Open-Source-Adventskalender: Die Wiki-Software MediaWiki

Von 1. bis zum 24. Dezember 2021 hat heise online jeweils ein "Kalendertürchen" mit dem Porträt eines Open-Source-Projekts geöffnet.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 10 Kommentare lesen

(Bild: Semisatch/KOALA STOCK/Shutterstock.com/heise online)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Stefan Mey
Inhaltsverzeichnis

MediaWiki ist eine Open-Source-Software zum Betreiben eines Wikis. Die Software steht unter einer GNU GPL v2-Lizenz. Sie existiert in drei Aggregatzuständen: als Basis des großen Inhalteprojekts Wikipedia, als Fundament des Open-Source-Geschäftsmodells des Wikipedia-Gründers Jimmy Wales und als nutzerfreundliche Wiki-Software für alle möglichen Zwecke.

Der Open-Source-Adventskalender

Auf der Contributor-Liste von Mediawiki finden sich etwa 800 Namen. Die Code-Arbeit wird vor allem von Angehörigen der globalen Mutterorganisation Wikimedia Foundation geleistet. Insgesamt 550 Angestellte und Vertragskräfte listet die Stiftung auf ihrer Webseite auf, darunter 140 in der Abteilung "Technology". Für MediaWiki gibt es allerdings keine eigene Abteilung.

Angestellte und das aufgewendete Budget würden nicht danach eingeteilt, ob sie an MediaWiki oder an einem technischen Projekt arbeiten, erklärt die Stiftung. Es gebe in verschiedenen Abteilungen Teams, die an MediaWiki arbeiten. Beiträge kämen außerdem auch von der ehrenamtlichen Community und von externen Stakeholdern. Ein Teil der Arbeit leisteten zudem Ländervereine wie Wikimedia Deutschland.

MediaWiki ist vor allem die Basis der großen Online-Enzyklopädie Wikipedia und ihrer kleineren Schwesterprojekte wie Wikivoyage, Wikinews oder Wikibooks. Die Wikimedia Foundation koordiniert die Softwareentwicklung, betreibt die Webseiten der Projekte, entwickelt Apps und betreut die globale Community. Die Stiftung finanziert sich fast ausschließlich über Spenden, und das gelingt ihr im großen Stil. Im Zeitraum des letzten Jahresberichts von Juli 2019 bis Juni 2020 hat die Stiftung etwa 124 Millionen US-Dollar eingenommen.

Das formal höchste Gremium ist der neunköpfige Vorstand, dem die ukrainische Politik-Aktivistin Nataliia Tymkiv vorsteht. Als eine Art Ehrenmitglied sitzt traditionell auch Wikipedia-Gründer Jimmy Wales mit im Vorstand. Neben der Wikimedia Foundation gibt es 38 unabhängige lokale Chapter, die über vertragliche Beziehungen mit der Stiftung verbunden sind.

Der deutsche Wikimedia-Verein ist das wohlhabendste Chapter. Der Verein sammelt über eine Vereinstochter, die Wikimedia Fördergesellschaft, selbstständig Spenden und teilt sie in einer Art Finanzausgleich mit dem globalen Wikimedia-Kosmos. 2020 hat die Spendentochter laut Jahresbericht des Vereins zwölf Millionen Euro eingenommen. Davon hat sie 8,7 Millionen Euro an die Wikimedia Foundation gegeben und 1,9 Millionen Euro an den Wikimedia-Verein. Der Verein wiederum hat von der Foundation als eine Art Rücküberweisung 2,2 Millionen Euro bekommen.

Aktuell hat der Verein laut Webseite rund 160 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie etwa 90.000 Mitglieder. In der Abteilung Software-Entwicklung arbeiten laut einer Sprecherin derzeit 55 Leute. Ein großes Projekt sei Wikidata, eine vom Verein koordinierte Faktendatenbank, die Informationen strukturiert verfügbar macht. Die Sprecherin verweist auf die Technische Wünsche-Plattform. Auf der schlägt die Community Software-Features vor, über die dann abgestimmt wird.

Oberstes Gremium des deutschen Vereins ist das siebenköpfige Präsidium, Vorsitzender ist der Jurist und langjährige Wikipedia-Autor Lukas Mezger. Geschäftsführer ist seit Mitte 2021 der Verwaltungswissenschaftler Christian Humborg, der zuvor unter anderem Geschäftsführer von Transparency International Deutschland war.

Der gut ausgebauten hauptamtlichen Organisationssäule der Wikimedia-Welt steht eine riesige ehrenamtliche Community gegenüber. In ihrem Jahresbericht schätzt die Foundation deren Größe auf knapp 300.000 Menschen. Die Community ist vor allem damit beschäftigt, Wikipedia-Einträge zu schreiben und zu bearbeiten. Sie ist in einer komplexen, auf Mitarbeit und Wahlen basierenden Hierarchie mit verschiedene Rollen organisiert. Dazu gehört, wer neue Artikel und Änderungen auf Wikipedia freischalten oder rückgängig machen, Wikipedia-Rollen vergeben und entziehen und bei Streit innerhalb der Community entscheiden darf.

MediaWiki ist außerdem das Fundament von Jimmy Wales' Geschäftsmodell. Der Wikipedia-Gründer hatte sich erst an einer kommerziellen Online-Enzyklopädie namens Nupedia versucht und war damit wirtschaftlich gescheitert. Erst als er auf Crowdsourcing umgeschaltet hatte, wurde daraus ein Riesenerfolg.

Zusammen mit Larry Sanger, dem ehemaligen Nupedia-Chefredakteur, gründete er Wikipedia. Am 15. Januar 2001 ging die englischsprachige Wikipedia online, nur zwei Monate später folgte die deutschsprachige Version. 2003 gründete sich die Wikimedia Foundation, 2004 der deutsche Wikimedia-Verein und der Rest ist Geschichte.

Dank MediaWiki ging die Geschichte auch für Jimmy Wales privat sehr gut aus. Die Software hat ihn am Ende dann doch reich gemacht. Wales gründete 2004 eine Wiki-Plattform, auf der man kostenlos mit wenigen Klicks ein eigenes Wiki erstellen kann. Das Projekt hieß erst Wikicities, dann Wikia und seit 2016 Fandom.com und enthält heute nach eigenen Angaben 250.000 Wikis. Die Firma wurde 2018 von einem US-Beteiligungsunternehmen übernommen – laut Insidern solle die Plattform damals 200 Millionen US-Dollar wert gewesen sein.

Schließlich gibt es MediaWiki noch in einem dritten Aggregatzustand: als kostenlose Software, die es leicht macht, ein eigenes Wiki zu allem Möglichen zu betreiben. MediaWiki schreibt auf ihrer Webseite, die Software werde von Zehntausenden Webseiten und Tausenden Organisationen eingesetzt. Eine verlinkte Überblicksliste zu deutschsprachigen Wikis enthält etwa 180 Einträge. Darunter ist beispielsweise ein Wiki über Ameisen, eine Tolkien-Enzyklopädie namens Ardapedia und ein Fan-Wiki zur Comic-Reihe Mosaik.

Die frühe Geschichte von Wikimedia/Wikipedia/MediaWiki begann in den USA. Für Nupedia und anfangs auch für Wikipedia verwendete der Gründer Jimmy Wales eine Software namens UseModWiki.

Was heute die Code-Basis für das große Menschheitsprojekt Wikipedia ist, geht allerdings auf einen Biochemie-Studenten aus Köln zurück, Magnus Manske. Der war mit der Software nicht zufrieden und wollte sie besser machen. Im Gespräch mit heise online erinnert er sich: "Nachdem ich Anfang 2000 durch einen c't-Artikel auf Nupedia aufmerksam wurde, wechselte ich 2001 von dort zu Wikipedia. Wikipedia verwendete zunächst das 'originale' UseModWiki-Perl-Script (ja, ein .pl-File!), das die gesamte Wikipedia im Dateisystem ablegte. Das skalierte sehr schlecht (Artikel abspeichern, Kaffee holen, dann ist es vielleicht fertig...), und ließ auch viele Verbesserungswünsche offen."

In seinen Semesterferien im Sommer 2001 legte er los, in PHP, er wollte die Programmiersprache eh einmal ausprobieren. Gedacht, getan: "Eine neue Wikipedia-Software zu schreiben, schien das perfekte Projekt dafür zu sein. Eine erste (Roh-)Version schrieb ich innerhalb von circa zwei Wochen." Den Erfolg verkündete er am 24. August 2001 auf einer Wikipedia-Mailingliste. Die Software wurde auf die Plattform SourceForge hochgeladen und mithilfe der Community fertiggestellt. Einen Tag später verkündete Jimmy Wales, dass Wikipedia auf die Software umgestellt wird, die damals noch "phase 2" hieß.

Aus Dankbarkeit für den Kölner Studenten rief Wales in salbungsvollen Worten gleich noch den Magnus-Manske-Gedenktag aus: "Hiermit erkläre ich in meiner gewohnt autoritären und rechthaberischen Art, dass der heutige Tag für immer als Magnus-Manske-Tag bekannt sein wird. Wikipedianer der fernen Zukunft werden über den Tag staunen, an dem die neue Software-Ära über uns hereinbrach."

Siehe auch:

  • MediaWiki: Download schnell und sicher von heise.de

Die Arbeit an der Artikelreihe basiert in Teilen auf einem "Neustart Kultur"-Stipendium der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, vergeben durch die VG Wort.

[Update 18.12.2021 11:26 Uhr:] In Absatz fünf korrigiert: "Angestellte und das aufgewendete Budget würden nicht danach eingeteilt, ..."

(vbr)