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Was war. Was wird.

Hal Fabers Wochenschau: Apostolische Empfehlungen für Online-Journalisten treffen sich mit Empfehlungen des Marketings für News-Websites; und wir fragen uns: Wo soll das alles enden?

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Pfingsten ist ein christliches Fest, das auf das Apostelwunder zurückgeht. Auf einmal waren sie vom Heiligen Geist erfüllt und begannen, in anderen Zungen zu reden. Wenn wir an dieser Stelle den grossen Babelfish-Tag erwähnen, dann nur, weil Papst Johannes Paul ihn mit 8.000 Journalisten aus der ganzen Welt feierte und ihren Beruf segnete. Er forderte alle Journalisten auf, die christlichen Werte zu achten und sich für die Schwachen und Beladenen einzusetzen. Die Online-Journalisten blieben außen vor: Kardinal Roger Etchegaray schimpfte tüchtig auf das Internet und die immer schneller werdende Kommunikation, in der Journalisten ihre Würde und Distanz vergessen. Doch die schönste Weisheit hielt Kardinal Dario Hoyos, Präfekt der Versammlung am Heiligen Stuhl, für uns alle bereit: "Christus war ein Journalist par excellence, er ist der größte Journalist aller Zeiten, dessen einfache Geschichten jeder verstehen kann, weil sie vom Sinn des Lebens sprechen."

*** Kollege Christus ist jedenfalls im Internet im Vormarsch. Statt der mittäglichen Nachrichtenzusammenfassung erhalten seit Freitag alle 3.500 Mitarbeiter beim Medizinversorger B. Braun in Melsungen ein Gebet per E-Mail. Es soll in der Mittagspause zum Nachdenken abseits der Hektik des Alltags anregen. Ein Opt-Out aus dieser Mailingliste soll den Angestellten untersagt worden sein.

*** Wo ich schon bei kirchlichen Ratgebern bin: Einen apostolischen Berater für die Nachrichtenproduktion könnte vielleicht auch die Expo-Gesellschaft gebrauchen. Wie viele waren es denn nun, fragt sich die Welt? Die Heimatstadt von heise online ist von akutem Expo-Fieber befallen und der Besucherandrang wird von der Presse begutachtet wie die Börsenkurse von der Financial Times. Und weil sie die vielen schlechten Nachrichten nicht mehr hören konnte, hat die Expo-Gesellschaft kurzerhand beschlossen, jetzt erstmal gar keine Besucherzahlen mehr herauszugeben. Das ist echt innovativ. Vielleicht sollten wir sowas auch bei fallenden Börsenkursen einführen: Unterhalb eines kritischen Kurswertes wird einfach kein Wert mehr angezeigt. Mit solchen Kleinigkeiten wird gelegentlich daran erinnert, was Informationsgesellschaft wirklich bedeutet.

*** Verlassen wir aber die pfingstlichen Gefilde. Zu den unterdrückten Nachrichten der letzten Woche gehört der Abschied von APBnews und APBonline, einer Internet-Site mit 55 festangestellten und und über 130 freiberuflichen Journalisten, der eine zweite Finanzierungsrunde von 20 Millionen Dollar versagt blieb. Sie hatten, so der Vorwurf der Investoren, zu viele News produziert und nichts für das Branding getan. Ihnen wurde ein Vorschlag à la Jesus gemacht: Unter Verzicht auf den Lohnscheck sollten alle einen Monat lang weiter arbeiten, bis ein Käufer gefunden sei. Branding tut also offensichtlich Not: Lieber Leser, du befindest Dich auf [ heise online] und liest außergewöhnlich qualitätsvolle Heise-Texte im Heise-Newsticker zur heisen, ähh... heißen Pfingstzeit.

*** Das Lesen einer News-Site folgt übrigens genau ergründelten Gesetzen, teilte jetzt das Poynter-Institut der Universität Stanford mit: Erst werden 92% des Textes betrachtet, dann 64% der Fotos und dann 22% der grafischen Informationen. Dies seien Werte, die jeden Produzenten einer News-Website erschüttern und tief schocken würden, heißt es in der Begleit-PR, die leider nichts zur Messmethode des Schockers sagt. Ob die Produzenten der Heise-Website allerdings besonders über die Ergebnisse geschockt sind, wage ich zu bezweifeln: Sonst wäre diese Wochenschau wohl gar nicht erst erschienen.

*** Ein "tiefer Schock" befiel dagegen am letzten Donnerstag die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA). Die Gruppe fand heraus, dass die Adresse www.shoah.de im Redirect zu Firmenangeboten von www.ixl.de führte. Prompt war von "verheerenden Folgen solch unverantwortliche(n) Umgang(s) mit diesen geschichtlichen Ereignissen" des Holocaust die Rede. Nun hat IXL kein "Schindluder im Interesse des Kommerz betrieben", sondern normalen E-Commerce: IXL reservierte den hebräischen Begriff mit deutscher Adresse, weil die Firma von der Shoah Foundation des Regisseurs Steven Spielberg (www.shoahfoundation.org) mit der Internetrepräsentanz des Berliner Kongresses dieser Organisation beauftragt war. Nachdem shoah.de nicht mehr benötigt wurde, trat der Redirekt in Kraft. Jetzt hat ihn IXL geändert. Die Adresse leitet nun auf www.akdh.ch um, die Site der höchst umstrittenen Schweizer "Aktion Kinder des Holocaust". HaGalil.com, synagoge.de oder juden.de waren den gebündelten Antifaschistinnen und Antifaschisten wohl nicht genehme Adressen.

*** Apropos Geschichte: Keine Atempause, Geschichte wird gemacht – so textete vor einigen Jahren eine weit gehend vergessene deutsche New-Wave-Band. Zur Wochenmitte erschien die dritte Version von Plan 9 im Internet (plan9.bell-labs.com/plan9dist/), fünf Jahre nach der zweiten. Diese Version des Forscher-Betriebssystems wird als Open Source vertrieben, weil Wissenschaftler in aller Welt dazu aufgerufen sind, mit dem System zu experimentieren, erklärte Robert Pike, der Leiter des Plan-9-Teams. Eine englische Firma namens Vita Nuova will den Vertrieb und den kommerziellen Support von Plan 9 übernehmen. Vor fünf Jahren noch glaubte man, Linux Paroli bieten zu können. Davon redet jetzt niemand mehr.

*** Fehlt noch was? Ach ja: Natürlich der Microsoft-Prozess. Irgendwie komisch; aber jetzt hat der Richter wirklich ein strenges Urteil gefällt – will den Software-Riesen gar zweiteilen lassen – und trotzdem ändert sich gar nichts. Stürzte der Microft-Kurs nach den ersten Teilurteilen noch jeweils heftig ab, taten die Wallstreet-Zocker jetzt so, als wäre der Microsoft-Hangday ein ganz normaler Arbeitstag. Am Anfang wars ja noch ganz amüsant: Wie Gates mit dem Staatsanwalt über die Definition von Software gestritten hat, oder wie die Microsoft-Anwälte zu Linux-Enthusiasten wurden, um die Gefahr durch den neuen Konkurrenten zu beweisen, das hatte schon was Unterhaltsames. Aber jetzt? Jetzt haben sicherlich schon viele die Augen verdreht, als ich das Thema hier überhaupt angeschnitten habe.

*** Trotz aller Augenverdreherei: Einen kurzen Moment will ich noch bei Microsoft verweilen. Will mir doch einfach nicht in den Kopf, wie die Firma sich so dämlich anstellen kann. Aber was rede ich: Wieso die Firma? Wohl eher die Oberen des Softwarekonzerns. Bill Gates stellt sich immer noch an wie ein Kleinkind, dem man sein Lieblingsspielzeug wegnehmen will; Steve Ballmer trötet rum wie ein abgehalfterter Gebrauchtwagenverkäufer, der wegen Tricksereien seine Lizenz verliert. "Jetzt reicht's – wir machen das jetzt einfach" – das wäre vielleicht die intelligentere Reaktion. Zwei Monopole sind doch besser als gar nichts, oder? Mit der weinerlichen Reaktion auf das Urteil von Richter Thomas Penfield Jackson fügen sich die Mannen aus Redmond mehr Schaden zu, als die Aufteilung je bewirken könnte. Man stelle sich nur den Jubel der Open-Source-Scene vor, wenn die Anwendungs-Baby-Bill "Microsoft Office for Linux" präsentiert: Wir haben gewonnen! Welch ein Image-Gewinn ... Oder die Windows-Baby-Bill: Wir lassen keine Eingriffe von Mailprogrammen in das Betriebssystem mehr zu. Von Sicherheitsexperten bis zu Politikern, nur Lob für das verantwortungsvolle Vorgehen der Company. Derweil kann jede der beiden Firmen in aller Stille weiter am Ausbau der eigenen Marktposition arbeiten. Und wenn's Probleme gibt, treffen sich die CEOs der Baby Bills zum Kaffeeklatsch in Redmond (oder vielleicht in Vancouver): Windows-Chef Gates und Office-Chef Ballmer werden sich schon verstehen. Wie meinte doch Richter Jackson: Eigentlich habe er eine Dreiteilung präferiert; jetzt habe Microsoft immerhin Gelegenheit, die Details der Aufteilung selbst festzulegen. Na, dann macht euch mal ans Werk...

*** Werfen wir aber, bevor ein Blick in die Zukunft zur Erleuchtung all unserer Wege beiträgt, einen Blick auf einen meiner Lieblings-Bobos. Die Leute von E-Circle – also die Bobos, die trotzt Usenet immer noch behaupten, die größte Diskussionsplattform im Internet zu sein – haben auch eine Mailing-Liste. Eine nette Einrichtung ist so eine Mailingliste normalerweise, weil der Nutzer stante pede von Neuigkeiten und Diskussionsbeiträgen informiert wird, die den entsprechenden Dienst betreffen und den Surfer interessieren könnten. Nun aber ist E-Circle nicht viel schneller als die oft gescholtene Gelbe Post – Nachrichten der Mailing-Liste erreichen den Abonnenten 23 Stunden, nachdem sie gepostet wurden. Die schöne neue Welt der Bobos glänzt manchmal halt doch durch die Entdeckung der Langsamkeit. Ob das schon Anlass genug ist, nicht alle Hoffnung fahren zu lassen, wage ich allerdings zu bezweifeln.

Was wird.

Am Montag, da fallen die Hüllen. Mit großem PR-Aufwand karren United und Delta Airlines Journalisten über den großen Teich nach Washington. Dort wird der offizielle Name der Airline-Website bekannt gegeben, über die sieben große Carrier den direkten Verkauf von Tickets über das Internet organisieren wollen. Bisheriger Code-Name ist T2. Über den Teich für eine Internet-URL, das hat was. Etwas höher, in New York, startet am Montag der Tech-Truck von UnderGroundOnline zu einer "Road Rave Tour". Dabei handelt es sich um das erste direkt an das Internet angeschlossene Auto, das gesegnet wurde. Kein Rabbi, kein Priester, sondern Sifu Shi Yan-Ming, ein Shaolin-Mönch in der 34ten Generation, sprach zu Pfingsten den Segen aus. Er wird es in einer der 50 Sprachen getan haben, die zu Pentekoste unter den Aposteln schwirrten. Ich bin auf jeden Fall gespannt, ob beim ICANN-Treffen in Yokohama in den nächsten Tagen das Durcheinander und die Verwirrung nicht ganz so groß sind wie unter den Aposteln. Immerhin geht es um neue Top Level Domains und die weitere Ausgestaltung der ICANN-Wahl. Lasset uns die Teilnehmer schon im Voraus segnen, auf dass sie nicht nur Bahnhof, oder Japanisch, oder Internet-Chinesisch verstehen. Vor allem letzteres könnte wohl, zieht man die Verhaftung von Huang Qi wegen der Veröffentlichung von Berichten zum 11. Jahrestag des Tiananmen-Massakers im Internet in Betracht, zu größeren Demokratie-Defiziten bei der neuen Internet-Verwaltung führen. (Hal Faber) (jk)