Missing Link: "Das Internet ist im Prinzip kaputt"

Seite 5: Ruf nach dem Regulierer

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So kommen IETF und die DINRG-beherbergende Internet Research Task Force, die Forschungsschwester der IETF, letztlich zu einem Ergebnis. Die Standardisierer können nicht viel tun. Ein paar Ideen hat HTTP-Guru Mark Nottingham vorgeschlagen. So ergebe es nach wie vor Sinn, Alternativen zu proprietären Diensten zu standardisieren, während Vorschläge für rein proprietäre Technik von der IETF oder auch dem W3C nicht standardisiert werden sollten.

Die Möglichkeit, Standards für Weiterentwicklungen und Zusatzfeatures offenzuhalten, mache viel Sinn und anstatt Intermediäre, also Dritte, die zwischen den Endpunkten sitzen, rundweg abzulehnen, sei es besser, deren Wirken klar zu standardisieren. Im Webprotokoll HTTP etwa hätten sich anfangs Intermediäre ohne Wissen der Endpunkte einschalten können. HTTPS (und Connect) verhindere das nun.

Nottingham warnt aber vor überzogenen Vorstellungen, die erste Regel laute, realistisch zu bleiben.

Sowohl der Australier als auch Hardaker und der DINRG-Workshop stellen zugleich fest: Regulierung kann helfen, indem sie dort auf Interoperabilität pocht, wo entsprechende Protokolle vorliegen. Dass die EU dies gerade in Bezug auf Messenger austesten will, begrüßte Hardaker bei einer öffentlichen Sitzung des IAB in Philadelphia und lobte die Effekte des Digital Markets Act ausdrücklich. Sicher komme es am Ende sehr darauf an, wie das Interoperabilitätsgebot implementiert werde, meint er. Die gestiegene Aufmerksamkeit für das Problem unnötig abgeschlossen gehaltener Walled Gardens aber sei gut. So gut finden diese Idee aber nicht alle IETF-Teilnehmer und Googles Vertreter gehören nicht zu den heißen Befürwortern. Farrell mahnt immerhin, wer A und EU-Regulierung sage, müsse damit rechnen, dass ihm auch bald eine B-Regulierung aus weniger demokratischen Ecken abverlangt werde.

IETF-Chair Eggert gibt sich im Gespräch über die Spannungen diplomatisch. Die offene, praktisch basisdemokratische Arbeitsweise lasse die Spannungen in der guten alten IETF dramatischer erscheinen, als sie seien, sagt er. Natürlich sei es nicht ganz einfach, eine diversere IETF, in der etwa Ideen von Huaweis New IP auf totale Verschlüsselung unter dem Dach einzelner Hyperscaler prallen, durch politischer werdende Auseinandersetzungen zu navigieren. Manchmal komme es ihm vor, als habe er eine kleine Mini-UN vor sich, sagt Eggert.

Auch für Eggert ist der Konzentrationstrend ein Problem und auch er schielt auf die Regulierung. Gute Regulierung könnte helfen, etwa um interoperable Videokonferenzplattformen zu ermöglichen. "Technisch steht dem eigentlich nichts im Weg", sagt er.

Er sieht die IETF noch gut aufgestellt in Bezug auf die Pluralität. "Bei uns kann nach wie vor jeder PhD-Student oder irgendwie Interessierte mitmachen und seine Vorschläge mitbringen", unterstreicht er. Ein kürzlicher Bericht habe überdies ergeben, dass 33 Prozent der Zeit, die Teilnehmer in die IETF investieren, tatsächlich auch persönliche, nicht vom Arbeitgeber bezahlte Zeit ist. Und noch immer gelte, einfach Massen von Entwicklern in eine Arbeitsgruppe zu schicken, um den eigenen Vorschlag qua Lautstärke durchzudrücken, widerspricht nach wie vor den ungeschriebenen Gesetzen. Der Community entgehe das in der Regel nicht und sie spreche das sofort an, so Eggert.

Können Google, Cisco oder auch Apple viele Entwickler schicken und mit schneller Implementierung wuchern? Ja. Aber die Standardisierung von QUIC, die von vielen als Google getriggert erschien, habe eben auch gezeigt, dass sich Googles Wünsche für die Spezifikation häufig nicht durchgesetzt haben.

Der Abschied vom "Regierungen, lasst uns in Ruhe"-Mythos ist für Eggert keine Frage mehr. Tatsächlich diskutiert er gemeinsam mit den IETF-Gremien und der Internet Society darüber, wie Regulierer besser durch die IETF informiert und beraten werden könnten. Denn gute Standards sind eine Herausforderung, aber gute Regulierung ist vielleicht noch schwieriger.

Ob künftige neue Stakeholder dann das alte Tao zu lesen bekommen – oder ein ganz neues Tao? Ein bisschen kürzer als 50 Seiten dürfte es dafür wohl schon sein.

(bme)