Missing Link: Autonomes Fahren - von gesetzlichen Regelungen und leeren Straßen

Letztes Jahr erfolgte der regulatorische Startschuss für den fahrerlosen Flottenbetrieb in Deutschland. Bisher ist aber noch niemand losgefahren.

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(Bild: metamorworks/Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Timo Daum
Inhaltsverzeichnis

An das Aufkommen automatischer Fahrzeuge im Straßenverkehr werden hohe Erwartungen geknüpft. Fahrerlose Betriebe gelten neben Elektrifizierung und Ridesharing als eine der "drei Revolutionen" im Transportsektor. Darüber hinaus findet eine intensive und breite Debatte über fahrerlose Mobilität statt, die von hohen Erwartungen bis hin zu Technologieskepsis reicht.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Die Technologie ist nahezu umsetzungsreif, insbesondere in den USA finden seit Jahren Testläufe statt, die sich auf den kommerziellen Betrieb hinbewegen. In San Francisco setzt die General Motors-Tochter Cruise derzeit rund 100 Fahrzeuge ein, geplant ist die Skalierung auf bis zu 5000.

Damit der fahrerlose Transport in der realen Welt gedeihen kann, sind aber auch gesetzliche Regelungen und Vorschriften nötig. Die USA sind zwar in technologischer und geschäftlicher Hinsicht am weitesten fortgeschritten, dort fehlt es aber immer noch an einer landesweiten Gesetzgebung.

2021 hat Deutschland einen Schritt in diese Richtung getan. Am 27. Juli 2021 verabschiedete der Bundestag das "Gesetz zum autonomen Fahren". Es definiert den rechtlichen Rahmen für fahrerlose Fahrzeuge auf öffentlichen Straßen, die auf der Automatisierungsstufe SAE 4 betrieben werden. Das Gesetz nennt ausdrücklich Shuttle-Dienste, bedarfsorientierte Angebote in Randzeiten und die Beförderung von Personen und/oder Gütern auf der ersten oder letzten Meile.

Im August dieses Jahres hat die EU-Kommission nachgezogen und europaweit rechtliche Grundlagen für den Einsatz von Level 4-Fahrzeugen geschaffen. Die EU-Durchführungsverordnung 2022/1426 sieht, ähnlich wie das deutsche Gesetz, den Betrieb von automatisierten Fahrzeugen auf Automatisierungsstufe 4 vor, bis zu 1500 Level 4-Fahrzeuge können EU-weit eingesetzt werden.

Das sind so langsam Dimensionen, in denen Robo-Taxi-Flotten perspektivisch auch ökonomisch Sinn machen. Doch bislang tut sich wenig auf deutschen bzw. europäischen Straßen.

Das Gesetz wartet mit gleich drei regulatorischen Innovationen auf, die zusammen einen Durchbruch für die rechtliche Rahmung eines wirtschaftlich tragfähigen Servicebetriebs mit fahrerlosen Flotten den Weg ebnen.

Zunächst definiert das Gesetz "zulässige Betriebsgebiete" beziehungsweise "festgelegte Einsatzgebiete", Fachbegriff dafür ist Operational Design Domains (ODD). Diese eingeschränkte Betriebs-Domäne kann ein bestimmtes Gebiet, wie ein Stadtteil, ein Firmengelände oder eine baulich abgetrennte Fahrspur sein. "Besonders schwieriges Gelände" wie unbeschrankte Bahnübergänge oder Feldwege können ausgeschlossen werden. Die technische Umsetzung kann durch physische Barrieren oder Geofencing erfolgen, also durch Software, die GPS oder RFID benutzt, um die geografischen Grenzen von Funktionsbereichen zu definieren.

Die zweite entscheidende Definition, die das Gesetz einführt, ist die des "Zustands mit geringem Risiko". Fahrzeuge müssen in der Lage sein, ohne menschliches Eingreifen autonom einen "Zustand minimierten Risikos" anzusteuern, der normalerweise durch sicheres Anhalten auf dem Seitenstreifen oder auf einem Parkplatz erreicht wird. Hier liegt auch der entscheidende Unterschied zu autonomen Fahrfunktionen beim Privatauto bis Stufe 3 – da gibt es immer noch "den Fahrer/die Fahrerin", der früher oder später das Steuer (und damit auch die Verantwortung und Haftung) übernehmen muss.