicht mit prohibitiven Kosten belegt werden. Insofern wird die Bundesregierung auch die überzogene Gebührenregelung im Umweltinformationsgesetz des Bundes bald korrigieren müssen, wenn der Europäische Gerichtshof - wovon ich ausgehe - einen Verstoß der Bundesrepublik gegen Gemeinschaftsrecht (die entsprechende Umweltinformationsrichtlinie) feststellt. Ein entsprechendes Vertragsverletzungsverfahren ist am Laufen. Der dritte Faktor ist die Zeit bis zur Informationsabgabe: Das brandenburgische Gesetz enthält keine Vorgaben, wie schnell die Verwaltung über den Informationszugang entscheiden soll. Entsprechende Anträge können durch verzögernde Behandlung zunichte gemacht - "ausgesessen" - werden. Hier muß eine klare Festlegung getroffen werden.

Ist ein "Informationsfreiheitsgesetz" angesichts der zahlreichen mit ihm verbundenen Problemfelder - Datenschutz, Preisgestaltung, Wettbewerbsfragen - überhaupt bürgerfreundlich zu gestalten?

Alexander Dix: Es ist schwierig, aber nicht unmöglich. Es muß eine Entwicklung wie im Datenschutzrecht vermieden werden, wo die Gesetzgebung immer komplizierter und unverständlicher wird. Im wesentlichen besteht dasselbe Dilemma wie bei jeder Gesetzgebung: entweder man greift zu einer kasusistischen, Fall für Fall geltenden Beschreibung der einzelnen Problemfelder und Ausnahmen (so das Brandenburger Beispiel) oder man flieht in Generalklauseln, aus denen der Bürger aber wiederum nicht ablesen kann, wieweit seine Rechte im konkreten Fall gehen. Hier muß ein vernünftiger Mittelweg gefunden werden.

Warum tut sich Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern so schwer mit einem Informationsfreiheitsgesetz?

Alexander Dix: Das liegt an einer bestimmten Rechts- und Verwaltungskultur, die bisher auf prinzipieller Geheimhaltung des Verwaltungswissens, auf einem "Arkanbereich" des Staates beruhte. Der Bürger muß sein Interesse am Informationszugang begründen, wenn es ausnahmsweise befriedigt werden soll, nicht die Verwaltung ihr Interesse an der Geheimhaltung. Deutschland ist aber in Europa nicht ganz allein, denn auch Großbritannien hat erst jetzt - aber immerhin vor der Bundesrepublik - den Entwurf für einen Freedom of Information Act veröffentlicht. Auch dort gilt bisher noch das Prinzip der Geheimhaltung von Verwaltungsinformationen. Eine ganz andere Tradition haben die skandinavischen Länder, aber auch Frankreich, die bereits seit längerem über ein Informationszugangsrecht verfügen.

Welche Rolle kann das Internet bei der Umsetzung des Informationszugangs spielen? Wie sind die konkreten Planungen in Brandenburg?

Alexander Dix: Das Internet wird die Bürger-Staat-Kommunikation mit Sicherheit verändern, nicht nur beim Informationszugang, sondern auch im Verwaltungsverfahren (Anmeldung, Kfz-Zulassung etc.). Nicht-personenbezogene Informationen über die Verwaltung können in kostengünstiger Form über dieses Medium zur Verfügung gestellt werden. Dazu können auch öffentliche Internet-Kioske z.B. in Büchereien eingerichtet werden. Bei der Einsichtnahme in Akten mit personenbezogenem Inhalt birgt das Internet allerdings erhebliche datenschutzrechtliche Risiken, die erst beherrscht werden müssen.

In Brandenburg erarbeitet die Stadt Rathenow gegenwärtig ein Konzept zur elektronischen Akteneinsicht, für das sie im Rahmen des Städtwettbewerbs Media@komm ausgezeichnet worden ist. Dieses Konzept wird die angesprochenen Fragen miteinbeziehen müssen.

Ist der über das Netz zur Verfügung gestellte Infozugang von einem Anspruch auf einen "Universal Service", auf einen eventuell kostenlosen Internetanschluß, zu trennen?

Alexander Dix: Wenn das Recht auf Informationszugang wie in Brandenburg Grundrechtsqualität hat, dann muß die Verwaltung im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten darauf hinwirken, den Bürgern einen kostenlosen oder zumindest preisgünstigen Internet-Zugang zu eröffnen, wie das bei den Bürgernetzvereinen in Rathenow und in Bayern auch der Fall ist.

Wie beurteilen Sie das Grünbuch der Europäischen Union über die Informationen des öffentlichen Sektors sowie die aktuelle Diskussion um den Freedom of Information Act in den USA? Sind die Förderung des Zugriffs auf öffentliche Informationen und das Streben nach Verwertung der sich in Verwaltungen ansammelnden "Datenschätze" Ihrer Meinung nach zu vereinbaren?

Alexander Dix: Das Grünbuch hebt zwar die Bedeutung des am 1. Mai 1999 mit dem Vertrag von Amsterdam in Kraft getretenen Informationszugangsrechts aller Unionsbürger zu EU-Dokumenten für die Unterstützung des demokratischen Prozesses hervor, sein Schwerpunkt liegt aber doch eher auf der kommerziellen Nutzung der bei der öffentlichen Verwaltung vorhandenen Informationen und ist insofern vergleichbar mit dem Ansatz in den USA. Dagegen steht in Brandenburg die Bedeutung des Informationszugangs für die politische Mitgestaltung im Vordergrund.

Das Grünbuch enthält nur einen eher lakonischen Hinweis auf die datenschutzrechtlichen Probleme des Informationszugangs, faßt aber eine Hintanstellung der Datenschutzrechte Betroffener auch gegenüber den kommerziellen Interessen privater Unternehmen an den Informationen offenbar ins Auge. Hier muß nach meiner Auffassung der betroffene Bürger die letzte Entscheidung behalten, ob seine Daten zum "Data Mining" oder "Data Warehousing" für externe Infomationsinteressenten wie zum Beispiel Marketing-Firmen freigegeben werden.

Auch in Brandenburg muß das Datenschutzinteresse ausnahmsweise nur dann dem Informationsinteresse weichen, wenn dies im Hinblick auf den Zweck der politischen Mitgestaltung und nicht im Hinblick auf die kommerzielle Verwertung der Daten gerechtfertigt erscheint. Wirtschaftliche Interessen rechtfertigen es allein nicht, die informationelle Selbstbestimmung des Einzelnen zu übergehen.

Insgesamt wäre es zu begrüßen, wenn die EU-Kommission durch den Erlaß einer Richtlinie auch den Druck auf die Bundesregierung erhöhen würde, ein Informationsfreiheitsgesetz vorzulegen. Zugleich sollten in einem Europäischen Grundrechtskatalog sowohl das Recht auf Informationszugang wie auch das Recht auf Datenschutz verankert werden. Zur Durchsetzung und Unterstützung dieser Rechte sollte nach kanadischem, ungarischem und brandenburgischem Vorbild ein Europäischer Beauftragter für Informationsfreiheit und Datenschutz geschaffen werden.