Erster Blockbuster-Kandidat bei Gentherapien

Novartis hat die FDA-Zulassung für Zolgensma erhalten. Es ist mit 2,125 Millionen Dollar das teuerste Einmalarzneimittel der Welt und dient als Therapie gegen einen verhängnisvollen Muskelschwund.

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Erster Blockbuster-Kandidat bei Gentherapien

(Bild: Novartis)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Antonio Regalado
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Gentherapien haben einen weiteren Meilenstein erreicht. Am 24. Mai erhielt Novartis von der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA die Marktzulassung für seine Gentherapie "Zolgensma". Der Pharmariese rechnet damit, dass die Behandlung die weltweit erste "Blockbuster"-Genersatztherapie werden könnte. "Blockbuster“ heißen Medikamente mit einem Umsatz von mehr als einer Milliarde US-Dollar pro Jahr.

Die Behandlung soll Säuglinge retten, die an der sogenannten spinalen Muskelatrophie (SMA) Typ 1 erkrankt sind. Bei der erblichen Nervenerkrankung führt ein fortschreitender Abbau von Motoneuronen im Rückenmark, also Nerven die Muskeln steuern, zu einer innerhalb von zwei Jahren tödlichen Muskelschwäche. Bei der Gentherapie wird mithilfe harmloser Viren die gesunde Variante eines krankhaft mutierten Gens in die Zellen der Patienten eingeschleust. Schockierend ist allerdings nicht nur der Krankheitsverlauf, sondern auch der Preis der Therapie. Mit 2,125 Millionen Dollar ist es das teuerste Einmalarzneimittel der Welt, das also nicht kontinuierlich verabreicht werden muss.

Bei solchen Preisen könnte der wachsende Erfolg von Gentherapien die Gesundheitsversorgung an ihre Grenzen bringen. Die FDA prognostiziert, dass bis 2025 jährlich zehn bis 20 neue Gen- oder Zelltherapien auf den Markt kommen werden. Das könnte den Krankenversicherungsmarkt vor allem dann in Aufruhr versetzen, sobald die kostspielige Gentherapien für die Bluterkrankheit Hämophilie und Muskeldystrophien die Zulassung erhalten.

"Das Problem mit vielen dieser Medikamente ist, dass sie gleichzeitig lebensverändernd und teuer für die all jene sind, die sie brauchen", sagt Michael Sherman, medizinischen Leiter der Krankenversicherung Harvard Pilgrim Health Care, der mit Novartis den Preis verhandelt hat. "Bei dieser und noch zu erwartenden Gentherapien geht es nicht darum, Nein zu sagen, sondern darum, wie sagt man Ja, ohne das System in den Ruin zu stürzen?"

Novartis-Führungskräften zufolge wird es für betroffene Versicherte Unterstützungsprogramme für das Bezahlen geben, einschließlich einer experimentellen Umlagefinanzierung sowie Angebote zur Erstattung eines Bruchteils des Medikamentenpreises, wenn die Patienten sterben oder schließlich wegen der fortschreitenden Lähmung der Atemmuskulatur an ein Beatmungsgerät benötigen. "Wir möchten eine kontinuierliche Bezahlung", sagt Sherman, "und dass die Zahlungen entfallen, wenn die Therapie nicht mehr wirkt. Angesichts der beständig steigenden Preisen finde ich es fair, das so zu machen."

Laut Sherman können solche neuartigen Zahlungskonzepte erst dann vollständig umgesetzt werden, wenn die Versicherer bereit sind, die ausstehenden Rechnungen der Patienten zu übernehmen, wenn sie ihre Versicherungsprogramme wechseln. Außerdem kann Novartis aufgrund einer Regel, die den staatlichen Medicaid-Agenturen den "besten Preis" für alle Arzneimittel garantiert, keine vollständige Geld-zurück-Garantie anbieten. Angesichts des Übernahmepreises und der Tatsache, dass in den USA nur etwa 400 Kinder pro Jahr mit SMA geboren werden, sei der himmelhohe Preis für das Medikament keine Überraschung. "Sie haben es sauber ausgerechnet", sagt Versicherungsexperte Sherman.

Die Behandlung, die mit spektakulären Ergebnissen an betroffenen Kindern getestet wurde, hat ein Team um Brian Kaspar am Nationwide Children’s Hospital in Columbus (Ohio) entwickelt. Den Kindern wurden Billionen Viren injiziert, die eine korrekte Kopie eines Gens namens SMN1 enthielten: In mutierter Form verursacht es den Verlust der Motorneuronen im Rückenmark. Kaspar gründete 2010 das Startup AveXis, das Novartis 2018 für 8,7 Milliarden US-Dollar übernahm. Entscheidende Rollen im Vorfeld spielten auch Arthur Burghes von der Ohio State University, der ein Mausmodells mit SMA entwickelte, sowie der Arzt Jerry Mendell, der die ersten Humanstudien leitete.

Zolgensma ist die sechste in den USA oder Europa zugelassene Gentherapie. Allerdings haben nicht alle den Patienten geholfen. Uniqure etwa nahm seine Therapie "Glybera" nach nur einem Einsatz vom Markt und gab an, dass sie zu selten nachgefragt worden sei. Ärzte dagegen sich über das zu komplizierter Antragsverfahren beklagt, dass es Patienten fast unmöglich machte, die Therapie zu erhalten. Auch das Genmedikament "Strimvelis", das GlaxoSmithKline gegen eine Immunschwächekrankheit entwickelt hatte, erhielten weniger als ein Dutzend Patienten. Neben dem hohen Preis spielte vermutlich auch die Tatsache eine Rolle, dass es sich um eine Knochenmarktransplantation handelte. Spark Therapeutics‘ "Luxturna"-Gentherapie richtete sich gegen eine degenerative Netzhautkrankheit, von der nur sehr wenige Menschen betroffen sind.

Dagegen sei die SMA-Behandlung laut Novartis bereits jetzt schon sehr gefragt. Bisher haben 150 Patienten die Gentherapie in klinischen Studien oder über spezielle Zugangsprogramme erhalten, sagt AveXis- Präsident David Lennon. In einigen Fällen wird die Behandlung für Kinder im Alter von sechs Wochen durchgeführt, um hervorzuheben, wie schnell nach der Geburt das betroffene Gen repariert werden kann. Die Zahl der behandelbaren Kinder dürfte zudem weiter steigen, denn in US-Bundesstaaten wie Minnesota und Pennsylvania werden Neugeborene seit kurzem bereits auf der Entbindungsstation darauf untersucht, ob sie SMA haben.

Die Zulassung der SMA-Genersatztherapie erfolgt erst drei Jahre nach einem früheren Durchbruch, bei dem ein genetisches Antisense-Medikament als erste hochwirksame Behandlung von SMA auf den Markt kam. Diese Spinraza genannte Therapie von Biogen kostet 375.000 Dollar pro Jahr. Anders als bei Novartis‘ Einmaltherapie muss das Mittel allerdings Jahr für Jahr ein Leben lang verabreicht werden.

Die beiden konkurrierenden Behandlungen dürften sich nun auf dem Markt duellieren. Die Versicherer gehen jedoch davon aus, dass die einmalige Genkorrektur für berechtigte Patienten trotz des anfänglich hohen Preises langfristig weniger kosten könnte. "Ich gehe davon aus, dass die Krankenversicherungen Spinraza für diese Gruppe in Zukunft nicht mehr bezahlen werden", sagt Sherman.

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Die Hoffnungen der Eltern und die Berechnungen der Versicherer hängen alle von der Annahme ab, dass die Reparatur des schadhaften Gens dauerhaft sein wird. Derzeit lässt sich allerdings nicht mit Sicherheit sagen, dass der Behandlungseffekt nicht nachlassen wird oder die Therapie später nicht erneut verabreicht werden muss.

Derzeit lässt sich nur sagen, dass einiger der bisher behandelten Kinder jetzt fünf Jahre alt sind und es ihnen gut geht. "Wir denken trotzdem, dass dies ein guter Kandidat für eine Krankheit ist, die nicht zurückkommt", sagt AveXis-Präsident Lennon.

Fraglich ist auch, ob die Gentherapie jemals in arme Länder gelangen wird, deren medizinische Systeme Kinder mit SMA nicht versorgen können und die sich eine so teure Therapie nicht leisten können. Laut Lennon hat Novartis keine konkreten Pläne, die Behandlung in die ärmste Länder der Welt zu verkaufen.

(vsz)