Kampf der Konzepte

Politik, Wirtschaft und Gesellschaft tun sich schwer, langfristig und vernetzt zu denken. Daran führt aber kein Weg mehr vorbei.

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Lesezeit: 21 Min.
Von
  • Angela Froitzheim
  • Ulf J. Froitzheim
Inhaltsverzeichnis

Kaum hatte sich der erste Schreck nach der Atomkatastrophe von Fukushima gelegt, begann auch schon die politische Auseinandersetzung um eine Neuausrichtung der Energiepolitik in Deutschland. Die Argumente, die in diesem Streit verwendet werden, sind jedoch keineswegs neu. Der folgende Artikel ist dem TR-Sonderheft Energie entnommen, das Ende Januar 2011 erschienen ist.

Politik, Wirtschaft und Gesellschaft tun sich schwer, langfristig und vernetzt zu denken. Daran führt aber kein Weg mehr vorbei: Die Klimaziele des Energiekonzepts für Deutschland sind bis 2050 nur zu erreichen, wenn alles ineinandergreift – und die Stromkonzerne sich neu erfinden.

Jean-Rémy von Matt hatte das Agressionspotenzial unterschätzt, das der kleine Trickfilm "Der Energieriese" freisetzen würde. Der von der Hamburger Werbeagentur Jung von Matt für den RWE-Konzern gedrehte Image-Spot, der im Kino wie auch im TV und im Web lief, enthielt die gleichen harmlosen Zutaten wie ein "Shrek"-Film: idyllische Landschaftskulissen, eingängige Musik und ein liebenswertes Monster, eben der Energieriese. Ein paar Monate später, im November 2009, brannte das Auto des prominenten Unternehmers. Angezündet hatten ihn die selben Leute, die in jener Nacht mit schwarzer Farbe gefüllte Gläser gegen die Fassade des Hauses von Fritz Vahrenholt schmetterten, dem RWE-Manager für Erneuerbare Energien. Ein Bekennerbrief ließ keinen Zweifel aufkommen, dass die Täter dem Agenturchef und dem Ex-Umweltsenator einen Denkzettel verpassen wollten, weil diese sich für etwas hergegeben hätten, das in Umweltschützerkreisen als "Greenwashing" bekannt ist. Grünfärberei.

Der Vorwurf an sich war nicht neu, überraschend waren nur die Militanz des Protests und sein Zeitpunkt. Jung von Matt hatte die durchaus selbstironisch angelegte Werbefigur des Energieriesen im Sommer 2009 präsentiert, vor der Bundestagswahl, bei der es um den Ausstieg aus dem Atomausstieg ging. RWE wollte dem Kino- und Fernsehpublikum die Sorge nehmen, die von Union und FDP angestrebte Renaissance der Kernkraft bedeute das Ende der Investitionen in erneuerbare Energien. Darum ließ der Konzern seinen sanften grünen Hünen Windräder aufstellen; buddelt das Monster mal nach Braunkohle, bessert es die Landschaft sofort wieder mit Rollrasen aus. "Es kann so leicht sein, Großes zu bewegen", suggeriert der Abspann Aufbruchstimmung, "wenn man ein Riese ist."

Dass der Essener Stromriese tatsächlich Großes bewegt, dokumentierte der RWE-Vorstandsvorsitzende Jürgen Großmann auf der Hauptversammlung im April 2010 in Essen: "Wir arbeiten das größte Investitionsprogramm in der Geschichte der RWE ab." Die dicksten Brocken in diesem großindustriellen Neubauprogramm, das aus Großmanns Sicht den Klimaschutz voranbringen wird, sind allerdings weder Windparks noch Solarplantagen noch dezentrale Kombikraftwerke, sondern sieben fossil befeuerte Großkesselanlagen mit zwölf Gigawatt Gesamtleistung. Insgesamt investiert Deutschlands zweitgrößter Stromkonzern bis 2013 europaweit 28 Milliarden Euro. Für regenerative Energieträger wie Windkraft und Biomasse sind davon aber nur 1,4 Milliarden Euro pro Jahr reserviert. Diese Summe entspricht nicht einmal einem Fünftel des operativen Gewinns des Rekordgeschäftsjahrs 2009. Die Erweiterung des gigantischen Braunkohlenkraftwerks Grevenbroich-Neurath, das 2011 trotz modernster Technik an die Spitze der größten Kohlendioxid-Emittenten Europas vorrücken dürfte, ließ sich der Konzern dagegen stolze 2,2 Milliarden Euro kosten. In Rumänien und Großbritannien engagiert er sich sogar beim Ausbau der Atomkraftkapazitäten. Wer hingegen seine aktuelle Ökostrom-Quote sucht, findet diese in einem nur auf Englisch erhältlichen "RWE Factbook Renewable Energy". Sie liegt mit 2,5 von knapp 50 Gigawatt bei 5 Prozent der installierten Leistung. Die tatsächlich produzierte Strommenge ist noch bescheidener: 6,5 von 187 Terawattstunden jährlich, magere 3,5 Prozent. Sämtliche von Wasser, Wind und Biomasse angetriebenen Generatoren des RWE-Konzerns speisen zusammen deutlich weniger Strom ins Netz ein als ein einziger Kraftwerksblock in Neurath oder einer der beiden Reaktoren in Biblis.

Nicht nur RWE tut sich immer noch schwer mit dem klaren Kurswechsel in Richtung erneuerbare Energien, den die Politik schon vor Jahren der Branche abverlangt hatte. Auch E.on, EnBW und Vattenfall werten die im neuen Energiekonzept der Bundesregierung verlängerten Laufzeiten der deutschen Uranmeiler als wichtigen Beitrag zur CO2-Vermeidung. Zugleich investieren sie massiv in neue Fossil-Kraftwerke – von Braunkohle über Steinkohle bis Erdgas. Kurzfristig profitiert davon die Umwelt, denn mit steigenden Wirkungsgraden sinkt die Abgasmenge pro erzeugter Kilowattstunde. Langfristig gesehen hat die Modernisierungswelle im fossilen Kraftwerkspark allerdings schwer wiegende Spätfolgen: Die neuen Braunkohle-Stromfabriken, die sich RWE in der Rheinischen Tiefebene und Vattenfall in der Oberlausitz leisten, werden noch stehen, wenn die gleichzeitig errichteten ersten Offshore-Windräder längst verrostet sind. Ihre Lebensdauer von 40 Jahren entspricht exakt der Zeitspanne, für die das Energiekonzept gelten soll. Steinkohlekraftwerke sind ähnlich langlebig. Was heute noch der Stolz der Ingenieure ist, wird im Klimaschutz-Zieljahr 2050 längst zur Altlast geworden sein – betriebswirtschaftlich vielleicht noch rentabel, doch gesellschaftlich inakzeptabel. Bevor die Politiker und Experten aus Union, FDP, Umwelt- und Wirtschaftsministerium sich überhaupt zusammensetzen konnten, um das Energiekonzept auszuhandeln, hatte die Stromindustrie mit ihren milliardenschweren Großprojekten so bereits Fakten geschaffen, an denen niemand vorbeikommt, der in erneuerbare Energien investieren und damit Geld verdienen will.

Professor Olav Hohmeyer mag nicht einmal davon reden, dass sich die Bundesregierung auf ein Energiekonzept geeinigt hätte, jedenfalls nicht auf eines aus einem Guss. "Es gibt das Energiekonzept des Umweltministeriums, relativ stark auf Erneuerbare und Effizienz orientiert", sagt der Flensburger Energiewirtschaftler, Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) und in einer Arbeitsgruppe des als "Weltklimarat" bekannten Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), "und es gibt im gleichen Text ein zweites Energiekonzept, nämlich das des Wirtschaftsministeriums und der großen vier Stromkonzerne – mit Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke und CO2-Speicherung bei Kohlekraftwerken."