De-Globalisierung: Wie die Zeichen für eine europäische Solarindustrie stehen

Seite 3: Nachhaltiger Aufschwung oder Strohfeuer?

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Bei den Zellen und Modulen tut sich also etwas. Doch was ist mit der Wafer-Produktion? Hier setzt das Freiburger Start-up NexWafe an, eine Ausgründung des Fraunhofer ISE. Es will Silizium direkt zu Wafern verarbeiten, statt es erst aufzuschmelzen, erstarren zu lassen und zu zersägen. Dazu wird es verdampft und setzt sich dann als hauchdünne Schicht auf einem wiederwendbaren Saat-Wafer ab. Das erspart nicht nur die Drahtsäge, sondern senkt auch den Materialverbrauch. Laut NexWafe verursacht das Verfahren 30 Prozent weniger Kosten und 70 Prozent weniger CO2-Emissionen als eine herkömmliche Wafer-Produktion.

Bewahrheiten sich die Ankündigungen in der Praxis, habe das Verfahren das Potenzial, "die klassische Wafer-Produktion im Laufe der Zeit abzulösen", urteilt das Fachmagazin Photon. Bisher existiert allerdings erst eine Pilotlinie in Freiburg. Die Serienproduktion wurde immer wieder verschoben. Nun soll sie 2024 beginnen. Geplanter Standort ist – Überraschung! – das Solar Valley.

"Wichtig ist eine gesicherte Marktperspektive", meint Fraunhofer-Forscher Rentsch. Angesichts der ehrgeizigen Ausbauziele sei die Lage heute deshalb eine ganz andere als vor zehn Jahren. "Damals gab es Wachstum nur mit entsprechenden Anreizen. Heute sind die Gestehungskosten so niedrig, dass es sich von alleine trägt. Deshalb kann man guter Hoffnung sein, dass die Branche nicht plötzlich wieder einbricht." Wettbewerbsfähig seien europäische Fabrikation jedenfalls: "Früher hieß es immer: In Asien gibt es niedrigere Lohnkosten. Aber das Argument zieht heute nicht mehr, weil die Fertigung hochautomatisiert ist. Und dazu kommen noch steigende Transportkosten."

Und was ist mit den Fachkräften? Für die Herstellung von Zellen und Modulen macht sich Rentsch wenig Sorgen: "Die Fachleute für Fabrikautomatisierung sind nicht so spezialisiert, dass sie nicht auch aus anderen Branchen kommen könnten" – etwa wenn Zulieferer für Verbrennungsmotoren ihre Portfolios wegen der zunehmenden Elektrifizierung ändern müssen.

Bei der Installation der fertigen Module sei die Lage allerdings etwas anders, so Rentsch: "Da fragt man sich schon, wie das vonstattengehen soll." Andererseits habe es schon vor zehn Jahren genug Handwerker gegeben, um immerhin sieben Gigawatt pro Jahr zu installieren. "Jeder Dachdecker war damals auch Solarteur. Das müsste wiederkommen."

Vieles spricht also dafür, dass die europäische Solarindustrie zu alter Stärke zurückfindet – vor allem die gewaltige Nachfrage. Doch ein Selbstläufer ist dies nicht angesichts der verwickelten internationalen Liefer- und Wettbewerbsbeziehungen.

Politische Instrumente, das zarte Pflänzchen zu hegen, gäbe es genug: Mit den Important Projects of Common European Interest und dem European Chips Act leitet die EU Milliardensummen in die Wasserstoff- und Batteriezellforschung beziehungsweise in den Aufbau einer eigenen Chip-Industrie. So etwas wünschen sich Vertreter der Solarindustrie auch für ihre Branche. Das Geld wäre, meint Gunter Erfurt, gut angelegt: "Für eine Produktionskapazität von 30 Gigawatt pro Jahr müsste man europaweit einmalig, quer durch die Wertschöpfungskette, etwa 10 bis 12 Milliarden Euro investieren. Das ist etwa halb so viel wie die jährlichen Kosten für den Import fossiler Energie aus Russland."

Auch die aktuelle Ausgabe der MIT Technology Review beschäftigt sich mit dem Thema Deglobalisierung. In verschiedenen Texten gehen wir der Frage nach, inwieweit es möglich ist, Prozesse der Deglobalisierung wieder zurückzudrehen. Das neue Heft ist seit dem 28.9. im heise shop bestellbar und seit dem 29.9. im Handel erhältlich.

(jle)