Missing Link: Grassroot-KI – Afrikas Aufholjagd bei Künstlicher Intelligenz

Seite 4: Modellfunktion?

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Das Modell Masakhane, aus der Taufe gehoben in einer der von Marivate mitveranstalteten Konferenz Deep Learning Indaba, hat inzwischen Nachahmer im eigenen Land gefunden. Die Forschergruppe Sisonke Biotik etwa, die sich um KI in der Gesundheitsforschung kümmern will, nennt sich einen Masakhane-Fork. Außerdem gibt es ähnliche Grassroot-KI-Initiativen auf anderen Kontinenten, etwa Americas NLP (NLP for Indigenous Languages of the Americas).

Auch die jährliche Zusammenkunft Deep Learning Indaba, die KI und Machine Learning breiter abdeckt und dem wissenschaftlichen Nachwuchs ein Forum bieten will, wurde zur Marvatis Freude bereits kopiert. In Lateinamerika wurde Khipu gestartet, in den osteuropäischen Ländern die Eastern European Machine Learning Summer School und in Asien die South East Asia Machine Learning School. Eine afrikanische Idee wurde kopiert, sagt Marvati stolz. "Indaba war der Trendsetter für diese Entwicklung."

Um digitale Kluften zwischen Globalem Norden und Süden tatsächlich zu schließen, bleibt noch viel zu tun. Das zeigt nicht nur die wissenschaftliche Sisyphosarbeit von Masakhane, die zwar von einer Reihe von Partnern finanziell unterstützt wird, aber doch mit kleinem Budget haushalten muss. Neben dem Enthusiasmus für Graswurzel-KI könnte die Entwicklung in Afrika aber noch von etwas anderem profitieren: Die ägyptische KI-Expertin Radwan sieht die afrikanischen Länder bei der Haltung zur KI im Vorteil.

Anders als Europa, für das die Risiken der Technologie schwerer wiegen als die Chancen, sähen afrikanische Länder ein kleines Risiko und enorme Möglichkeiten. Aus afrikanischer Sicht laute die Frage, wie man in einem Riesensatz die bestehende Innovationslücke zum Westen überspringen kann und wie es gelingt, die Wirtschaftsentwicklung in einzelnen Sektoren zu beschleunigen und die digitale Kluft zu schließen, erklärt Radwan.

KI soll nicht zuletzt helfen, die Entwicklungsziele der Vereinten Nationen bis 2030 zu erfüllen, lautet das Credo. Ägypten hat daher die Entwicklung einer App auf den Weg gebracht, die Bauern von der Aussaat bis zum Verkauf ihrer Ernte unterstützen soll. Solche Public Private Partnerships seien sehr sinnvoll, findet Radwan, weil die öffentliche Hand damit auch Werte vorgebe.

Während sich Regierungen und Wissenschaftler bei "KI als Entwicklungshelfer" durchaus einig sind, wächst zurzeit eine Kluft in puncto Regulierung. Wissenschaftler befürchten laut der ägyptischen Expertin, dass mit immer mehr Bürokratie und Regulierung ihr Drive gebremst werde, "einfach coole Technologie" zu entwickeln. Kluge Regulierung müsse sich aber ohnehin auf die Regelung des Gebrauchs, nicht der Technologie an sich konzentrieren. Ein Vorbild sieht sie hier etwa in der EU-Medizinprodukteverordnung. Die ziele auf die Risiken für die Nutzer, nicht auf die Technik als solche.

Während sie in diesem Punkt einem Ideenimport positiv gegenübersteht, warnt die Informatikerin und Biotechnologin zugleich vor der Idee, schon jetzt auf globaler Ebene KI regulieren zu wollen. Viel besser sei es, Brücken zu bauen zwischen den regional entwickelten Regeln und sich vielleicht auf Grundsatzprinzipien zu einigen. Ein paar wenige würden reichen, meint sie, und das wäre besser als das aktuelle Chaos von fünfhundert Prinzipien-Papieren. "Wenn man fünfhundert hat, hat man im Grunde gar keine", sagt sie. Das wiederum kann nicht im Sinne derjenigen sein, die ihre Aufholjagd im KI-Bereich gerade erst begonnen haben.

(bme)