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Was war. Was wird.

Die Wochenschau von Hal Faber hat ein Herz fürs Feuilleton. Aber auch für revolutionäre Musiker und musische Revolutionäre, Wohngemeinschaften, Nervensägen und Sägenhersteller - und natürlich für Bobos.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es gibt wwww-Leser, die diese sonntäglichen Betrachtungen vielleicht nicht ganz zu Unrecht als Feuilleton lesen. So nennt man auf jeden Fall althergebracht die unterhaltende Beilage einer Zeitung, die Feuillage produziert, geschnitzte oder gemalte Füllungen von Bildern. Aber nein, die Wochenschau schnitzt nicht, sie betrachtet lieber die Späne, die durch den Raum fliegen. Dass sie mitunter feuilletonistisch wird, ist purer Zufall. Oder so. Oder doch nicht? An der Börse ging es den Microsoft-Aktien jedenfalls in der letzten Woche gar nicht gut. Anlass war ein kritischer Bericht des Wall Street Journal. Die Financial Times Deutschland kommentierte den Börsentrend von Microsoft: "Das Moussieren ist der Jugend sußes Leben. In dieser Nähe zog ihn die Inse Welt." Nanu, Jean Paul in einer deutschen Wirtschaftszeitung? Ist das die finale Attacke des deutschen Feuilletons? Nicht doch, Microsoft moussiert nicht. Ein harmloser, wenngleich hoch literarischer Blindtext wurde da vor der Produktion vergessen. Die Panne hatte schwere Konsequenzen: Auf der Stelle entließ man bei der Financial Times den Blindtext, der so versagt hatte. Er wurde durch einen neuen ersetzt.

*** Im deutschen Feuilleton wird häufig über das Internet geschrieben, weil das Netz der Kultur so angenehm gruselig an die Inse geht. In der Süddeutschen Zeitung wurde dieser Woche wieder einmal die schwere Schädigung der hungernden Rockband Metallica durch Napster beklagt und die Sache mit der 0 und der 1 klar gestellt: "Es geht letztlich um binäre Codes – da gibt es keine Zwischentöne. Der Zweideutigkeit der Blue Notes im Jazz, dem Sog einer Erzählung, der Intensität einer brilliant gespielten Szene steht die schlichte Meldung des Computers gegenüber: Command executed." Lektion 2: Computer kriegen (meistens) keinen Blues und Microsoft moussiert noch immer nicht.

*** Früher kümmerte sich das Feuilleton aber noch um ernsthafte Dinge: Musikalisch ging es da eher um Victor Jara, Ernst Busch und Luigi Nono. Revolutionär waren Studenten, die in Berlin über die Straßen hopsten und "Ho Ho Ho Chi Minh" brüllten, oder ein Rudi Dutschke, der reklamierte: "Der Kampf geht weiter!" Heute sitzen die Revolutionäre wo anders: Zwar sollen es angeblich auch Studenten sein, allerdings heißen sie Fanning, können mehrere Millionen US-Dollar Wagnis-Kapital einheimsen, verkaufen einzelne Firmen an Microsoft und lehren dabei der Musikindustrie Mores. Die Börse liebt solche Youngster – anscheinend wartet sie auf den nächsten Bill Gates, der einst IBM das Fürchten beibrachte. Dass Fannings Napster sich zum heiligen Revolutions-Gral der Internet-Musik stilisiert, ist recht geschicktes Marketing. Brothers in Arms – die Dire Straits geben das Stichwort für das zukünftige Verhältnis zwischen Plattenlabels und Napster; so geht Napster den Weg alles Irdischen und folgt dabei MP3.com. Schließlich wollte auch Dutschke irgendwann den Marsch durch die Institutionen antreten.

*** Eines ist dem Feuilleton bislang aber trotzdem entgangen: Das Internet ist der Schlüssel zur Behebung aller noch anstehenden kulturellen Missstände. Denn wo zeigt sich der hässliche Deutsche in seiner Reinform? Richtig, wenn ihm jemand den Parkplatz vor der Nase wegschnappt. Das Auto ist des deutschen Mannes liebstes Kind – so bedauert er auch jedes Mal, wenn er diesen Hort der Sicherheit und des Selbstvertrauens verlassen muss. Aber dann soll der Schatz wenigstens einen angemessenen Standort bekommen. Keine Angst, Bobos wissen eine E-Lösung: Parkplätze gibts jetzt im Internet. Seltsam nur, dass ich einen Parkplatz immer dann nicht kriege, wenn ich gar nicht wusste, dass ich einen brauche – ob die Innenstädte sich per Internet mit Parkplätzen bestücken lassen? Aber egal, der Börsengang der E-Parkplatzfirma dürfte schon in Planung sein. Da kriegen sogar mein Computer und mein Fahrrad den Blues.

*** Blues hin, Blues her, Bob Geldorf ist ein Musiker, der als Frontman der Boomtown Rats und durch seine AID-Konzerte bekannt wurde. Als guter Geschäftsmann ist Geldorf heute natürlich ein Internet-Entrepreneur, ein Halb-Bobo (zur Erinnerung: Wer nicht mehr weiß, was ein Bobo ist, möge sich die Wochenschau vom 28. Mai zu Gemüte führen). Geldorf jedenfalls wird ein Liedchen zugeschrieben, das die Internet-Dröhnungen der Startups veralbert:

You e-mail me, I e-mail you
We're one big viral marketing stew
With a zero ad budget
And a distribution boo
Won't you e-mail a
Viral app too.

Leider fehlt zu diesem Text der Sound: Vorbild ist ein Blues mit vielen schrägen Noten, die bekanntlich nicht in den Computer passen.

*** Wenn schon Bob Geldorf angesichts all der Internet-Startups Humor entwickelt, wie sollte das Presseagenturen und Voll-Bobos anders gehen. Oder ist die erste Startup-Wohngemeinschaft Deutschlands wirklich ernst gemeint? Jedenfalls wollen die Jung-Bobos ab Ende Juli live Bilder aus der WG-Küche ins Internet geben. Wenn ich all die Berichte über das Leben der Startup-Mitarbeiter richtig verstehe, kann das ganz schön langweilig werden – denn zu Hause sind sie doch nie, da sie sich bei ihrem Internet-Startup so wohl fühlen. Aber: "Praktikantenplätze sind bei der heutigen Arbeitssituation heiß begehrt. Beim Live-Chat können vor allem Schulabgänger in lockerer, angenehmer Atmosphäre Fragen stellen und so Einblicke ins Berufsleben aus erster Hand bekommen", heißt es in der großen Ankündigung der Presseagentur, die das Projekt publizistisch betreut. Immerhin sind nur Angestellte der "First-Mover in der boomenden Multimedia Branche, die nach wie vor einen großen Bedarf an Nachwuchskräften hat", beteiligt. Mein Computer ist inzwischen schon lange über den Blues hinaus und kreischt irgendwas von Smells Like Teen Spirit.

*** Wie viel fröhlicher stimmt uns da Pocahontas in Wonderland, Untertitel Shakespeare on Tour von Klaus Theweleit. Gleich im Vorwort dieses ersten Pocahontas-Bands berichtet der gern vom deutschen Feuilleton geschmähte Freiburger Soziologe, Kultur- und Gesellschaftswissenschaftler von der Computerzeitschrift c't, die sein Buch der Könige erwähnte. Der Rezensent bemerke wohl, bemerkte Theweleit, wie sehr das Spiel Die Siedler ihn beim Schreiben des Buches beschäftigt habe. Da von Pocahontas bislang nur zwei (Band 2 und 4) der vier Bände erschienen sind und Harry Potters neue Abenteuer nach einer Paket-Lieferung am Montag um 6:30 (!) auch enträtselt sind, empfehlen wir Klaus Theweleit eine Radikalkur: Ausreichenden Abstand von der Marke Siedler halten, nur den Heise-Newsticker lesen, ab und an eine Mousse au Paul löffeln und längere Dateinamen als 8.3 verwenden.

*** Mein Computer ist inzwischen bei Jockey Full of Bourbon von Tom Waits angelangt. Das erinnert mich natürlich gleich an Down by Law von Jim Jarmusch – ganz abgesehen davon, dass Roberto Benigni da schon brillierte, fast wie in Jarmuschs Night on Earth und erst recht in seinem eigenen Streifen Vita è bella, lassen Tom Waits und John Lurie (kennt noch jemand die Lounge Lizards?) die Justiz in Jarmuschs Film in einem düsteren Licht erscheinen. Das hätte uns darauf vorbereiten sollen, dass die Rechtssprechung nicht nur in den USA seltsame Wege geht. So gibt es Programme, die aus dem Leben eines Computernutzers nicht mehr wegzudenken sind – eine Firma, die so ein Programm entwickelt hat, dürfte ausgesorgt haben, denn sie kann richtig Lizenzgebühren einstreichen. Allein für den Namen. Nun haben Computer eine seltsame Angewohnheit: Mit Namen können sie sich immer noch nicht so recht anfreunden, erst recht, wenn sie gerade den Blues haben. So passiert es, dass auf CDs Programme auftauchen, die einen Markennamen tragen, der gar nicht mehr erkennbar ist – sagt zumindest das Recht, wenn mein kleiner Verstand das richtig begriffen hat. Denn "explorfs.zip", wie es auf CDs eigentlich heißen muss, da nur nach dem 8.3-Schema wirklich allzeitige Lesbarkeit gewährleistet ist, unterscheidet sich angeblich genügend von einem gewissen Markennamen, der in letzter Zeit einige Berühmtheit erlangt hat. Was nun? Alles im Griff, oder? Mein Computer schert sich nicht darum und erzählt mit John Coltrane von My Favourite Things.

*** Es gibt aber nicht nur Nervensägen, sondern auch richtige reelle Sägen. Etliche davon werden von der Wikus Sägenfabrik Wilhelm H. Kullmann in Spangenberg gefertigt. Der nordhessische Sägenhersteller ging letzte Woche ins Internet und setzt dabei voll auf den Movex Web Explorer. Dieser Web-Explorer wurde zunächst von Wikus Saw in Chicago eingesetzt und bildet jetzt so etwas wie den System-Leitstand der Wikus-Zentrale in Deutschland. Der Web Explorer kommt dabei von der Firma Intentia, die in der Meldung zum Webauftritt von Wikus die Hoffnung zum Ausdruck bringt, dass "weitere Unternehmen in Deutschland unseren Web Explorer einsetzen werden." Es kommt der Tag, da will die Säge sägen, hieß es einmal in einem deutschen Film, der nicht von Jim Jarmusch stammt.

Was wird.

Wenn es stimmt, was die Firma Kanakaris in ihrer Pressemeldung behauptet, dann werden in der nächsten Woche Schweden, die Schweiz, Deutschland und Luxemburg eine neue Gesellschaftsordnung bekommen. Jedenfalls kündigt sie an, dass diese Länder in das Stadium der WEAR Society eintreten. WEAR ist natürlich eine geschützte Marke und steht für Wireless Entertainment Asynchronous Remotely, oder eben den "Pulsschlag der Zeit mit der Technologie des Dritten Milleniums". In Schweden und den Ländereien rund um Luxemburg will Kanakaris alle Besitzer von Pocket-PC- und Palm-PDAs zu Mitgliedern einer "lebendigen modernen Gesellschaft" machen. Bis die alte, synchrone Gesellschaft zerfällt, eröffnet Kanakaris am Dienstag in Europa einige Geschäftsstellen mit strategischen Bobo-Partnerschaften. (Hal Faber) / (jk)