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Was war. Was wird.

Die Wochenschau von Hal Faber kümmert sich diesmal um E-Tulpen aus Amsterdam für Asylanten in Vancoucer sowie die spannende Frage, ob die Erde eine von Affen bevölkerte Scheibe ist.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es ist einige Jahrhunderte her, da gab es in Europa ein Tulpenfieber. Die aberwitzigsten Preise wurden für das Gewächs gefordert und auch gezahlt. So manch ein Vermögen wurde in den Sand gesetzt, doch manchmal glückte auch der große Coup. Danach liefen vorzeitliche Bobos durch die Gassen, mit einem grossen T in den Augen. Erinnert diese Tulipomanie nicht an die Internet-Euphorie der Börsen, wo Boo zum Trotz Leute mit einem kleinen e in den Augen herumlaufen? Jawoll, so ist es, dachten sich einige schlaue Veranstalter, die in Amsterdam (und Frankfurt) die Tulipomania.Dotcom veranstalteten. Die guten Menschen hielten sich an einen Sommerparty-Ratschlag des Spiegel-Reporters: "Unterbrechen Sie die Tanzmusik, erklären Sie alle Gäste zu Dot.coms, rufen Sie die com.unistische Revolution aus. Verteilen Sie T-Online-Mützen." So wird jede Party ein Gewinn. Ganz so lustig war es in Amsterdam nicht. Als die Soziologen an die Referatsreihe kamen, die die Nettocracy feierten, das Consumariat verdammten und das NET als logische Folge des Fortschritts feierten, das nach GOTT und der NATION die Menschen beglückt, kam ein Zwischenruf aus dem Publikum: "Who is prepared to die for the Net?" Dem Mann wurde das Mikrofon weggenommen.

*** Wer stirbt, ist einfach nicht fit genug. Das ist jedenfalls, brutal gekürzt, die Ansicht eines Herrn Darwin gewesen, der nicht die Tulpen, sondern mehr die Affen namens Menschen beobachtete. Offensichtlich findet dieser Biologismus noch heute Gefallen, vor allem unter den Dot.com-Finanziers, die ihre Schäfchen-Zwiebeln ins Trockene bringen wollen. "Darwin – Business in the Information Age" heißt darum eine neue Internet-Zeitschrift, die in den USA vom IDG-Konzern eigens für Geschäftsleute entwickelt wurde. Untertitel: "Fressen Sie, bevor Sie gefressen werden". In leicht verständlicher Wirtschafts-Sprache soll Darwin den Geschäftsleuten die Internet-Revolution erklären. Die Zeitung soll vorerst nur auf den großen US-Flughäfen verkauft werden, wo Manager mindestens beim Takeoff Zeit haben, das Blatt zu lesen. Am Boden gelandet, könnten sie ja schon gefressen sein.

*** Wie viele Blätter haben indes den Stuss gefressen, dass Kartoffeln einen Server antreiben können? Der Kartoffel-Jux schlug in der letzten Woche hohe Wellen. Dabei ist nach der Amsterdamer Konferenz klar, dass einzig Tulpenzwiebeln einen Web-Server auf Trab halten können. Als ein Kamerateam der BBC die Kartoffeln filmen wollte, löste sich der Spaß auf und verschwand wie der Hoax von den zwei Millionen Sex-Besessenen, die das Internet angeblich wüst missbrauchen, wie es Darwin niemals ahnen konnte. Angeblich wurden diese 2 Millionen platziert, um den Bau eines Sex-Museums zu torpedieren, das Peter Norton himself, der Viruskiller mit den verschränkten Armen, finanzieren will. Norton hat dabei keine Sexschau im Sinne, wie sie das Casa Rosso in Amsterdam bietet, sondern eine Institution der Aufklärung gegen die neue Prüderie, im Sinne von Magnus Hirschfeld, ließ er der New Yorker Presse erklären, die eine Dot.com-Idee wittern wollte. Es ist vielleicht out of context, aber dennoch sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass Peter Norton auch Prüderie achtet. Er ersteigerte auf einer Auktion die feurigen Liebesbriefe, die der Schriftsteller J.D. Salinger an seine Geliebte geschickt hatte – um sie anschließend Salinger zu schenken. Der wollte partout nicht, dass seine pikante Prosa bekannt wird.

*** Bekannt wurde dafür eine Sensation: Microsoft ist auf der Flucht. Wie bitte: Steve Ballmer in Abschiebehaft, und Bill Gates im "Asylantenwohnheim"? Seltsame Vorstellung, aber in British Columbia bereitete man offensichtlich schon Auffanglager für bedrohte Microsofties vor. Die schöne Stadt Vancouver in Kanada habe sich der Softwarekonzern, der in letzter Zeit für seinen eigenen Geschmack vom US-Justizministerium etwas arg belästigt wurde, als neues Hauptquartier ausgesucht, hieß es bei der BBC. Immerhin, angeblich soll Vancoucer nicht so verregnet sein wie das notorisch von Schauern geplagte Seattle, in dessen Einzugsgebiet der Microsoft-Campus in Redmond bislang liegt. Und British Columbia käme ein Steuerzahler in der Größenordnung von Microsoft sicher gelegen – da wird man doch bestimmt keine Antitrust-Verfahren einleiten wollen. Microsoft allerdings dementiert heftig: Es gebe keine Pläne, das Hauptquartier zu verlegen. Nun, man mag das für vernünftig halten: Das Image eines flüchtigen Waffenschiebers, der sich nach Kanada absetzt, könnte auch die frisch eingesetzte Good-Will-Beauftragte nicht mehr korrigieren. Microsoft-Sprecher Jim Cullinan nahm die Geschichte jedenfalls gleich zum Anlass, erneut zu beteuern, die Gates-Company werde den Kartell-Prozess in den USA gewinnen. Und wenn nicht? Na, dann kann man ja immer noch um Asyl nachsuchen. Es bleibt dann nur die spannende Frage, ob Gates als "Wirtschaftsflüchtling" wieder abgeschoben wird oder als "politisch Verfolgter" Asyl bekommt.

*** Ob Birgit Breuel irgendwann auch in Kanada um Asyl ersucht? Wohl kaum. Dafür dürften erboste Expo-Gegner aber inzwischen ans Auswandern denken: Da mobilisiert man 10 Jahre lang gegen das Mammut-Spektakel in Hannover, und keinen scherts. Und dann demonstrieren auch noch die Veranstalter, wie man so eine Show so richtig blockiert. Man mag ja gar nicht mehr darauf herumreiten, was denn die Welt von einer Weltaustellung halten soll, die vom Blondlöckchen der Nation in konzertierter Aktion mit einem abgehalfterten Show-Sänger, der verschüchterte Kiddies nur noch durch Brüllen zum Mitsingen animieren kann, eröffnet wird: Schön ist es, auf der Welt zu sein, das hätte gerade noch gefehlt. Nun aber schafft es die Expo auch noch selbst, die Besucher auszuschließen. Wenn denn jemand Karten kaufen will, dann kann er es nicht – zumindest nicht im Vorverkauf. "Mensch, Natur, Technik": Generalkommissarin Breuel vergaß wohl, dass so eine Weltausstellung ohne Menschen (zumindest in der Form von Besuchern) wenig Reiz hat, dass aber die Technik halbwegs funktionieren muss, wenn diese Menschen mehr machen sollen als sich grausend abzuwenden angesichts eines Gottschalk, der Wasser aus dem Auspuff eines Öko-Autos trinkt. Und unter Natur verstehen diese Menschen vielleicht auch etwas anderes als eine Ansammlung von Pavillons, in denen sich die Bäume nach dem Boden strecken. Nun ja: Wer den Schaden hat... Was aber auch für die großen Widersacher von Breuel gilt: Über die paar Hanseln, die sich angesichts eines Polizeiaufgebots wie zu Brokdorfer Zeiten selig wohl schon kurz vor dem Bürgerkrieg sahen, redet wahrscheinlich in ein paar Wochen niemand mehr. Da ist es doch irgendwie tröstlich, dass zumindest auf dem Messegelände weder von darwinistischen Dot.coms noch von e-Tulpen die Rede ist – dafür umso mehr von bertelsmännischen und telekomischen Allmachtsphantasien. Die neue Welt ist ganz die alte: q.e.d., ganz ohne Straßenschlachten.

Was wird.

Nichts wird aus der Konferenz Open Source und Open Society, die als Nachfolgekonferenz der Berliner Wizards of OS im Oktober im ZKM in Karlsruhe stattfinden sollte. Für Debatten um die gesellschaftliche Funktion von Linux sei kein Bedarf, heißt es in der ersten Begründung der Absage. Außerdem müsse das ZKM viel Geld sparen und Open-Source-Kongresse würden dank der Mittellosigkeit der Referenten und der Einstellung der Besucher nun einmal keinen Gewinn bringen, so das ZKM. Was dagegen vielleicht fertig wird, ist A-Earth, ein Projekt des MIT. Dort will man dieser Tage eine interaktive Spielzeugerde für Kinder vorstellen, die VRML-Guru Mark Pesce entwickelt hat. Drückt man auf ein Teil der Erde, so ploppt ein Bildschirm raus und erzählt, wo dort der Schuh drückt. Daten zu Zoologie, Botanik, Bevölkerung und Wetter sollen dabei in Echtzeit über das Internet vor Ort abgeholt werden: "So kann ein Kind das Wunder der Erde endlich in seiner vollen Dimension begreifen." Die Kinder früherer Zeiten hatten dafür nur eine Scheibe, Buch genannt. Deswegen hielten sie die Erde auch für eine Scheibe voller Affen und Tulpen. (Hal Faber) (jk)