Missing Link: Wieso so viel US- und Google-Geld in Open-Source-Projekten steckt

Seite 2: Gelder von Alphabet

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Von Alphabet, dem zweiten Lieblingsfeind der digitalen Zivilgesellschaft, erhalten noch sehr viel mehr Projekte regelmäßig Gelder.

Zum einen zahlt der Konzern jährlich Hunderte Millionen US-Dollar dafür, dass Google die Standard-Suchmaschine im Firefox-Browser ist, einem Schlüsselprojekt der Open-Source-Szene. Laut Berichten des US-Medium ZDnet erhält Mozilla über diesen Deal in den Jahren 2020 bis 2023 jeweils 400 bis 450 Millionen US-Dollar. (Wie es nach Ablauf des Vertrags weitergeht, ist noch ungewiss.)

Firefox wird über diesen Deal zu einem Vertriebskanal für die Google-Suchmaschine.

Zum anderen ist der IT-Konzern mit kleineren Beträgen in so gut wie allen relevanten Projekten präsent. Über das Stipendienprogramm Google Summer of Code hat Google nach eigenen Angaben seit 2005 bisher 19.000 Stipendiaten in mehr als 800 Projekte entsandt, dabei seien insgesamt 43 Millionen Zeilen Code entstanden.

Im Jahr 2023 schickt Google 967 Stipendiaten in 171 Organisation, die für eine Standardlaufzeit von 12 Wochen pauschal 2.700 US-Dollar erhalten (in Deutschland, in den USA sind es 3.000, in der Schweiz 3.300 und in Indien 2.700 US-Dollar).

Das Portfolio der unterstützten Projekte liest sich wie ein Who’s Who der Digitalprojekte: Insgesamt waren von 2009 (weiter reicht das Archiv nicht zurück) bis 2022 unter anderem 460 Stipendiat:innen bei der Python Software Foundation, 450 bei KDE, 445 bei der Apache Software Foundation, 275 bei Gnome, 165 bei Mozilla, 159 beim GNU Project, 148 bei der Linux Foundation, 143 bei Debian, 128 bei der Wikimedia Foundation, 104 bei Freifunk, 93 bei LibreOffice, 91 bei VLC, 76 bei openSUSE, 62 bei Fedora, 58 bei OpenStreetMap, 49 beim Tor Project, 21 bei Gimp, 18 bei Jitsi, 17 bei Creative Commons, 14 beim Internet Archive, 8 bei Xfce und 4 bei QubesOS.

Für Google ist das Programm ein effizientes Recruiting-Instrument. Über den Summer of Code erhält das Unternehmen jedes Jahr Zugang zu Hunderten talentierten IT-Neulingen.

"Es gibt kein richtiges Leben im falschen." Aus dem Zitat des Philosophen Theodor W. Adorno ist ein geflügeltes Wort geworden, mit dem man offensichtliche Widersprüche anprangert. Auf Technologie umgemünzt, könnte man fragen: Kann man mit dem Geld der Falschen tatsächlich das Richtige programmieren?

Da ist dieser Staat und da ist dieses Unternehmen, gegen die in Hacker-Spaces und auf Hackerkonferenzen kraftvoll gewettert wird. Mitglieder der digitalen Zivilgesellschaft entwickeln mit Herzblut Werkzeuge, um die Macht dieser Akteure zu begrenzen – und in fast allen diesen Projekten stecken deren Gelder. Passt das wirklich zusammen?

Die paradoxe Konstellation scheint schlicht eine Win-Win-Situation zu sein, die für beide Seiten funktioniert.

Tor befördert die Macht von US-Konzernen, da deren Produkte auch in Staaten mit hoher Zensuraktivität genutzt werden können, was dem US-Überwachungsprogramm nebenbei Daten von Bevölkerungen in befeindeten Ländern zuführt. Gleichzeitig ist Tor ein effizientes Werkzeug zur Aushebelung staatlicher Überwachung.

Die Kooperation zwischen Google und Mozilla hat dem Unternehmen seit 2005 massenhaft Klicks und Daten zugeführt. Dank des Deals konnte die Mozilla Foundation in den letzten Jahren jedoch mit Hunderten Angestellten an einer Konkurrenz zum Google-Browser Chrome arbeiten.

Über den Summer of Code kommt Google mit jungen Entwicklern in Kontakt. Es wäre allerdings denkbar, dass eine talentierte Stipendiatin nach Abschluss des Studiums den ihr angebotenen Job bei Google Maps, Android oder Chrome dann doch nicht annimmt – sondern ehrenamtlich für das nichtkommerzielle Digitalprojekt arbeitet, das sie während des Stipendiums kennen- und lieben gelernt hat.

Was für Adorno undenkbar war, geht in der Technologiewelt irgendwo doch: Mit dem Geld "der Falschen" lässt sich anscheinend "das Richtige" entwickeln. Das ist die Dialektik der Open-Source-Welt.

(bme)