Missing Link: Angriffe auf Backbones – Wie gut sind Glasfaserkabel geschützt?

Seite 3: Zerstörte Seekabel, Glasfaserstrecken und die Zeitenwende

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Zerstörte Seekabel lenkten gleich Anfang des Jahres 2022 die Aufmerksamkeit von Sicherheits- und Aufsichtsbehörden wieder einmal auf das Thema der bedrohten "Schlagadern". Am 7. Januar wurde eine von zwei Leitungen des Svalbard Kabels durchtrennt. Über das nicht betroffene Zwillingskabel war der Verkehr zwischen Spitzbergen und dem Festland zwar gesichert werden.

Weil wenige Wochen zuvor bereits die Seekabelinfrastruktur des Lofoten-Vesteralen Sea Observatory (LoVe) gekappt wurde, nährte der Svalbard Vorfall den bereits in vergangenen Jahren von Militärs oder US-Thinktanks wie dem Atlantic Council geäußerten Verdacht, Russland ziele sehr gezielt auf die Kommunikationsinfrastruktur westlicher Länder.

"Im schlimmstmöglichen Szenario könnte das russische Militär Dutzende von Seekabeln aufs Korn nehmen, die andere Teile von Europa mit dem globalen Internet verbinden – und die auch Verkehr von der und in die Ukraine transportieren", schrieb der Atlantic Council Ende Januar 2022. Mögliche Ziele könnten die 16 Seekabel vor Irland sein und einige von ihnen zu kappen würde den Verkehrsfluss in den globalen Netzen stark beeinträchtigen – "und ein paar dieser Kabel liegen ganz in der Nähe russischer Militärübungen", menetekelte der Atlantic Council.

Seekabel Störfaktoren

"Die russische Navy hat die Kompetenzen, Unterseekabel zu untersuchen und zu unterbrechen", schreibt das Militärtechnologieblatt WarZone. 2021 etwa habe das russische Erkundungsschiff Yantar entlang der irischen Küste operiert und aufgrund seiner Ausstattung mit Tiefsee-fähigen Tauchbooten habe die Yantar unter dem Verdacht gestanden, die an der irischen Küste landenden Atlantikkabel auszuspähen.

Für Svalbard, das in den vergangenen Jahren Zankapfel zwischen Russland und Norwegen wurde, wurde ein russischer Anschlag aufs Kabel von englischsprachigen Medien rasch als plausible Erklärung beschrieben, vor allem, nachdem Norwegens Polizei eine natürliche Ursache für das Abreißen des Kabels angeblich ausgeschlossen hatte.

Dag H Stølan vom Betreiber des Svalbard-Kabels, dem Norwegian Space Agency Ableger Space Norway, will von einer eindeutigen Schuldzuweisung aber nichts wissen. "Es gibt bislang keine Bestätigung dafür, dass der Ausfall Ergebnis menschlicher Intervention ist", antwortete Stølan auf Anfrage von heise online. "Der Grund kann erst bestätigt werden, wenn die endgültigen Reparaturen abgeschlossen sind." Man möge bitte nicht vergessen, dass die Fehlerstelle in 500 bis 2000 Meter Tiefe liege. Erst die Reparatur werde es ermöglichen, Rückschlüsse auf fundierter Basis zu ziehen. Die Reparaturen würden wohl noch bis zum 3. Quartal dauern.

Auch im Fall der Attacken aufs französische Netz mahnt Guillaume zur Vorsicht. Zwar ist für Frankreichs Fall glasklar, dass hier keine Bagger oder Bohrer am Werk waren. Direkt eine Verbindung mit Russland und dem Ukraine-Krieg herzustellen, bleibe aber aktuell schlicht Spekulation, meint der französische Netzexperte.

"Wäre es eine große Attacke einer ausländischen Macht, würde man erwarten, dass die Attacke noch breiter angelegt ist und an anderen Stellen im Netz ansetzt", meint Guillaume. Er sei nicht paranoid, aber ganz habe er die Theorie wohl doch nicht aus dem Kopf bekommen können, trotz der sehr geringen Wahrscheinlichkeit.

Guillaume macht überdies noch auf einen anderen, mindestens ebenso plausiblen Ansatz aufmerksam. In Frankreich gibt es viele Menschen, die denken, die durchschnittenen Kabel gehen auf das Konto von Subunternehmern der Kabelfirmen – wegen schlechter Bezahlung und schlechter Arbeitsbedingungen. Am 27. April wurde nämlich auch gestreikt in vielen Firmen, die Endnutzern Anschlüsse mit Glasfaser herstellen, erläutert Guillaume.

Das bedeutet nicht, dass die Geopolitik draußen ist bei der Suche nach den Schuldigen im Krieg um die Informationshoheit. Wer ein Beispiel für die gezielte Zerstörung von Infrastruktur sehen will, muss nur in den Jemen blicken. Dort zerstöre die Saudi-UAE geführte Militärkoalition im Januar einen Kabelanlandepunkt in Al-Hudaydah am Roten Meer. Und natürlich werden Historiker die Angriffe auf die ukrainische Netzinfrastruktur unter die Lupe nehmen. Da gibt es keinen Zweifel an der russischen Verantwortlichkeit.