Großbritanniens Autoindustrie stirbt

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Großbritannien bot den Autoherstellern immerhin zwei Vorteile: Zum einen eine gewachsene Infrastruktur samt etablierter Zulieferindustrie und zum anderen die Zugehörigkeit zum EU-Markt. Das veranlasste Toyota, Honda und Nissan vor einigen Jahrzehnten, Werke in England zu errichten, um so die Zölle für die EU zu umgehen. BMW baute zur Jahrhundertwende ein modernes Werk in Oxford für den neuen Mini, dessen Namensrechte man sich durch den Kauf von Rover gesichert hatte. Ford unterhielt traditionell Produktionsstätten in Großbritannien, ähnliches galt für GM, die Opel-Modelle unter dem Label Vauxhall auf der Insel bauten. Jaguar und Land Rover gehören seit 2008 zum indischen Tata-Konzern, blieben jedoch ihren Standorten in England bislang treu.

Über 850.000 Arbeitsplätze hängen an der Autoindustrie

Seit sich das Vereinigte Königreich in einem Referendum im Juni 2016 mit 51,9 Prozent knapp für den Austritt aus der EU entschieden hat, blickt die britische Autoindustrie mit großer Sorge in die Zukunft. Mehr als 850.000 Arbeitsplätze hängen in Großbritannien direkt oder indirekt an der Autoindustrie. Den ersten Austrittstermin am 31. März 2019 verschob die damalige Premierministern Theresa May, was die Autohersteller zum Teil mit Erleichterung, zum Teil aber auch mit Ärger aufnahmen.

So hatte zum Beispiel BMW seiner Mini-Produktion in Oxford befohlen, die sonst erst im Sommer üblichen Werksferien im April stattfinden zu lassen. Man hätte dadurch erst einmal den schlimmsten Trubel nach dem Brexit an sich vorbeiziehen lassen können. Produktionsprobleme folgten, dazu kamen große Unsicherheiten für den Import der erforderlichen Bauteile nach dem nächsten Brexit-Termin, denn eine Lagerhaltung der einzelnen Teile würde zu immensen Kosten führen.

Produktion um ein Fünftel eingebrochen

Als der neue Premierminister Boris Johnson vollmundig verkündete, dass sein Land am 31. Oktober 2019 auf jeden Fall die EU verlassen würde, ob mit oder ohne Deal, warnten die verbliebenen Hersteller in England ausdrücklich vor den fatalen Folgen. Ihre Produktion ist bereits um rund ein Fünftel im Vergleich zum Vorjahr eingebrochen, sie kam im ersten Halbjahr 2019 auf nur noch 666.521 Pkw.

Die ausländischen Besitzer der britischen Werke haben ihre Investitionen von Januar bis Juni um 70 Prozent runtergeschraubt – was darauf hindeutet, dass sie die Insel verlassen wollen. Nissan ist zurzeit mit 7000 Beschäftigten der größte Autohersteller in Großbritannien, verlagert jedoch bereits einen Teil der Produktion zurück nach Japan. Der japanische Hersteller hatte 1984 seinen Standort in Sunderland im strukturschwachen Nordosten Englands gewählt und wurde dort zu einem der größten Arbeitgeber. Umso erstaunlicher, dass die Einwohner dort mit 61 Prozent für den Brexit gestimmt haben.