Missing Link: Dunkle Energie – die unverhoffte Schwergewichtigkeit des Nichts

Für die Zukunft des Universums gibt es drei Szenarien, dachte man lange. Dann brachten Messungen eine Überraschung und der Kosmologie ihr heute größtes Rätsel.

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Der hellste Stern in diesem Bild ist kein Vordergrundstern aus der Milchstraße, sondern die Typ Ia Supernova SN 2018gv in der Spiralgalaxie NGC 2525, die 70 Millionen Lichtjahre von uns entfernt ist. Ihr Licht machte sich zu den Zeiten der letzten Dinosaurier auf den Weg zu uns. Der Stern strahlte 2018 für ein paar Wochen lang so hell wie die ganze Galaxie. Da man solche Supernovae über einen Großteil des beobachtbaren Universums nachweisen kann und aufgrund des einheitlichen Explosionsprozesses ihre Leuchtkraft bekannt ist, eignen sie sich zur kosmologischen Entfernungsmessung. Diese Messungen lieferten Ende der 1990er ein überraschendes Ergebnis über die Expansionsgeschichte des Universums.

(Bild: ESA/Hubble & NASA, A. Riess and the SH0ES team , CC BY 4.0)

Lesezeit: 34 Min.
Von
  • Alderamin
Inhaltsverzeichnis

Wie groß ist das Universum? Woraus besteht es? Wie ist es entstanden und wie wurde es so, wie wir es heute kennen? Mit diesen Themen beschäftigt sich die Kosmologie, die Lehre von der Entstehung und Entwicklung des Universums. Sie ist derzeit eine der spannendsten Disziplinen der Naturwissenschaft, und sie spannt einen Bogen von der Physik des Allerkleinsten zu den größten Strukturen, die wir kennen. Die neue Artikelreihe skizziert den derzeitigen Stand des Wissens und legt dar, warum die große Mehrheit der Kosmologen scheinbar so absurden Ideen anhängt wie von leerem Raum mit abstoßender Gravitation, der Entstehung des Universums aus dem Nichts und dem unsichtbaren Stoff, aus dem 95 Prozent des Universums bestehen. Der vierte Teil handelt vom größten Rätsel der modernen Kosmologie: der Dunklen Energie.

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Es ist ein groteskes Bild: David und Goliath umkreisen einander, der eine nur wenig größer als der Mond und weißglühend – ein Kubikzentimeter seiner Materie hat eine Masse von 10 Tonnen. Der andere kaum mehr als ein heißer Nebel, aber von gewaltigen Ausmaßen. Millionen von Sonnen fänden in ihm Platz. Majestätisch kreisen die beiden ungleichen Sterne von fast derselben Masse um den gemeinsamen Schwerpunkt in der Mitte der beiden Sterne, und der winzige Weiße Zwerg zieht den Roten Riesen wie einen Tropfen in die Länge und zapft ihn an. Ein wenig vom Gas des Riesensterns fließt über die Roche-Grenze, wo die Schwerkraft der beiden Sterne sich die Waage hält, vom Riesen hinüber zum Weißen Zwerg und sammelt sich auf seiner Oberfläche an. Manchmal zündet der Wasserstoff unter dem Gewichtsdruck von fast einer halben Million Erdschwerkräften und lässt den Weißen Zwerg für ein paar Tage als Nova mit hundertfach vergrößerter Helligkeit leuchten. Aber irgendwann ist der Weiße Zwerg durch den Massezufluss mit 1,4 Sonnenmassen so schwer geworden, dass in seinem bislang inaktiven Inneren Kohlenstoff zu fusionieren beginnt. Da der Stern nicht aus normalem Gas, sondern aus entarteter Materie besteht, die sich beim Aufheizen nicht ausdehnen kann und so den Druck senken und die Fusionsrate begrenzen, treibt die entstehende Hitze die Fusion im Gegenteil zusätzlich an, bis diese explosiv wird und den ganzen Stern zerreißt.

Dabei entsteht eine rasch expandierende Hülle aus dem radioaktiven Fusionsprodukt Nickel-56, das beim raschen Zerfall zu Kobalt und weiter zu Eisen Hitze freisetzt und die Gaswolke wochenlang aufheizt und mit mehrmilliardenfacher Sonnenleuchtkraft seine Heimatgalaxie buchstäblich blass aussehen lässt. Eine Supernova der besonderen Art, von vollkommen anderer Natur als die Kernkollaps-Supernovae massereicher Sterne. Die Lichtkurve ist charakteristisch, das Licht zeigt keine Wasserstofflinien, weil der Stern diesen schon lange zu Helium, Kohlenstoff und Sauerstoff verbrannt hat, und die immense Leuchtkraft, die 10 Milliarden Lichtjahre weit mit modernen Teleskopen zu sehen ist, ist immer dieselbe, weil der Prozess stets bei derselben Masse einsetzt: eine Supernova vom Typ Ia. Ein Glücksfall für die Kosmologie.

Denn mithilfe dieser sogenannten "Standardkerzen" lässt sich das All im wahrsten Sinne des Wortes ausloten. Da man ihre Leuchtkraft kennt – mit dem Hubble-Weltraumteleskop wurde sie zuletzt anhand von Typ-Ia-Supernovae in benachbarten Galaxien kalibriert, deren Entfernungen mittels anderer Methoden vorher bestimmt worden waren – folgt aus ihrer beobachteten Helligkeit ihre Entfernung. Je lichtschwächer, desto weiter weg.

Durch die Messung der Entfernung von Galaxien mit verschiedenen Rotverschiebungen lässt sich die Beziehung zwischen der Rotverschiebung und der Entfernung ermitteln, sodass man die Distanz anderer Galaxien schließlich einfach an ihrer Rotverschiebung selbst ablesen kann. Denn je länger ein Lichtquant bis zu uns braucht, desto mehr ist das Universum während seiner Laufzeit zu uns angewachsen, und mit ihm wuchs auch die Wellenlänge des Photons. Dies führt dazu, dass sich das Licht der Galaxien zum Roten hin verschiebt und mit ihm die charakteristischen Spektrallinien des Wasserstoffs im Licht ihrer Sterne. Der Zusammenhang zwischen Rotverschiebung und Entfernung für verschiedene Distanzen und damit Weltalter verrät uns zudem, wie sich das Universum nach dem Urknall ausgedehnt hat.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Dabei entfernen sich die Galaxien voneinander, aber nicht etwa von einem bestimmten Ort, an dem der Urknall stattgefunden hätte, sondern der Raum wächst insgesamt. Es gibt keinen umgebenden Raum, in den hinein sich die Galaxien ausbreiten, sondern der Raum wächst aus sich heraus wie ein im Backofen aufgehender Hefeteig. Jeder Punkt im Universum ist gleichberechtigt und sieht sich im Zentrum der Expansion. Nirgendwo gibt es einen Rand, eine "Explosionsfront" der sich ausbreitenden Materie, sondern der Raum ist großräumig, oberhalb der Ausdehnung von Galaxienhaufen und Leerräumen, gleichmäßig mit Materie angefüllt. In jeder Richtung des Himmels geht der Blick zurück in die Zeit bis zum Feuerball 380.000 Jahre nach dem Urknall, der heute als kosmischer Mikrowellenhintergrund erscheint. Der Feuerball ist in jeder Richtung zu sehen, denn der Urknall fand überall statt.

Auf der Grundlage von Einsteins Feldgleichungen, die die Krümmung der Raumzeit in Beziehung zur vorhandenen Masse setzen (und zu einigen anderen Größen, dazu später mehr) und damit das Gravitationsgesetz der Allgemeinen Relativitätstheorie formulieren, fanden der russische Physiker Alexander Friedmann sowie unabhängig von ihm der belgische Jesuit und Astronom Georges Lemaître Anfang der 1920er-Jahre Lösungen der Feldgleichungen, die sich auf das Weltall insgesamt anwenden ließen. Demnach musste das Universum expandieren oder kollabieren. Hubble und Lemaître zeigten später, dass es derzeit expandiert, aber es war unklar, ob das auch so bleiben würde.

Im vergangenen Jahrhundert wurden drei Szenarien in Erwägung gezogen, die von der Materiedichte ΩM (sprich: "Omega-M") im Universum abhängen:

Je nach dem Wert der Materiedichte ΩM relativ zu einer kritischen Dichte (üblicherweise zu 1 normiert) ereilt das Universum ein unterschiedliches Schicksal. Für ΩM > 1 (geschlossenes Universum) kehrt sich die anfängliche Expansion irgendwann um und endet in einem "umgekehrten Urknall", dem "Big Crunch" ("großes Zerquetschen"). Falls ΩM < 1 (offenes Universum) expandiert das Universum ewig und strebt einer konstanten Expansionsgeschwindigkeit > 0 zu (schräge gestrichelte Linie). Falls ΩM = 1 (flaches Universum), liegt ein Grenzfall vor, bei dem das Universum gerade nicht kollabiert, sondern einer Expansionsgeschwindigkeit von 0 zustrebt. Man beachte, dass bei heute gleicher Expansionsgeschwindigkeit das Alter des Universums seit dem Urknall verschieden ist. In dem Bild fehlt allerdings etwas…

(Bild: Autor, gemeinfrei)

Wenn die Dichte der Materie hoch ist (ΩM > 1; die kritische Dichte, welche die Fälle unterscheidet, wird üblicherweise zu 1 normiert), sollte sich die Expansion verlangsamen und schließlich umkehren. Gerade so wie ein Ball, den man hochwirft, der dabei immer langsamer wird, schließlich zum Stillstand kommt und wieder zurückfällt. Am Ende würde das Universum wieder in einem Feuerball enden, dem "Big Crunch". Ein solches Universum wird "geschlossenes Universum" genannt.

Sollte die Dichte der Materie so gering sein, dass die Verzögerung durch die Schwerkraft nicht ausreicht, um die Expansion zum Stillstand zu bringen (ΩM < 1), würde das Universum ewig expandieren und sich immer weiter ausdünnen. Dieser Fall entspräche einem Ball, der mit mehr als der Fluchtgeschwindigkeit der Erde in den Weltraum geschossen würde und niemals zurückkehrte. Ein solches Universum wird "offenes Universum" genannt.

Das dritte Szenario wäre der Grenzfall zwischen den beiden vorgenannten: bei genau der kritischen Dichte (ΩM = 1) würde die Expansion sich immer weiter verlangsamen und gegen den Stillstand streben, der jedoch unendlich lange auf sich warten ließe. Dies entspräche einem mit exakter Fluchtgeschwindigkeit von der Erde abgefeuerten Ball, der gerade nicht mehr zurückfallen würde. Auch hier würde das Universum qualitativ ewig expandieren, aber es gibt einen quantitativen Unterschied, der die Geometrie des Raums betrifft.

Wie schon angedeutet beeinflusst laut Allgemeiner Relativitätstheorie die Materie die Geometrie der Raumzeit – das ist genau der Inhalt der Einsteinschen Feldgleichungen. Materie und Raumzeit beeinflussen sich gegenseitig: die Materie "sagt" der Raumzeit, wie sie sich zu formen hat, und die Raumzeit "sagt" der Materie, wie sie sich zu bewegen hat. Die Geometrie des Raums wird im Wesentlichen von der Dichte der Bestandteile seines Inhalts bestimmt. Ist die Dichte der Materie im All größer als die kritische Dichte, so ist das Weltall insgesamt positiv gekrümmt. Auf zwei Dimensionen einer Fläche reduziert trifft dies zum Beispiel für die Krümmung einer Kugeloberfläche zu. Zeichnet man auf einer solchen ein Dreieck aus kürzesten Linien zwischen drei Punkten, so ist die Winkelsumme in diesem Dreieck größer als 180°. Beispielsweise hat ein Dreieck mit einem Eckpunkt am Nordpol, einem am Äquator bei 0° Länge und einem am Äquator bei 90° Länge drei rechte Winkel, denn zwei Seiten sind halbe Längengrade, die sich am Pol im 90°-Winkel treffen und den Äquator im 90°-Winkel schneiden. Das macht in Summe 270°. Kreise auf der Kugeloberfläche haben einen Umfang kleiner als 2πr. Zum Beispiel hat der Äquator der Erde den Umfang 40.000 km und einen Durchmesser (entlang eines Längengrades über den Pol zur gegenüberliegenden Äquatorseite) von 20.000 km. 20.000-Mal π ist mit ca. 62.832 km erheblich größer als der Äquatorumfang. Ähnliches gilt in einem positiv gekrümmten Universum, nur in drei Dimensionen. Sehr große Dreiecke hätten eine Winkelsumme größer als 180° und sehr große Kreise einen Umfang von weniger als 2πr.

Die Krümmung des Universums lässt sich daran ablesen, wie die Winkelsumme in einem großen Dreieck ist. Hier ist das Universum als zweidimensionale Oberfläche geometrischer Formen dargestellt – im realen Universum gelten die folgenden Aussagen für beliebig im Raum orientierte Dreiecke: ist die Krümmung des Universums positiv wie die einer Kugel, so ist die Winkelsumme im Dreieck größer als 180° (oben links sieht man drei fast rechte Winkel auf der Kugeloberfläche). Ist es hingegen negativ gekrümmt wie eine Sattelfläche, so ist die Winkelsumme im Dreieck kleiner als 180° (oben rechts hat das Dreieck Winkel von ca. 45° an jeder Ecke). In einem flachen Universum gilt die vertraute Winkelsumme von 180°, etwa in Form dreier 60°-Winkel im gleichseitigen Dreieck (unten).

(Bild: ESO/L. Calcada, CC BY 4.0)

Umgekehrt wäre ein Universum mit einer Dichte kleiner als die kritische Dichte negativ gekrümmt; auf 2 Dimensionen reduziert trifft dies beispielsweise für die Form einer Sattelfläche zu. Hier haben Dreiecke Winkelsummen kleiner als 180° und Kreise einen Umfang von mehr als 2πr.

Dazwischen liegt ein Universum mit genau kritischer Dichte und flacher (euklidischer) Geometrie: Alle Dreiecke haben eine Winkelsumme von 180°, Kreise haben den Umfang 2πr. Ein solches Universum heißt deshalb "flaches Universum".