Verbesserte Gedächtnisleistung durch Stromimpulse – Studie weckt Hoffnung

Die nicht-invasive Hirnstimulation kann bei neurologischen und psychiatrischen Leiden helfen. Eine Studie mit Gesunden lässt aber noch Fragen offen.

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Von
  • Jessica Hamzelou
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Der Einsatz von leichten Stromstößen (transkranielle Gleichstromstimulation, tDCS) und Magnetfeldern (transkranielle Magnetstimulation, TMS) hat in der Vergangenheit bei so manchem Leiden Wirkung gezeigt. Die nicht-invasiven Technologien unterstützten etwa die Fähigkeit des Gehirns zur Um- und Neuorganisation nach Schlaganfällen, bei der gesunde Areale die Funktion von geschädigten Gebieten übernehmen. Bei psychiatrischen Erkrankungen wie Depression und Schizophrenie schienen sie den Effekt von Psychopharmaka zu verstärken.

Eine sanfte Form der Hirnstimulation könnte neuen Forschungsergebnissen zufolge älteren, nicht vorerkrankten Menschen helfen, ihr Gedächtnis zu verbessern. In der neuen Studie fiel es ihnen leichter, sich an Worte aus einer Liste zu erinnern.

Die Technik kann so angewendet werden, dass sie sowohl das Langzeit- als auch das Kurzzeitgedächtnis verbessert. Und die Wirkung scheint mindestens einen Monat lang anzuhalten. Erstmals habe eine Hirnstimulation einen so langanhaltenden Effekt auf das menschliche Gedächtnis, sagen die Wissenschaftler der Boston University, die hinter der Forschung stehen.

"Der Eingriff ist nur kurz, und er hatte sowohl eine sofortige als auch eine sehr dauerhafte Wirkung", sagt Marom Bikson, der an der Studie nicht beteiligt war und am City College of New York im Bereich der Biomedizintechnik lehrt. "Es sind noch weitere Forschungen erforderlich, aber wenn das funktioniert, könnte die Methode in jeder Arztpraxis oder sogar zu Hause angewendet werden."

"Es ist eine unangenehme Tatsache, dass wir mit zunehmendem Alter alle ein wenig vergesslich werden", sagt Rob Reinhart, Neurowissenschaftler und Forschungsleiter. Reinhart untersucht neuronale Netzwerke im Gehirn, die für Kognition, Aufmerksamkeit und Gedächtnis zuständig sind – und wie diese sich mit zunehmendem Alter und als Folge bestimmter Erkrankungen verändern.

Signale, die Erinnerungen oder Gedanken bilden, durchwandern eine Nervenzelle als kleine elektrische Impulse. Sie laufen entlang der Nervenfortsätze und erlauben es dem Gehirn, Informationen gezielt von einem Areal oder Neuron zu einem anderen zu senden. Es deutet inzwischen immer mehr darauf hin, dass elektrische Stimulationen diese Verbindungen zwischen den Hirnregionen stärken.

Um diese Theorie zu bestätigen, nutzten Reinhart und seine Kollegen die sogenannte transkranielle Wechselstromstimulation (tACS). Zwar wird bei diesem Verfahren Strom in Regionen des Gehirns geleitet, aber die Dosen sind zu gering, um Gehirnzellen zum Feuern zu bringen. Stattdessen moduliert tACS die Art und Weise, wie Zellen feuern, sagt Reinhart. Er bezeichnet seinen Einsatz von tACS daher lieber als Hirnmodulation statt Hirnstimulation. "Es handelt sich um nicht-invasive, sichere und sehr schwache Wechselstromstärken", sagt er.

Mit der hier angewandten modernen Form von tACS können die Forscher gezielt kleine Regionen des Gehirns stimulieren. Das Team konzentrierte sich auf zwei Hirnregionen, die an der Gedächtnisbildung beteiligt sind: einen Teil des präfrontalen Kortex im vorderen Teil des Gehirns, der für das Langzeitgedächtnis zuständig ist, und den Scheitellappen, eine Region im hinteren Teil des Gehirns, der für das Kurzzeitgedächtnis fungiert.

Jede dieser beiden Hirnregionen hat ihre eigenen Gehirnwellen – ein charakteristisches Muster von elektrischen Aktivitätsimpulsen. In ihrem ersten Experiment gaben Reinhart und seine Kollegen Aktivitätsimpulse ab, die den natürlichen Rhythmen der jeweiligen Region entsprachen – hohe Frequenzen für den präfrontalen Kortex und niedrige Frequenzen für den Scheitellappen.

Das Team rekrutierte 60 Freiwillige im Alter zwischen 65 und 88 Jahren, die es in drei Gruppen einteilte. Die Wissenschaftler lasen jeder Person eine Liste von 20 Wörtern vor, an die sich der Proband später erinnern sollte. Während sie diese Aufgabe ausführten, wurde bei einer Gruppe der präfrontale Kortex des Gehirns moduliert, bei der zweiten die Scheitellappen. Die letzte Gruppe trug zwar auch eine Kappe mit Elektroden, es floss aber kein Strom.

Diejenigen, die eine Hirnstimulation erhielten, würden nichts Dramatisches bemerken, sagt Reinhart. "Wenn der Strom fließt, spürt man lediglich ein leichtes Kribbeln, Jucken, Stechen oder ein Wärmegefühl", sagt er.

Die Forscher wiederholten die 20-minütige Sitzung an vier aufeinanderfolgenden Tagen. Während dieser Zeit verbesserten die Teilnehmer mit Hirnmodulation ihre Fähigkeit, sich Wörter zu merken. Die Kontrollgruppe hingegen zeigte keine solche Verbesserung.

Woran sich die Probanden erinnern konnten, hing davon ab, welche Gehirnregion die Forscher stimuliert hatten. Die Teilnehmer, deren Vorderhirn stimuliert wurde, konnten sich besser an die ersten Wörter in der Liste erinnern. Das deutet darauf hin, dass sich ihr Langzeitgedächtnis verbessert hatte. Bei Stimulation des Scheitellappens verbesserte sich das Kurzzeitgedächtnis.