Biohacker wollen zurückgezogene Gentherapie nachbauen

Aktivisten haben eine günstigere Version von UniQures Glybera-Behandlung entwickelt, die nur noch 7000 Dollar kosten soll. Sind sie ein Robin Hood der Medizin oder eine Bedrohung für die Patientensicherheit?

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Medikamente, Medizin, Pillen, Gesundheit
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Von
  • Alex Pearlman
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Eine internationale Gruppe von Biohackern hat bekanntgegeben, dass sie an einer Kopie einer bekannten Gentherapie arbeitet. Eine vorläufige Version einer einfacheren, kostengünstigen Variante sei bereits entwickelt und koste weniger als 7.000 Dollar, sagte Gabriel Licina, einer der beteiligten Biohacker. Nun plant die aus Biologen und Amateurbiologen bestehende Vereinigung, Universitätsforscher und Unternehmen zu konsultieren, um Hilfe bei der Überprüfung und Verbesserung des Genkonstrukts sowie bei Tests an Tieren zu erhalten.

Die 2015 in Europa zugelassene Behandlung war die weltweit erste verfügbare Gentherapie für eine Erbkrankheit. Glybera sollte Menschen mit der extrem seltenen Blutkrankheit Lipoprotein-Lipase-Mangel (LPLD) helfen. Bei der meist im Kindesalter diagnostizierten Erkrankung kann der Körper das Enzym Lipoprotein-Lipase nicht herstellen. Dadurch sammeln sich Fettpartikel im Blut an, sodass es cremeweiß aussieht. Patienten müssen ein Leben lang strenge Diäten einhalten und etwa auf Alkohol und Zucker verzichten. Darüber hinaus leiden sie an starken Nebenwirkungen wie schlimme Schmerzen aufgrund von Entzündungen der Bauchspeicheldrüse. Viele Patientinnen können keine Kinder bekommen. Mit einem Preisschild von einer Million Dollar pro Patient war Glybera gleichzeitig das teuerste Medikament der Welt. Es erwies sich jedoch als nicht wirtschaftlich, sodass es der Hersteller UniQure 2017 vom Markt nahm.

Die Biohacker überprüften die Glybera-Originalveröffentlichungen auf Informationen über die genetische Sequenz des Gens, von dem Patienten korrigierte Kopien benötigen. Dann bestellten sie bei einer Gensynthesefirma eine Kopie des entsprechenden DNA-Abschnitts, das zu einem kreisförmigen Genkonstrukt namens "Minicircle" hinzugefügt wurde. Wenn der Minikreis in eine Zelle eingefügt wird, beginnt es, kleine Mengen des fehlenden Enzyms herzustellen.

Dies ist ein wichtiger Unterschied zu der ursprünglichen Glybera-Behandlung, bei der die gesunden Genkopien in Transporter-Viren integriert und dann in die Beinmuskulatur injiziert wurden. Virus-Transporter herzustellen ist ein komplexes Unterfangen, aber es ist die am häufigsten verwendete Strategie in der Gentherapie. Die Biohacker haben aufgrund der hohen Kosten keinen Zugang zu Viren, aber sie sagen, dass möglicherweise auch Minikreise injiziert werden können.

Experten zeigten sich gespalten über das Biohacking-Projekt. Robert Kotin, Experte für Gentherapie-Produktion an der University of Massachusetts, bezeichnet die Minicircle-Technologie, die widersprüchliche Ergebnisse gezeigt habe, als kontrovers. Während Minikreise im Gegensatz zu Viren möglicherweise immer wieder neu verabreicht werden könnten, sind sie nicht effizient genug, Zellen dazu zu bringen, genetischen Anweisungen zu befolgen.

Biohacker David Ishee konterte: "Sie sind nicht dasselbe, [aber] sie können die Arbeit erledigen. Sie sind einfach weniger effizient", sagte er über die Minikreise, die auf seinem Design basieren. Ishee glaubt, sie könnten über einen Zeitraum von einem halben Jahr injiziert werden. "Es ist, als ob Sie ein Schwimmbad oder einen Teich graben wollten. Sie könnten einen Bagger kaufen und ihn an einem Tag graben, oder Sie könnten es mit einer Schaufel tun, mit der Sie Monate brauchen, die aber kostenlos ist."

Bei der Konferenz "Biohack the Planet" Ende August in Las Vegas baten die Biohacker um Hilfe, damit sie ihre Behandlung an Tieren testen können, weil sie Kosten nicht selbst stemmen können. "Ich sage nicht, dass wir eine fertige Gentherapie haben", betont Licina. Slybera sei noch nicht für Patienten bereit und müsse weiterentwickelt werden.

Auch der Montrealer Arzt Daniel Gaudet, der LPLD-Patienten behandelt (19 von ihnen erhielten Glybera in klinischen Studien), hält den Plan der Biohacker für naiv. Zwar sei Glybera zu teuer gewesen, doch die Entwicklung einer Gentherapie sei für Amateure schlicht zu komplex und riskant. "Zugang und Erschwinglichkeit sind echte Herausforderungen", sagt Gaudet. "Wir müssen kreativ sein, aber Biohacking ist nicht die Lösung."

Andere Experten wollen die Biohacker nicht so einfach abschreiben. Der Genetiker Michael Hayden leitete das ursprüngliche Glybera-Forschungsteam an der University of British Columbia. Nach der Gründung des Startups AMT, das später zu UniQure wurde, hätten sie "als klinisch tätige Wissenschaftler die Kontrolle über das Projekt völlig verloren. Sie beschlossen, eine Million Dollar pro Schuss in Rechnung zu stellen. Das war 2012 in Europa unverschämt."

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"Das Recht auf Zugang zu Medikamenten ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit", sagt Hayden. "Jeder Weg, den Patienten potenzielle Vorteile zu verschaffen, ist absolut sinnvoll, und ich würde [Biohackern] niemals im Wege stehen." Er ist sogar daran interessiert, mit dem Biohacker-Team in Kontakt zu treten.

Anderen Experten zufolge haben die Patienten durch die überhöhten Kosten keinerlei Optionen. Das Preisschild habe einen Anreiz für Raubkopien des genetischen Durchbruchs geschaffen. "Es ist eine ziemlich große Sache, wenn sich Biohacker jetzt auf Gentherapien konzentrieren, da die möglichen Folgen sehr groß sein können", warnt Rachel Sachs, Rechtswissenschaftlerin an der Washington University in St. Louis und Expertin für Arzneimittelpreise.

Das Kopieren und Verkaufen des Arzneimittels könnte jedoch das geistige Eigentum von UniQure verletzen. UniQure-Sprecher Tom Malone sagte, das Unternehmen sei nicht über den Biohacking-Versuch informiert worden. Das Unternehmen besitze immer noch ein Patent auf das Medikament, es gäbe allerdings keine starke Nachfrage nach der Behandlung. "Deshalb wird eine Glybera-Kopie wahrscheinlich erheblichen regulatorischen und kommerziellen Hürden gegeüber stehen", sagt Malone. Tatsächlich hat die US-amerikanische Lebensmittel- und Arzneimittelbehörde FDA erklärt, es sei illegal, Gentherapie-Zubehör zum Selbermachen zu verkaufen.

(vsz)