Test Alfa Romeo Stelvio Sprint 2.0 Turbo 16V: Hoher Einstieg

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Die Eingabe eines Navigationszieles offenbart einige Defizite im Infotainment. Der Touchscreen reagiert zum Teil nur sehr widerstrebend auf die Berührung, der er seinen Namen verdankt. Die Tom-Tom-Navigation präsentiert die gleichen Grafiken wie die Smartphone-App aus dem gleichen Hause. Einen Sprachassistenten gibt es nicht. Wer auf die neueste Infotainmentgeneration Wert legt und das Autofahren als Störung beim SMS-Schreiben empfindet, der wird keinen Alfa wollen und hätte ihn auch nicht verdient.

Andere dagegen werden mit Freude zur Kenntnis nehmen, dass man intuitiv ohne hinzusehen, die Klimaanlage bedienen, die Radiolautstärke verstellen und natürlich Fahrfunktionen bedienen kann. Alles ist selbsterklärend, alles liegt gut zur Hand. Mit dem Stelvio fühlt man sich sofort verwachsen. Nur den Startknopf sucht man auch nach längerer Zeit immer wieder mal vergeblich auf der Mittelkonsole, bis man sich daran erinnert, dass er im Lenkrad integriert ist.

Auf dessen Druck folgt verunsicherte Ernüchterung. Das rauhe Scharren des Zweiliter-Einstiegsbenziners mit 200 PS erinnert an einen gut gedämmten Vierzylinder-Diesel und hat leider ganz und gar nichts mehr mit dem legendären Sound der Alfa-Doppelnocker aus den Fünfzigern, Sechzigern und Siebzigern zu tun.

Test Alfa Romeo Stelvio Cockpit (9 Bilder)

Das Cockpit des Stelvio gefällt durch Ergonomie, Fahrerorientiertheit und Intuitivität. Es ist zudem sehr gut verarbeitet. Wer das modernste Infotainmentniveau, Riesenbildschirme und Sprachassistenten sucht, sitzt hier aber komplett falsch.
(Bild: alle Christian Lorenz)

Zu den modernen Alfas diesseits der jenseitigen Quadrifoglio-Versionen mit 510 PS starken Ferrari-V6 passt in Leistungsentfaltung, Akustik und Verbrauch der 210-PS-Diesel sehr gut, wie der Giulia-Test zeigte. Er hat in seinem Dieselnageln einen leicht aggressiven Unterton. Außerdem hängt der Diesel mindestens ebenso gut am Gas wie dieser Turbobenziner in unserem Stelvio. Mein Kollege Martin ist sogar der Meinung, das Turboloch sei beim Benziner im Gegensatz zum Diesel noch deutlicher ausgeprägt. Ich habe an der Leistungsentfaltung weniger auszusetzen. Es ist zwar nicht so, dass der Stelvio vor lauter Leistung nicht mehr gehen könnte. Man könnte sich hin und wieder schon etwas mehr Leistung vorstellen.

Zumal der wohlstandsadipöse SUV ja im Vergleich zur Giulia gut 230 kg mehr Gewicht (leer mit Fahrer) zu tragen hat. Den Einstiegs-Stelvio aber als müde zu bezeichnen, spricht für eher krankhaften Anspruchswahn. Das zusätzliche Anfahrdrehmoment eines 48-Volt-Bordsystems wie serienmäßig im BMW X3 würde aber beim Stelvio jede Idee einer Anfahrschwäche hinweg zaubern. Der Riemenstartergenerator des Stelvio ist auch in Stopp-and-Go-Situationen deutlich unkomfortabler. Wenn man bis fast zum Stillstand an der Ampel bremst, die in diesem Moment von Rot auf Gelb springt, verschluckt sich der Stelvio unschön. Das ist zwar auch auf hohem Niveau gejammert, aber wenn man einmal erlebt hat, wie souverän und sanft das bei den anderen Mildhybriden funktioniert, will man das immer so haben.

Hinzu kommt, dass Alfa zumindest eine Spur Alternatives bei seinen Antrieben bitter nötig hätte. Denn unter 9 Liter auf 100 km mit dem Stelvio-Benziner zu verbrauchen, ist auch bei zurückhaltender Fahrweise kaum möglich. Im Testbetrieb mit nur wenig Stadtanteil wurde ein Durchschnittsverbrauch von 10,5 Litern auf 100 km erreicht. Das ist im schlechten Sinne unzeitgemäß. Geradezu ärgerlich erscheint, dass sämtliche Alfa-Romeo-Modelle (Preisliste Stand: Juli 2020) noch auf die Euronorm 6d-Temp homologiert sind. Bereits ab 1. Januar 2021 sind diese Fahrzeuge nicht mehr erstzulassungsfähig. Wir gehen davon aus, dass Alfa Romeo seine Modelle um den Erscheinungszeitpunkt dieses Fahrberichts herum endlich auf die aktuelle Abgasnorm Euro 6d-ISC-FCM umstellen wird.

Dass der Stelvio seinen Namen vom Stilfser Joch in Südtirol hat, hat sich bestimmt schon herumgesprochen. Das ist eine schöne Wahl, die Berglandschaft mit Allradbedarf einerseits und traumhaft-ambitionierte Kehrenhatz im Bergrennmodus in einem sinnlichen Begriff vereint. Beim Fahren kann der Stelvio seinen Anspruch als Dynamik-SUV auch einlösen. Mehrgewicht und höherer Schwerpunkt im Vergleich zur Giulia sind aber stets spürbar. Wo die Giulia, “Schneller!”, ruft, schreit der Stelvio: “Langsam werde ich seekrank”.

Das sind dann die Momente, wo man der Giulia auf hohem Niveau nachtrauert. Auch wenn der schnelle Tanz um Serpentinen im Dynamik-Modus mit dem Stelvio großen Spaß macht. Die aus den BMW-Modellen sattsam bekannte Achtgang-Wandlerautomatik von ZF und der heckbetonte Allradantrieb arbeiten begeisternd zusammen. Das Ergebnis ist immer genau die Leistung die man haben will und die richtige Traktion, damit sie auf die Straße kommt. Die großen, ergonomisch weit herumgezogenen Schaltpaddles bräuchte man gar nicht zu bemühen. Man macht es höchstens aus Spaß.

Test Alfa Romeo Stelvio Sitze und Kofferraum (7 Bilder)

Die serienmäßigen Ledersitze im Stelvio Sprint lassen bei der Kurvenfahrt am Stilfser Joch Seitenhalt vermissen. Die hervorragenden Veloce-Sportsitze gibt es in einem gut 1500 Euro teuren Paket. Wir würden sie nehmen.

Dieser Spaß hat aber auch seinen Preis. Unser Testwagen kostet mit sehr umfangreichen Ausstattung mit großem Sound-, Assistenzpaket, elektrischen Ledersitzen und expressiv-edler Optik etwas über 60.000 Euro. Ein nahezu identisch ausgestatteter BMW X3 xDrive20i kostet nur wenige tausend Euro mehr. Allerdings kommt der BMW mit einem 184-PS-Einstiegsbenziner, den wir bereits als wenig inspirierend kennengelernt haben.

Die Achillesferse des Alfa ist aber der zu erwartende Wertverlust. Unser Tipp wäre, ihn als jungen Gebrauchten oder Jahreswagen zu erwerben. Dann könnte man die Euro-6d-Temp-Norm dem Verkäufer preismindernd um die Ohren schlagen. Mit etwas Glück könnte der Weg dann für wenig mehr als 40.000 Euro zu einem fast neuen, lecker ausgestatteten Stelvio führen. Eine Giulia wäre das zwar nicht, aber es gibt schlimmere Schicksale. Und der Einstieg ist wirklich großartig.

Der Hersteller übernahm beide Überführungsfahrten und sämtliche Spritkosten.