Ein Jahr Gigabitstrategie: Fortschritt mit Hindernissen​

Am Dienstag feiert das Digitalministerium das Einjährige der Gigabitstrategie. Zeit für eine kritische Zwischenbilanz: Hat die Bundesregierung Grund zu feiern?

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Glasfaser-Verteiler in Berlin.

(Bild: heise online/vbr)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Falk Steiner
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Ein Jahr ist die Gigabitstrategie der Bundesregierung jetzt alt. Die Strategie soll den Ausbau der Glasfasernetze im Land massiv beschleunigen. Am Dienstag lädt das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) zu einem kleinen Festakt. Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen: Gibt es Grund zu feiern?

Tatsächlich ist vielerorts Bautätigkeit zu verzeichnen – Glasfaser wird in die Erde verlegt. Doch bis Deutschland tatsächlich ein Vorzeige-Breitbandland wird, dürften dennoch Jahre vergehen. Das liegt nicht zuletzt an hausgemachten Problemen. Und neue zeichnen sich schon ab.

Das BMDV ist mit den Fortschritten zufrieden: "Ende 2022 waren bereits 13,1 Millionen Endkunden mit Glasfaser versorgt. Das ist ein Plus von 4,2 Millionen Anschlüssen gegenüber dem Vorjahr und fast eine Verdoppelung innerhalb von zwei Jahren", erklärt ein Sprecher auf Anfrage von heise online.

Und auch für die Zukunft ist man im Haus von Volker Wissing (FDP) zuversichtlich: "Mehr als 91 Prozent der Haushalte und Unternehmen können eigenwirtschaftlich von den Telekommunikationsunternehmen erschlossen werden – also ohne staatliche Förderung." Das habe die sogenannte Potenzialanalyse, die mit der Gigabitstrategie eingeführt wurde, gezeigt. Also alles in bester Ordnung?

In zweieinhalb Jahren sollen 50 Prozent der Haushalte in Deutschland grundsätzlich mit Glasfaser anschließbar sein, lautet das offizielle Ziel der Ampelkoalition. Doch der Weg zum Glasfaserland ist noch weit: 24,6 Millionen Anschlüsse sind laut jüngsten Zahlen des Verbands der Alternativen Telekommunikations und Mehrwertdiensteanbieter (VATM) noch als DSL-Zugang über Kupferdoppelader geschaltet. Weitere 8,6 Millionen Anschlüsse laufen über das Koaxialkabel der Fernsehkabelnetzbetreiber.

Inzwischen gibt es demnach 3,8 Millionen Haus- und Wohnungsanschlüsse mit Glasfaser, ein deutlicher Zuwachs. Nach und nach greifen einige der Maßnahmen der vergangenen Jahre. Und auch die rechtlichen Unklarheiten werden stückweise reduziert. Das führt zu einem Wettlauf um die attraktivsten Ausbaugebiete – dort, wo mit dem geringsten Aufwand die meisten Kunden angeschlossen werden können.

Glasfaseranbindungen gelten als zukunftsfestes Investment, kapitalkräftige Investoren versprechen sich langfristige Renditen. Als die Zinsen in den vergangenen Jahren sehr niedrig waren, wurden neue Unternehmen gegründet und alte besorgten sich frisches Kapital. Dass die Zeiten der Niedrigzinsen nun vorbei sind, führe bislang noch nicht zu größeren Problemen, berichten zahlreiche Branchenvertreter.

Glasfaseranschluss der Telekom.

(Bild: heise online)

Dass der zunehmende Ausbau eine Leistung der aktuellen Bundesregierung wäre, bezweifelt Nadine Schön, stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Die Grundlagen für den jetzigen Ausbau seien bereits von der Vorgängerregierung gelegt worden und der Ausbau würde nun massiv von den Bundesländern vorangetrieben. Sie glaube, dass "das Ziel, bis Ende 2025 in mindestens der Hälfte der Haushalte Highspeed-Festnetz verfügbar zu haben, also Glasfaser bis in die Wohnung und nicht nur bis zum grauen Verteilerkasten in der Straße, erreichbar ist".

Also alles in bester Ordnung? Keineswegs, sagt Anke Domscheit-Berg, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei: "Wir haben einen Mangel an Tiefbaukapazitäten und Fachkräften, die trotzdem nicht effizient eingesetzt werden. Denn an vielen Orten in Deutschland findet ein unsinniger Überbau statt, durch den Straßen in Städten erneut aufgerissen werden, um eine zweite Glasfaser zu verlegen, während im Nachbardorf weiterhin noch gar keine liegt."

Überbau ist derzeit einer der großen Streitpunkte. Das Hauptproblem entsteht, wenn einzelne Anbieter in den Ausbauplan anderer Anbieter hinein verlegen. Denn die berechnen ihre Pläne in Mischkalkulation: Welche Gebiete sind zu welchem Preis rentabel auszubauen? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass aus potenziellen Kunden auch Kunden werden? Schließt dann ein anderer Anbieter kleinteilig die Filetstücke eines Ausbaugebiets an, geht die Rechnung nicht mehr auf.

Die Stadt Taunusstein in Hessen wollte alle sieben Stadtteile ausbauen lassen. Sie fand einen Anbieter, der dazu bereit war, ohne Förderung und auf eigene Kosten. Doch dann kam, so schildert es Bürgermeister Sandro Zehner in einem YouTube-Video Anfang Juni, die Deutsche Telekom und begann in den beiden dichtbesiedeltsten Stadtteilen mit der Vorvermarktung eines eigenen Ausbauangebotes. Unabgesprochen, ohne Vorwarnung, sagt Zehner. Daraufhin habe das für den Gesamtausbau vorgesehene Unternehmen sein Angebot zurückgezogen. Ähnliche Vorkommnisse berichten auch andere Bürgermeister und Unternehmen.

Dieses Verhalten führe zu "erheblicher Verunsicherung – nicht nur bei Marktteilnehmern, sondern auch bei Kommunen und Bürgerinnen und Bürgern in den betroffenen Gebieten", kritisiert Sven Knapp vom Bundesverband Breitbandkommunikation. Er berichtet, dass es dadurch bereits mehrfach zur Aufkündigung der Ausbauzusagen für größere Gebiete gekommen sei. "Die Folge: Große Teile der Kommunen werden nicht von der Telekom versorgt und sind dann nur noch mithilfe staatlicher Förderung erschließbar, was den Ausbau weiter verzögert."

Doch die Rechtslage ist hier eindeutig, sagt ein Sprecher der Bundesnetzagentur: "Eigenwirtschaftlich ausbauende Telekommunikationsunternehmen sind durch das Telekommunikationsgesetz nicht gehindert, eigene Telekommunikationsnetze zu bauen, auch wenn bereits Telekommunikationsinfrastrukturen vorhanden oder im Bau sind." Im Telekommunikationssektor sei vom Gesetzgeber Infrastrukturwettbewerb ausdrücklich vorgesehen, um Auswahl, Qualität und Preise von Telekommunikationsdienstleistungen zu verbessern. "Eine konzessionierte Vergabe von exklusiven Ausbaugebieten ist rechtlich nicht zulässig."

Während man bei der Regulierungsbehörde hofft, dass der parallele Ausbau die Ausnahme bleibe, erkennen Branchenvertreter ein Muster. Der Telekom wird strategischer Überbau vorgeworfen: Sie kreuze überall da auf, wo sich Wettbewerber anschicken, ein Ausbaugebiet zu erschließen. "Die aktuelle Ausbautaktik der Telekom bringt die Erreichung der in der Gigabitstrategie definierten Ausbauziele also in akute Gefahr", mahnt Sven Knapp vom Breko-Hauptstadtbüro.

Baustelle in Hannover.

(Bild: Ernst Ahlers)

Die Telekom sieht das anders. "Liegt bereits Überbau vor, wenn zwei Unternehmen – unabhängig voneinander – den Ausbau eines bestimmten Gebietes planen?", fragt der Telekom-Sprecher. "Oder spricht man nur dort von Überbau, wo parallele Glasfaserinfrastrukturen tatsächlich entstehen?" Die Telekom will nicht mit dem Finger nur auf sich zeigen lassen: "So sehen wir zum Beispiel in unserer Heimatstadt Bonn oder in Essen Ausbauankündigungen von Wettbewerbern, obwohl die Telekom in den betreffenden Städten bereits vor mehreren Monaten ihre Pläne für Glasfaser offengelegt hat."

Das BMDV sieht zwar Diskussionsbedarf rund um die Überbauproblematik, ist aber bestrebt, "die Diskussion zu versachlichen und die jeweiligen Vorträge von Unternehmen mit der gebotenen Sorgfalt zu prüfen", sagt ein Sprecher. Dafür sei eine Studie in Auftrag gegeben worden. Außerdem richtet die Bundesnetzagentur eine Monitoringstelle ein, "um einen fortlaufenden Überblick über die Überbausituation zu erhalten". Auch will das Ministerium das Gespräch mit den Unternehmen suchen. Für Nadine Schön ist das Teil eines größeren Bildes: Minister Wissing agiere zu zögerlich, bemängelt die CDU-Politikerin, und fordert schnelleres und beherzteres Agieren.

Ein Problem, das den Breitbandausbau bislang hemmte, war der Streit um die mindertiefe Verlegung. Kurz unter dem Bürgersteig oder der Straßendecke sollen schnell und mit geringem Aufwand Glasfasertrassen per Erdrakete, Horizontalspülbohrung oder Microtrenching verlegt werden. Doch bislang sperrten sich vor allem Kommunen gegen diese Techniken: Sie fürchteten, bei schlecht ausgeführten Bauleistungen auf möglichen Folgekosten sitzenzubleiben. Das Problem soll mit der neuen DIN-Norm 18220 "Trenching-, Fräs- und Pflugverfahren zur Legung von Leerrohrinfrastrukturen und Glasfaserkabeln für Telekommunikationsnetze" behoben werden – nach jahrelangen Diskussionen.

Allein die Telekom rechnet jetzt mit einem schnellen Zuwachs der Anschlüsse: Bis Ende 2024 will der Konzern 10 Millionen Haushalten Glasfaser anbieten. "Bis 2030 wollen wir zwischen 25 und 30 Millionen Haushalten die Anbindung an unser Glasfasernetz ermöglichen", sagt der Telekomsprecher. Die Telekom meine damit vor allem die Verlegung der Infrastruktur, nicht den tatsächlichen Anschluss, murren Wettbewerber. Und tatsächlich sind laut Zahlen, die der VATM verbreitet, die tatsächlichen Anschlussquoten bei der Telekom gering: Gerade einmal 0,9 Millionen Glasfaseranschlüsse hätte die, die Mitbewerber 2,9 Millionen.

Mit Sorge schauen die Beteiligten zudem auf eine andere, neue Problematik, die sich derzeit am Horizont abzeichnet: Für die Energiewende müssen sowohl Strom- als auch Fernwärmenetze ertüchtigt werden. Dafür wird vielfach das Straßenland aufgerissen werden müssen. Doch Nebenwirkungen sind nicht auszuschließen: "Je nach Lage der Leitungssysteme vor Ort ist eine Umverlegung nicht immer auszuschließen. Leider ist die Leitungsdokumentation im Breitbandausbau häufig nicht zuverlässig, sodass es aus Unkenntnis zu Kabelrissen kommen kann", sagt Dieter Hesselmann, Hauptgeschäftsführer des Rohrleitungsbauverbandes.

Allerdings wären auch Synergieeffekte möglich: Wo Strom- und Fernwärmenetze modernisiert werden müssen, wäre die Glasfaserinfrastruktur leicht mitverlegbar. Die Rohrleitungsbauer sehen hier vor allem die Kommunen in der Pflicht, für Ordnung zu sorgen: Die hätten es "in der Hand, Mehrfachaufgrabungen zu vermeiden", sagt RLBV-Hauptgeschäftsführer Hesselmann.

(vbr)