Taugen Gentherapien für den Markt?

Erstmals wurde laut dem Hersteller GlaxoSmithKline ein Patient mit der teuren Gentherapie Strimvelis behandelt. Ob das Konzept eine kommerzielle Zukunft hat, muss sich allerdings noch zeigen.

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Von
  • Emily Mullin
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Als zweite Person überhaupt wurde jetzt ein Kind in Europa mit einer kommerziellen Gentherapie behandelt, wie das Pharmaunternehmen GlaxoSmithKline Anfang Mai mitteilte. Es erhielt ein Medikament namens Strimvelis, das eine direkte Heilung für eine seltene Immunschwäche-Erbkrankheit bringen kann, indem es die genetische Ausstattung des Patienten verändert.

Gentherapien wurden in experimentellen Studien intensiv erforscht, doch die Frage nach ihrem kommerziellen Potenzial ist noch weitestgehend ungeklärt. Bislang ist es außerhalb von Studien nur bei einer weiteren Person gelungen, eine ererbte Krankheit mit ihrer Hilfe zu heilen. In diesem Fall aus dem Jahr 2015 kam ein anderes Medikament zum Einsatz, Glybera.

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Wie eine Sprecherin von GlaxoSmithKline sagt, wurde der erste Strimvelis-Patient im März behandelt, fast ein Jahr nach der Zulassung des Medikaments in Europa, die im Mai 2016 erfolgt war. Damit war das Kind laut GlaxoSmithKline der zweite Mensch überhaupt, der je eine kommerzielle Gentherapie erhalten hat. Seine Nationalität oder Details über die Finanzierung der Behandlung wollte das Unternehmen nicht nennen. Der Listenpreis von Strimvelis beträgt 594.000 Euro, was es zu einem der teuersten Medikamente überhaupt macht. Wie es sich auf dem Markt schlägt, wird deshalb intensiv beobachtet.

In diesem März machte Jonathan Appleby, Projektleiter für Strimvelis, für die Verzögerung bei der Kommerzialisierung Probleme beim Organisieren von grenzüberschreitenden Kostenerstattungen verantwortlich. Strimvelis wird derzeit in nur einem einzigen Zentrum in Mailand angeboten.

Für Glybera ist in Europa geplant, das Medikament wegen mangelnder Nachfrage wieder vom Markt zu nehmen. Strimvelis ist bislang die zweite Gentherapie für eine Erbkrankheit, die für den Vertrieb zugelassen wurde. Dass es so lange dauerte, die Probleme mit der Erstattung zu regeln, ist "definitiv ein schlechtes Zeichen für Patienten", sagt Casey Quinn, ein Gesundheitsökonom am MIT Center for Biomedical Innovation, der auf Medikamentenpreise in Europa spezialisiert ist.

Strimvelis ist zur Behandlung einer seltenen Immundefizienz-Krankheit durch Adenosin-Desaminase, kurz ADA-SCID, vorgesehen, bei der das Immunsystem von Babys nicht richtig funktioniert, so dass sie anfällig für Infektionen sind.

Es gehört zu den so genannten "ex vivo"-Gentherapien: Dem Patienten werden Knochenmarkzellen entnommen und außerhalb des Körpers mit einem künstlich hergestellten Virus verändert, der ein funktionierendes ADA-Gen enthält. Anschließend werden die reparierten Zellen dem Körper über eine Tropfinfusion wieder zugeführt.

Die Verabreichung von Strimvelis erfordere eine "spezielle Umgebung", sagt Lucia Monaco, Wissenschaftschefin der Fondazione Telethon. Die Forschungsorganisation hat die Therapie entwickelt und die Rechte daran an GlaxoSmithKline verkauft.

Die besonderen Anforderungen sind der Grund dafür, dass GlaxoSmithKline die Therapie bislang nur im Ospedale San Raffaele in Mailand anbietet. Laut dem Unternehmen müssten nach den Regeln zur grenzüberschreitenden Pflege Kinder in allen 28 Ländern der Europäischen Union Zugang dazu haben; die Kosten sollen von ihren Heimatländern getragen werden.

ADA-SCID betrifft nach Schätzungen in Europa nur 15 Kinder pro Jahr, und GlaxoSmithKline ist nie davon ausgegangen, viel Geld damit verdienen zu können. Offen ist aber die Frage, ob es überhaupt gelingen wird, im Krankenhaus vorzunehmende Gentherapien für seltene Krankheiten zu kommerzialisieren.

Tatsächlich haben einige von ADA-SCID betroffene Patienten an klinischen Studien zu anderen Behandlungsmöglichkeiten teilgenommen, statt die Therapie von GlaxoSmithKline zu nehmen. Eine solche Studie läuft derzeit am Great Ormond Street Hospital in London. Laut Susan Walsh, Leiterin der britischen Organisation Primary Immunodeficiency, waren die bisherigen Studien in dem Krankenhaus "sehr erfolgreich und bedeuten, dass Patienten für die Behandlung nicht nach Italien fahren müssen".

Nach Aussage von Strimvelis-Projektleiter Appleby arbeitet sein Unternehmen daran, Zellen von Patienten kryogen einzufrieren, um sie transportieren und das Medikament an mehr Orten in Europa anbieten zu können. Innerhalb der nächsten zwei Jahre hoffe man, so weit zu sein. In diesem Jahr, so Appleby, würden aber voraussichtlich noch weitere Patienten aus ganz Europa zur Therapie nach Mailand kommen.

(sma)