Vor 25 Jahren: DivX – das MP3 für Video entsteht

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Das bremst die Nutzung von Video am PC aber nicht. Rota & Co. stellen die Früchte ihrer rechtlich grenzwertigen Bastelei ins Netz – und sie wird reichlich genutzt. In der Folge tauchen im Netz DivX-kodierte Raubkopien vieler Filme auf – meist von DVD, oft aber auch aus mitgeschnittenen TV-Sendungen erstellt.

Aber vom Erfolg haben Rota und seine Mitstreiter nichts – ihnen ist klar, dass sich mit einem geknackten Codec kein Geld verdienen lässt. Im Mai 2000 gründen sie DivXNetworks und parallel unter "Project Mayo" das quelloffene Pendant OpenDivX. Beider Ziel: einen legalen h.263-Codec mitsamt Werkzeugen zu entwickeln. Basis wird die MPEG-4-Referenzimplementierung des EU-Projekts "MoMuSys".

Von Seiten Rota & Co. schläft die Arbeit an OpenDivX schnell ein – aber DivXNetworks verteilt benutzbare Enkodersoftware kostenlos. Die Gruppe hat vom MP3-Hack gelernt: Ein Grund für den Erfolg des Audiocodecs ist die Tatsache, dass ein Hacker die kostenpflichtige Enkodersoftware knackt und als angebliche Freeware ins Netz stellt. DivX erledigt dies mit der Version 4 seines Codecs gleich selbst – ganz legal.

Die Gelegenheit scheint günstig: Die ersten DVD-Laufwerke für PCs sind erschienen, deren Kopierschutz erweist sich als Pappkamerad, ebenso der Regionalcode. DVD-Brenner für Normalverbraucher hingegen gibt es erst ab 2001 und sie sind anfangs mit rund 1.500 D-Mark deutlich teurer als die schon verbreiteten CD-Brenner.

Es liegt also nahe, DVDs am PC zu rippen und ins DivX-Format zu transkodieren. Der derart runtergerechnete Film passt – je nach Länge und Qualitätsansprüchen – auf einen bis zwei CD-Rohlinge und ist auch noch klein genug, um über die entstandenen Internet-Tauschbörsen verteilt zu werden. Ungeduldig dürfen die DivX-Fans der ersten Stunden nicht sein: Die damals schnellsten Rechner kodieren bestenfalls in Echtzeit. Da es die beste Qualität nur gibt, wenn man dem Enkoder zwei Durchgänge gönnt – einen zum Analysieren des Films, den zweiten zum eigentlichen Berechnen der datenreduzierten Version – dauert es drei Stunden und länger, bis der Anderthalbstunden-Spielfilm "im Kasten" ist.

Der Umgang mit DivX ist anfangs ein Thema für Spezialisten: Laien verzweifeln schon an der Wiedergabe der DivX-Filme. Denn der Windows-Media-Player und vergleichbare Programme spielen Digitalvideo nur ab, wenn die entsprechenden Codecs systemweit installiert sind. PC-Video-Neulinge stolpern regelmäßig darüber, dass sich AVI-Datei A auf ihrem Rechner problemlos abspielen lässt, AVI-Datei B, weil mit einem unbekannten Codec erstellt, hingegen nicht.

Auch das Enkodieren ist in den ersten Tagen alles andere als selbsterklärend, weshalb Programmsammlungen wie Auto Gordian Knot aufkommen, die alle benötigten Softwarekomponenten unter einer halbwegs benutzerfreundlichen Oberfläche vereinigen. Und: Bis zur Anfang 2002 veröffentlichten DivX-Variante 5 ist auch der legale DivX-Codec nicht ISO-konform – erst ab Numero 5 hält man sich ans MPEG-4-Simple-Profile.

Wir rekapitulieren: Die Ur-DivX-Version 3 ist ein höchst zweifelhafter Microsoft-Hack, mit der Version 4 stellt man den Enkoder auf eine anders implementierte, rechtlich saubere Basis. Komplett ISO-konform wird DivX erst ab Version 5. Ausführlich schilderte c’t-Codec-Experte Volker Zota das Wirrwarr.

Als preiswerte MPEG-4-Dekoder in Hardware verfügbar werden, macht es dieser Wildwuchs im Verein mit dem weiter oben geschilderten Pixel-Chaos schwer, Geräte anzubieten, die die mit DivX kodierten CDs einigermaßen zuverlässig und im korrekten Seitenverhältnis abspielen. Der Ende 2002 verfügbare DVD-Spieler DP-450 der längst wieder untergegangenen dänischen Firma Kiss ist das erste Gerät überhaupt, das neben MPEG-2 auch zusätzlich MPEG-4 à la DivX reproduziert. Jedenfalls im Prinzip: Das Ur-DivX 3.11 läuft erst nach einem Firmwareupdate, insgesamt lässt die Zuverlässigkeit des Geräts zu wünschen übrig. Ein Jahr später traut sich mit Philips und deren 200 Euro teurem DVD 737 der erste Markenhersteller ans Thema. Zwischenzeitlich hat DivX das "DivX certified"-Programm aufgelegt, sodass DivX 3.11 von Anfang an auf solchen Geräten läuft. Firmwareupdates gibt es aber auch hier, um die beim Erstellen am PC möglichen Auflösungen korrekt darzustellen.

Der DivX-Zug nimmt Fahrt auf: Im Frühjahr 2005 kommt der DivX-Encoder in der Version 6 auf den Markt, der endlich die Eigenheiten von Digitalvideo kennt, also Zeilensprung, rechteckige Pixel und anamorphe Speicherung. Zudem will man ein eigenes, aus Matroska (.mkv) abgeleitetes Containerformat namens .divx etablieren, das Untertitel- und mehrere Tonspuren unterstützt. Gleichzeitig springen immer mehr Hardwarehersteller auf den DivX-Zug auf: Neben zahllosen DVD-Spielern und dedizierten Mediaplayern erscheinen auch Digitalkameras, etwa die Casio EX-S 770 D, die in Echtzeit DivX-kodierte Videos dreht.

Dabei kommt es zu interessanten Konstellationen. Da die DivX-Gründer die quelloffene Variante des Codecs faktisch nicht weiter verfolgen, gründet sich als Gegenbewegung das Xvid-Projekt – ausgehend von OpenDivX. Die technischen Grundlagen von Xvid sind konsequenterweise denen von DivX 4/5 sehr ähnlich – prinzipiell konnte und kann Hardware, die DivX wiedergeben kann, auch Xvid spielen – und umgekehrt. Manche DVD-Spieler-Hersteller wollen aber von DivX anfangs nichts wissen – insbesondere Sony und Panasonic machen lange einen schlanken Fuß bei dem Thema. In der Praxis geben DVD-Spieler und TVs dieser Japaner Xvid wieder, DivX-Videos mit identischen Parametern aber nicht. Allerdings reicht es, mit dem Programm AVI FourCC Code Changer in der Kopfzeile der Videos einen Wert zu ändern – schon läuft das Video, ohne dass man es hätte neu kodieren müssen.

2006 eröffnet DivX sein Videoportal "Stage 6". Zu einer Zeit, als Youtube noch eine wenig beachtete Spielwiese mit bescheidener Videoqualität ist und nur mit dem ungeliebten Flash-Browserzusatz funktioniert, findet sich auf Stage 6 Material in ansehnlicher HD-Qualität. Leider kosten die dafür nötigen Serverkapazitäten seinerzeit noch sehr viel Geld – und recht schnell landen auf der Plattform in großer Zahl Raubkopien. 2008 fällt auf dieser DivX-Bühne der letzte Vorhang.

Insgesamt markiert das Jahr 2006 den Anfang vom Ende von DivX: DVD-Brenner, -Rohlinge und Festplattenplatz kosten kaum noch etwas – wer DVDs kopieren oder TV-Mitschnitte als Video-DVD brennen will, kann das für kleines Geld. Als Mittler für den Transport legaler wie illegaler Inhalte braucht man DivX schlicht nicht mehr. Es zeichnet sich zudem ab, dass H.263 nur ein Zwischenschritt bei den Videocodecs ist – Camcorder und HDTV setzen auf H.264. Mit der 2009 aufgelegten Version 7 schwenkt auch DivX auf diesen nochmals effizienteren Codec und übernimmt offiziell Format und Dateiendung von Matroska. Vor dem Hintergrund dieser Entscheidung kauft man sich Ende 2007 beim Aachener MPEG-Spezialisten Main Concept ein.

Aber plötzlich können PCs und Hardware H.264-MPEG-4-Videos einfach spielen, es gab und gibt gleich mehrere kostenlose wie -pflichtige andere Software, mit der sich MPEG-4-Videos erstellen lassen – im MP4- oder MKV-Container. Mit dem Aufkommen des VLC-Players 2001 müssen sich Nutzer zudem keinerlei Gedanken mehr über im System installierte Codecs machen – die bringt der Spieler gleich selbst mit. DivX gibt es noch – aber anders als sein Audio-Gegenstück MP3 war seine Nutzung nur vorübergehender Natur. Gründer Jérôme Rota hat keinerlei Verbindung mehr zu DivX – aktuell firmiert er als Produktvorstand bei der Spielergemeinschaft Omnislash.

(dmk)