Missing Link: Maria Ressa – von der Verantwortung(slosigkeit) der Tech-Firmen

Seite 2: Amtsenthebung des Verfassungsgerichtspräsidenten

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Screenshot der Website rappler.com

heise online: Der Ausgangspunkt der Geschichte war die Amtsenthebung des Verfassungsgerichtspräsidenten, die bis heute Schlagzeilen macht, obwohl der Betreffende nicht mehr lebt. Wie stark ist der politische Einfluss auf die Justiz in den Philippinen? Ist die Unabhängigkeit von Richtern in Gefahr, um die man sich auch in Ländern wie Polen oder den USA aktuell Sorgen macht?

Ressa: Absolut. Unabhängig von meinem Verfahren, wir haben in den Philippinen eine Demokratie. Wir haben eine Verfassung wie die USA. Aber zugleich haben wir, und hatten es auch schon vor Beginn der Duterte Administration, eine grassierende Korruption und schwache Gerichte, sowohl in Bezug auf die Verschleppung von Verfahren als auch in Bezug auf Bestechlichkeit. Ich habe eine Menge gelernt in den insgesamt elf Verfahren, die die philippinische Regierung gegen mich angestrengt hat. 2018 bin ich bei Gerichten auf allen nur denkbaren Ebenen aus und ein gegangen. Es hat mich schockiert, wie weit die Macht eines einzelnen Richters reicht, wie viel Interpretationsspielraum er hat. Das gehört zu den Markenzeichen der Duterte Administration: diejenigen, die sie als Kritiker betrachten, werden nicht in einer öffentlichen Auseinandersetzung attackiert. Vielmehr werden die Gerichte zu einer Waffe. Leila da Lima, ehemalige Justizministerin und Ministerin für das Ressort Menschenrechte, die gegen Rodrigo Duerte, damals noch Bürgermeister, wegen extralegaler Hinrichtungen ermittelte und später seinen Drogenkrieg untersuchte, sitzt seit 2017 im Gefängnis. Seit drei Jahren! Eine ehemalige Verfassungsgerichtspräsidentin wurde aus dem Amt entfernt und regelrecht ausradiert aus der Liste der Verfassungsrichter – als ob man klar machen wollte, dass das nie passiert ist. Ich glaube, darum kämpfe ich mit offenem Visir.

heise online: Was, wenn Sie juristisch unterliegen? Wenn Journalisten vor den Gerichten scheitern, was können sie dann noch tun?

Ressa: Das stimmt schon. Es ist schon verrückt, dass die Klagen gegen mich zugelassen wurden. Sie sind politisch motiviert. Sie sollen uns aufreiben. Es geht darum, uns mundtot zu machen. Beim Rappler sind wir vielleicht einfach nur stur. Wir machen unsere Arbeit, solange wir sie machen können. Ich hoffe immer noch, dass die Richter anfangen im Geist der Gesetze zu urteilen, dass sie erkennen, dass mehr auf dem Spiel steht. Die Presse steht vor einem Abgrund. Ich hoffe einfach, dass die Gerichte sich dem politischem Druck nicht mehr beugen. Zugleich rechne ich mit dem schlimmsten. Denn überraschen lassen will ich mich auf keinen Fall.

heise online: Kann Rappler überleben, wenn Sie verlieren?

Ressa: Auf jeden Fall.

heise online: Auch finanziell?

Ressa: Ja. In dem Jahr als wir extrem unter Beschuss standen, hatten wir finanziell ein gutes Jahr. Die Leute schauen auf mich, aber Rappler bin nicht ich allein. Rappler rettet übrigens meinen Glauben an die menschliche Natur. Unsere jungen Reporter sind so mutig, obwohl auch sie in den sozialen Medien hart angegriffen werden. Für uns alle ist klar, dass wir einfach weitermachen müssen, mit dem, was wir tun.

heise online: Rappler ist einerseits eine Erfolgsgeschichte von Facebook, über Facebook wurde zuerst publiziert. Zugleich sind sie ein Opfer regelrechter Hasskampagnen auf Facebook. Hat sich ihre Einstellung zu der Plattform geändert?

Ressa: 2016 haben wir Dutertes brutalen Drogenkrieg aufs Korn genommen. Wir sind gegen die Straffreiheit der Regierung und auch gegen die Straffreiheit von Social Media, beziehungsweise des Silicon Vally zu Felde gezogen. Denn die Social Media Plattformen erlauben eine exponentielle Ausbreitung von Angriffen. Sie schreiben die Realität um. Sie spalten die Gesellschaft, indem derjenige, der rechts von der Mitte ist, weiter nach rechts gezogen wird. Und der, der links von der Mitte steht, wird in die andere Richtung radikalisiert. Am Ende ist es 'Wir gegen Die'. Das ist die Logik von Terroristen.

heise online: Sie wurden selbst zum Ziel von Attacken in den sozialen Medien….

Ressa: Die ersten Angriffe hingen mit einer Artikelserie zusammen, die unter anderem den Einfluss von Facebooks Algorithmus auf die Demokratie beleuchtete. Unter anderem haben wir recherchiert, dass 26 Fake Accounts insgesamt drei Millionen Accounts beeinflusst haben. Ich nenne die sozialen Medien seither eine 'Verhaltensänderungs-Maschinerie'. 2016 ging es los mit dem Hass gegen mich. Die Propaganda Maschine verbreitete, ich sei keine Journalistin, sondern eine Kriminelle. Am Anfang kann man noch lachen. Nachdem das millionenfach wiederholt wird, sagen die ersten Leute, vielleicht ist was dran, ich höre das dauernd. 2017 stimmt die Regierung mit ein. 2018 strengte sie elf Gerichtsverfahren gegen mich an. 2019 muss ich acht Mal Kaution hinterlegen, ich habe acht Strafverfahren am Hals. Und 2020 werde ich verurteilt. Die Realität wird umgeschrieben und die Technologie, die die Verantwortung als neuer Gatekeeper einfach ablehnt, hat dabei geholfen.

heise online: Arbeitet Rappler immer noch als einer von zwei Fact Checking Partnern von Facebook auf den Philippinen?

Ressa: Ja.

heise online: Warum? Lassen sie sich da nicht mit dem Teufel ein?

Ressa: Das ist ein Dilemma. Facebook ist der größte Verbreitungskanal für Nachrichten. Eine News Organisation riskiert zwei Dinge, wenn sie nicht mehr mitmacht. Erstens, man verliert sein Distributionsnetz. Zweitens, als Fact Checking Partner können wir die Lügen noch bekämpfen. Wir machen uns zudem die Mühe, als Lügen erkannte Posts zu ihrem ursprünglichen Autor zurück zu verfolgen, um die Netzwerke kennen zu lernen, die diese Lügen verbreiten. Das kostet uns viel Zeit und wir machen eigentlich Facebooks Arbeit. Eigentlich müssten sie die Nutzer schützen. Ich habe erwartet, dass 2020 das Jahr der großen Abrechnung mit den Social Media Plattformen wird. Ursprünglich bin ich Journalistin geworden, weil Information Macht ist. Aber jetzt verbreitet der größte Nachrichtenkanal Lügen schneller als Fakten. Ohne Fakten keine Wahrheit. Das ist das Ende von Vertrauen. Wie sollen wir so die Demokratie erhalten? Ohne die Integrität von Wahlen? Es ist unmöglich.

heise online: Werden Sie von Facebook bezahlt?

Ressa: Für die Arbeit als Fact Checking Partner, ja. Aber es sind kleine Beträge. Wir machen es, um zu verstehen, wie die Technologie funktioniert. Wenn Sie etwas ändern wollen, was tun sie? In die Regierung gehen? Ich habe wirklich an die Technologie geglaubt. Heute bin ich bitter enttäuscht. Zuletzt habe ich mich sehr kritisch zu Facebook geäußert – und die wissen nun nicht so recht, wie sie mit mir umgehen sollen, denn Rappler ist noch ihr Fact Checking-Partner. Wir machen das allerdings streng auf der Basis von Prinzipien. Fakten bleiben für uns der Maßstab. Für mich ist klar, die massive Verbreitung von falschen Informationen ist wie das Einatmen von verschmutzter Luft. Gegen diese Art von "Umweltverschmutzung" vorzugehen, ist einer von drei zentralen globalen Aufgaben. An erster Stelle steht natürlich der Klimawandel, wir sterben alle, wenn wir das nicht in den Griff bekommen. An zweiter Stelle kommt aber schon die Schlacht um die Wahrheit, der Kampf mit den großen Plattformen. Das ist der Kampf unserer Generation. An dritter Stelle kommt noch die Gesundheit, Covid 19 hat das gezeigt. Wir müssen überdenken, welche internationalen Machtstrukturen wir künftig brauchen. Wenn wir alle aus dem Lockdown kommen – in dem wir hier seit 15 Wochen fest stecken - wird die Welt nicht die gleiche sein. Abgesehen davon, dass Millionen ohne Arbeit sein werden, funktioniert einfach vieles nicht mehr. Wir müssen das akzeptieren und kreativ werden.