ARD & ZDF vs. Netflix & Co.: "Wir sind nicht in Schockstarre"

Mit individueller Ansprache und der digitalen Pflege von Marken wie den "Tatort" rüsten sich die Öffentlich-Rechtlichen für die non-lineare Welt.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 861 Kommentare lesen
Mediatheken ZDF, Mainzelmännchen

Die Mainzelmännchen des ZDF bringen Cookies mit

(Bild: dpa, Rolf Vennenbernd)

Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Streaming-Anbieter wie Netflix, Amazon Prime Video & Co. setzen aktuell die Trends im audiovisuellen Unterhaltungs- und Dokumentationsbereich. Und sie lassen trotz erster Sättigungserscheinungen weiter produzieren.

"Es ist eine riesige Schwemme, die auf uns zukommt", weiß Markus Vogelbacher, Mitgründer des Beratungshauses International Film Partners. Schon jetzt hätten sich die Streaming-Inhalte binnen weniger Jahre "vervierfacht und versechsfacht". Die öffentlich-rechtlichen Sender versuchen dem Sturm Paroli zu bieten. "Wir sind nicht in Schockstarre", betonte Frank Tönsmann, Redakteur Film und Serie beim WDR, am Donnerstag auf dem virtuellen Berlinale-Talk des Vereins Top:Talente. In der non-linearen Fernsehwelt erwarteten die User eine "sehr viel individuellere Ansprache". Die ARD bemühe sich daher, "weniger ein Programm für ganz viele" als vielmehr "stärker zugeschnittene" Inhalte zu bieten und auf einzelne Bedürfnisse einzugehen.

"Es gibt das Grundrauschen nicht mehr", in dem früher viele Zuschauer beim Zappen mit der Fernbedienung gerade zur abendlichen Primetime auf der 1 oder 2 hängengeblieben seien, weiß Tönsmann. Die Sender konkurrierten letztlich um die Freizeit der Nutzer, also auch mit Spielen und "allen möglichen anderen Dingen im Netz". Ein gutes Programm allein reiche nicht mehr aus, die Anbieter müssten auch verstärkt etwa über Hinweise in sozialen Netzwerken darauf aufmerksam machen.

Als "wahnsinnig wichtig" erachtet es der Betreuer der Mediatheksprogramme des WDR, bestehende Marken der Öffentlich-Rechtlichen wie die "Maus" und den "Tatort" in der digitalen Welt zu pflegen und deren Kern zu erhalten: "Wir überlegen uns genau, wo wir damit hingehen."

Den "Tatort" bezeichnete Tönsmann als "eines der letzten Lagerfeuer der Nation". Sendungen aus der Krimi-Reihe gebe es daher nicht "online first" zu sehen, sondern auch in der Mediathek erst am Sonntagabend. Trotzdem gelte es, die Marke in die nicht-lineare Welt zu transportieren. Man habe daher etwa einen interaktiven Radio-"Tatort" mit anderen Erzählstrukturen sowie Podcasts gemacht.

Vogelbacher warf ARD und ZDF vor, aus ihrer "extrem guten Markenbibliothek" etwa mit der "Lindenstraße" und dem "Bergdoktor" noch zu wenig zu machen. Solche Serien seien "perfekt geeignet, um Spin-offs zu schaffen im digitalen Raum". Denkbar sei etwa eine Koch-Sendung mit "Mutter Beimer". Die Öffentlich-Rechtlichen hätten hier "noch zu sehr die lineare Brille" auf, fast alles "muss in 90 Minuten passen". Netflix habe derweil angefangen, "eigentlich Arthouse-Programme in verrückten Längen für viel Geld zu produzieren" und mache so auch dem Kino und dem Spätabendprogramm von ARD und ZDF Konkurrenz.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Umfrage (Opinary GmbH) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Opinary GmbH) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Neben qualitativ hochwertigem Content gebe es aber auch im Streaming-Sektor "richtiges Trash-Fernsehen", erklärte der Kenner des US-Markts. Amazon Prime etwa lasse das Genre der Telenovela mit der "Soap 2.0" wiederauferstehen und setze subtil auf Verkaufsförderung. Auch die Privatsender gerieten so unter Druck, zumal sie die von Werbetreibenden gewünschten Quoten mit Blockbustern kaum mehr liefern könnten, wenn diese bereits auf Netflix & Co. verfügbar seien.