Gesundheitswesen: TI-Pauschale zur Finanzierung der Praxis-IT "realitätsfern"

Unter Ärzten wächst die Unzufriedenheit aufgrund der kürzlich festgelegten Pauschalen für die IT in Arztpraxen. Diese hätten einen strafenden Charakter.

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Arzt vor dem Laptop guckt nachdenklich in die Ferne. Um seinen Hals hat er ein Stethoskop.

(Bild: Krakenimages.com/Shutterstock.com)

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Nachdem die Kassenärztliche Bundesvereinigung bereits klare Worte für die Kostenerstattung für die festgelegte TI-Pauschale zur digitalen Vernetzung von Arztpraxen mit der Telematikinfrastruktur (TI) gefunden hat, ziehen kassenärztliche Vereinigungen nach. Kritisiert wird die Pauschale nicht per se, sondern unter anderem, dass diese vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) auf den letzten Drücker festgesetzt wurde. Zudem sei die Pauschale für technische Leasingmodelle sicherlich sinnvoll, jedoch würden diese bis dato die Ausnahme bilden. Die Kassenzahnärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVZWL) sieht das ähnlich und hält die aktuelle Festsetzung der TI-Pauschale ebenfalls für inakzeptabel.

Mangels Vorlaufzeit oder Übergangsregelung führe die stichtagsbezogene Umsetzung zudem zu technisch-organisatorischen Problemen. Unter anderem müssen TI-Komponenten von bestimmten IT-Dienstleistern ausgetauscht werden und diese können nicht alle Praxen gleichzeitig bedienen. Durch die Regelung für die TI-Pauschale steigert sich der Frust bei Praxen zunehmend, "weil zum einen eine Vorfinanzierung für TI-Anwendungen ohne erkennbaren sinnstiftenden Anwendungszweck in der Versorgung erfolgt und zum anderen bereits eine Unterfinanzierung der Kosten bei den TI‑Anwendungen [...] bestand", teilte Michael Evelt, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KZVWL, heise online mit. Seiner Ansicht nach verlagere sich der Kostendruck zunehmend auf die Zahn- und Arztpraxen.

Dabei hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach erst kürzlich an die Ärzteschaft appelliert, mit ihm die Digitalisierung voranzubringen. "Jetzt überzieht er unsere Praxen ohne Not mit Bestimmungen und Sanktionen, die ihnen nur Nachteile bringen und teilweise abwegig erscheinen. So verspielt er sich jeden Rückhalt in der Ärzteschaft", sagt Nicole Löhr, die Vorständin der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN). "Mit einer technischen Umsetzungsfrist von drei Tagen und ihrem strafenden Charakter wirken die Regelungen des Bundesgesundheitsministeriums realitätsfern und unprofessionell".

Die kurzfristige Regelung zeige, dass das Bundesgesundheitsministerium "sich weder für reale Umsetzbarkeit noch für konstruktive Zusammenarbeit interessiert", heißt es in der Stellungnahme der KVN weiter. Demnach gebe es für die Arztpraxen "keine realistische Möglichkeit", die Bestimmungen umzusetzen. Das Verhalten des BMG bezeichnet die KVN als nicht konstruktiv. "Eine Berechnung und Auszahlung nach neuen Parametern für mehrere tausend Praxen" müsse zudem auch technisch umgesetzt werden – dazu bräuchte es zumindest Übergangsfristen. Sofern auch nur eine der geforderten Anwendungen fehlt, werde die Pauschale direkt um die Hälfte gekürzt. Die Praxen haben darauf aber keinen Einfluss. Das sei unverhältnismäßig und "wenig akzeptanzfördernd", kritisiert Evelt.

"Teilweise werden die Anwendungen durch die Industrie nicht fristgerecht geliefert. Aber die Softwarehersteller belegt unser Gesundheitsminister nicht mit Sanktionen", moniert Löhr. "Die Praxen sollen es allein ausbaden. So werden nicht Marktmechanismen gestärkt, sondern nur die Kassenfinanzen stabilisiert. Manche Anwendungen sind nicht verpflichtend, haben kaum Anteil an den Gesamtleistungen der Praxis–IT oder sind für manche Berufsgruppen nicht relevant – wie etwa das E-Rezept für Psychotherapeuten. Eine Kürzung der Erstattung um 50 Prozent bei Fehlen einer Anwendung ist da völlig unverhältnismäßig."

Die KZVWL äußerte ebenfalls Zweifel daran, "ob mit der TI-Pauschalenregelung die Verwerfungen der Marktgegebenheiten reguliert werden". Die aufgerufenen Kosten der Hersteller beziehungsweise der Anbieter würden sich nach wie vor an den vereinbarten Erstattungssätzen orientieren. "Warum sollten Sie es auch nicht tun, um ihre eigenen Margen zu erhöhen", sagte Evelt. Das widersprech allerdings "den Gepflogenheiten eines sich bildenden Marktes, indem Angebote sich am Nachfrageverhalten orientieren sollten". Auch mit dieser Neuregelung sei die Nachfrage nach TI-Komponenten gesetzlich verpflichtend erzwungen, die Angebote würden am optimalen Ausschöpfungsgrad der Erstattungsregelungen orientieren.

Die KZBV hatte bereits gefordert, dass Kassenzahnärztliche Vereinigung für einen geringeren Verwaltungsaufwand auf bestehende Daten im Zuge des Beantragungsprozesses zurückgreifen können. Dies wurde nach Angaben von Evelt allerdings ignoriert. Er bedauere zudem, dass ein zuvor vereinbartes Budget für den Ausgleich von defekten Komponenten wieder einkassiert wurde. Demnach müssten Störungen der Hardware von Praxen selbst finanziert werden.

Die Zahnärzteschaft sei nicht gegen die Digitalisierung, allerdings würde Akzeptanz und Vertrauen nur mit sinnvollen Anwendungen geschaffen. Lauterbach solle "mal an der Usability arbeiten, statt die Ärzteschaft mit Begrenzung von Erstattungen für kostenintensive TI Hard,- und Software und Ankündigung von Sanktionen mit Honorarkürzung [...] ständig zu drangsalieren", sagt Evelt. Ein derartiger "Regelungswahnsinn wäre völlig unnötig, wenn die Politik einfach ihre Hausarbeiten machen würde und bedarfsorientiert im Sinne einer zu verbessernden Patientenversorgung handeln und steuern würde". Weiter bietet die zahnärztliche Selbstverwaltung an, beratend zur Verfügung zu stehen.

(mack)