Wirtschaft: Wie die Welt chinesischer wird

Die deutsche Regierung hat auf Chinas wachsenden Einfluss mit einer China-Strategie reagiert. Man fürchtet strategische Käufe.

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(Bild: Tatohra/Shutterstock.com)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Martin Kölling
Inhaltsverzeichnis

Die internationale Expansion Chinas hat die deutsche Regierung auf den Plan gerufen. Mitte Juli verabschiedete die Bundesregierung erstmals eine "China-Strategie", die künftig die staatlichen Reaktionen auf das wirtschaftliche, diplomatische und militärische Vorgehen Chinas vereinheitlichen soll.

Ein wichtiger Punkt, der in der Strategie kaum angesprochen wird, sind die Übernahmen chinesischer Unternehmen im Ausland. Dabei kaufen Konzerne aus der zweitgrößten Volkswirtschaft gezielt Know-how und Marken im Ausland ein, um die eigene Wirtschaft zu stärken. Der chinesische Autohersteller Geely hat gerade ein neues Zeichen gesetzt. Das Unternehmen kontrolliert bereits Volvo, um mit Technik und Design aus Europa zu Hause und weltweit anzugreifen. Aber auch wer Autos mit Verbrennungsmotor von Renault kauft, unterstützt die Chinesen künftig kräftig. Im Juli gliederte Renault das Geschäft mit Verbrennungsmotoren und Hybridantrieben in ein gleichberechtigtes Joint Venture mit Geely aus.

Als dritten Anteilseigner sicherte sich das Duo einen finanzstarken Partner, der ein Interesse daran hat, Verbrennungsmotoren noch etwas länger auf der Straße zu halten: den saudischen Ölkonzern Aramco. Apropos Autos: Die britische Marke MG, die gerade ein Elektroauto auf den Markt bringt, gehört zu Shanghai Automotive Industries (SAIC).

Einer der ersten Giganten aus dem Reich der Mitte, der auch in Deutschland auf sich aufmerksam gemacht hat, ist jedoch der Haushaltsgerätehersteller Midea. Das privat geführte Unternehmen kaufte 2015 zunächst das Haushaltsgeräte- und Klimageschäft des japanischen Technologiekonzerns Toshiba. Ende 2016 schluckte das Unternehmen dann den deutschen Industrieroboterhersteller Kuka, ein Deal, der schon damals für Kritik sorgte. Denn damit geriet ein wichtiges deutsches Zukunftsunternehmen unter chinesischen Einfluss.

Inzwischen sind eine Reihe weiterer bekannter Marken de facto chinesisch geworden. Mideas lokaler Rivale Haier war sogar schon früher im Ausland aktiv und hatte beispielsweise zwischen 2012 und 2016 die Hausgerätesparten von Fisher & Paykel (Neuseeland), Sanyo (Japan) und General Electric (USA) übernommen.

Besonders aktiv ist der Computerriese Lenovo. Das Unternehmen übernahm nicht nur Motorola, sondern auch die Computersparte von IBM, inklusive des legendären ThinkPad-Computers. Den gibt es heute noch, allerdings von Lenovo. Auch Teile des Computergeschäfts der japanischen Konzerne NEC und Fujitsu überleben in chinesischer Hand.

Ginge es nicht um chinesische Unternehmen, würden die Übernahmen kaum für Aufregung sorgen. Doch China hat mit seiner Wirtschaftspolitik dafür gesorgt, dass sich andere Länder angegriffen fühlen. Die sehr nüchtern formulierte deutsche China-Strategie spiegelt die wachsenden Sorgen einer steigenden Zahl von Ländern wider.

Für die deutsche Bundesregierung ist China "Partner, Konkurrent und systemischer Rivale zugleich". Damit ist auch in Deutschland eine Erkenntnis angekommen, die Japan und die USA bereits zur Grundlage ihrer Politik gemacht haben: China lockt ausländische Unternehmen und Technologien an oder erwirbt sie über eigene Unternehmen, um zwei Ziele zu erreichen: "die eigene Abhängigkeit vom Ausland zu verringern und gleichzeitig die Abhängigkeit internationaler Produktionsketten von China zu erhöhen", so heißt es von der Bundesregierung.

Das ist natürlich Chinas gutes Recht. Aber natürlich haben auch andere Staaten ein Recht darauf, ihre Abhängigkeit von China zu verringern: "De-Risking" heißt das Stichwort, das für die Diversifizierung von Lieferketten steht. Die Ironie: Die Klagen über Barrieren auf dem chinesischen Markt und erzwungenen Technologietransfer sind nicht neu. Allerdings wäre die Reaktion weit weniger heftig ausgefallen, hätte die kommunistische Führung in Peking die Sorgen in den vergangenen Jahren nicht immer wieder selbst geschürt.

Unter Staats- und Parteichef Xi Jinping tritt China militärisch immer aggressiver auf und droht Taiwan verstärkt, die als abtrünnige Provinz betrachtete Insel notfalls gewaltsam ins Reich der Mitte zurückzuholen. Hinzu kommen die zunehmende Unterdrückung und der wachsende Ethno-Nationalismus.

Wirklich aufgeschreckt wurde die Politik außerhalb Chinas jedoch durch die Bereitschaft der Machthaber in Peking, Chinas Dominanz bei strategischen Rohstoffen und Produkten als politisches Druckmittel einzusetzen. Japan war 2010 das erste Opfer. Auch Südkorea und Australien haben durch wirtschaftliche Strafmaßnahmen, die Peking für missliebiges Verhalten verhängt, schwere wirtschaftliche Einbußen erlitten.

Im Falle Südkoreas war dies die Stationierung eines Raketenabwehrsystems gegen die wachsende Bedrohung durch nordkoreanische Atomwaffen. Australien hatte es gewagt, eine unabhängige Untersuchung der Ursachen der Corona-Pandemie zu fordern. Anfang Juli lieferte Peking der deutschen Regierung eine Antwort, indem es Exportkontrollen für Materialien wie Gallium und Germanium einführte.

Das Unbehagen bei Firmenübernahmen rührt daher, dass die Kommunistische Partei die schon früher fließenden Grenzen zwischen privaten und staatlichen Unternehmen in den letzten Jahren noch weiter verwischt hat. Die China-Strategie der Bundesregierung nennt einen Aspekt, die "zivil-militärischen Verschmelzung", die eine tiefe Integration auch privater Unternehmen in die Militärwirtschaft vorantreiben soll.

Dieser militärisch-industrielle Komplex unterscheidet sich von westlichen Formen durch seine Breite und Konsequenz. Die amerikanische Denkfabrik "Center for a New American Security" stellte in einer Studie fest, dass diese Mobilisierung von Unternehmen, Universitäten und Forschung "erstaunlich breit angelegt" sei und alle Bereiche von Big Data über Infrastruktur bis hin zur Logistik umfasse.

Der US-Thinktank Hudson Institute stellte jüngst in einer Veranstaltung Xis Marschbefehl klar: "China bereitet sich auf Krieg vor". Genauer gesagt, einen Angriff auf Taiwan und damit einen Krieg mit den USA, und dies nicht nur militärisch. Gezielt wird eine Kriegswirtschaft aufgebaut, der sich private Unternehmen im Zweifel nicht entziehen können. Denn in der chinesischen Version einer Diktatur des Proletariats kann die Führung Unternehmen leicht zur Kooperation zwingen. Über Parteizellen hat sie schon jetzt großen Einfluss in den Chefetagen.

Wie groß der Einfluss Chinas auf deutsche Unternehmen ist, ist eine andere Frage. Laut einer Analyse von "Die deutsche Wirtschaft" aus dem Jahr 2021 befanden sich zu diesem Zeitpunkt 274 deutsche Unternehmen in chinesischem Besitz. Dazu gehören neben Kuka auch Unternehmen wie der Maschinenbauer KraussMaffei, der Gabelstaplerhersteller Still, der Betonpumpenhersteller Putzmeister, die Modemarke Tom Tailor, der Dienstleister LSG Lufthansa Service Holding und die Steigenberger Hotels.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Damit liegt China weit hinter den USA auf Platz elf der ausländischen Eigentümer. Bemerkenswert ist, dass sich chinesische Unternehmen vor allem in Branchen einkaufen, die sowohl für China als auch für Deutschland wichtig sind: An erster Stelle steht der Maschinenbau, an dritter Stelle folgt die Automobilindustrie, knapp hinter den Konsumgüterherstellern.

2022 stand Deutschland laut der Unternehmensberatung EY auf Basis von chinesischen Daten mit nahezu unverändert 28 gekauften Unternehmen gemeinsam mit Südkorea auf dem sechsten Platz, hinter den USA, Großbritannien, Australien, Japan und Singapur. Das ist umso bemerkenswerter, als die Zahl der Fusionen und Firmenkäufe (M&A) Chinas im Ausland absackte.

Chinas Auslandsinvestitionen stiegen in diesem Jahr zwar um 0,9 Prozent auf 146,5 Milliarden US-Dollar. Allerdings brachen die M&A-Transaktionen um 52 Prozent auf nur noch 28,7 Milliarden US-Dollar ein und erreichten damit den niedrigsten Stand der letzten Jahre. Ein Teil des Rückgangs könnte darauf zurückzuführen sein, dass weniger Deals veröffentlicht werden, so der Unternehmensberater EY.

Doch der Abschwung begann schon vor der Corona-Pandemie. Das meiste Geld investierten chinesische Unternehmen allerdings immer noch in Asien. Beliebte Ziele sind zum einen die Technologie-Nationen Japan und Südkorea. Aber auch südostasiatische Länder wie Indonesien, Vietnam und Thailand ziehen zunehmend chinesische Unternehmen an. Zum einen locken die rasant steigenden Lohnkosten daheim chinesische Hersteller in Billiglohnländer. Zum anderen hoffen sie, die dortigen Märkte zu erobern und gleichzeitig in die zunehmend von China abgenabelte Versorgungskette der USA zu liefern.

Im ersten Quartal 2023 setzte sich der Trend fort: Das M&A-Volumen chinesischer Unternehmen im Ausland ist rückläufig. Die Zahl der Deals wird aber weiterhin von den Branchen Telekommunikation/Technologie und fortgeschrittene Produktionstechnologien/Mobilität dominiert. Die größten Investitionen entfielen diesmal auf den zweiten Sektor, was auf die globale Offensive chinesischer Elektroautohersteller hindeutet.

Auch ohne den kritischen politischen Überbau von Chinas Strategie müssen die Bewegungen an der wirtschaftlichen Basis etablierte Exportnationen wie Deutschland und Japan beunruhigen. Denn chinesische Unternehmen entwickeln sich in wichtigen Sektoren zu starken Konkurrenten. Doch die entscheidende Frage lautet: Wie reagieren die Platzhirsche auf den Herausforderer, mit Reformen und Fortschritt oder mit Protektionismus? Darauf gibt die China-Strategie der Bundesregierung noch keine umfassende Antwort.

(jle)