Missing Link: Urknalltheorie – wie ein Priester die Kosmologie revolutionierte

Die Entdeckung des Urknalls wird gern Edwin Hubble zugeschrieben, dabei war ein belgischer Jesuit schneller. Warum sich die Theorie durchgesetzt hat.

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Der kosmische Mikrowellenhintergrund, eingefangen von der ESA-Sonde Planck

(Bild: ESA/Planck Collaboration)

Lesezeit: 34 Min.
Von
  • Alderamin
Inhaltsverzeichnis

Wie groß ist das Universum? Woraus besteht es? Wie ist es entstanden und wie wurde es so, wie wir es heute kennen? Mit diesen Themen beschäftigt sich die Kosmologie, die Lehre von der Entstehung und Entwicklung des Universums. Sie ist derzeit eine der spannendsten Disziplinen der Naturwissenschaft und sie spannt einen Bogen von der Physik des Allerkleinsten zu den größten Strukturen, die wir kennen. Die neue Artikelreihe skizziert den derzeitigen Stand des Wissens und legt dar, warum die große Mehrheit der Kosmologen scheinbar so absurden Ideen anhängt wie von leerem Raum mit abstoßender Gravitation, der Entstehung des Universums aus dem Nichts und dem unsichtbaren Stoff, aus dem 95 Prozent des Universums bestehen. Aber was wäre, wenn das alles nicht stimmt und das Universum gar nicht expandiert – welche Belege haben wir für den Urknall?

Gemeinhin wird die Entdeckung der Expansion des Universums dem US-amerikanischen Astronomen Edwin Hubble zugeschrieben. Nicht ohne Grund wird die Expansionskonstante des Universums "Hubble-Konstante" genannt. Hubble fand in der Tat, dass die Rotverschiebung des Lichts ferner Galaxien mit der Entfernung linear zunimmt und veröffentlichte einen Aufsatz darüber, der ihn weltbekannt und zum Namensgeber eines vielleicht noch bekannteren Weltraumteleskops machte. Er schloss aus seiner Beobachtung jedoch nicht auf die Expansion des Universums, sondern vermutete einen anderen, noch unerklärten, entfernungsabhängigen Effekt. Es erschien ihm absurd, dass sich alle Galaxien von der Erde entfernen sollten.

Der belgische Mathematiker, Astronom und Jesuit Georges Edouard Lemaître um 1930. Er darf als der eigentliche Entdecker der Urknalltheorie betrachtet werden.

(Bild: gemeinfrei)

Tatsächlich war es der wenig bekannte belgische Jesuit Georges Lemaître, welcher die richtigen Schlussfolgerungen aus Einsteins Relativitätstheorie zog. Der promovierte Mathematiker und Astronom, der nach abgeschlossenem Studium zunächst nach Cambridge und schließlich nach Harvard wechselte, leitete aus Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie ab, dass das Weltall entweder expandieren oder kollabieren muss – unabhängig vom russischen Mathematiker Alexander Friedmann, dem dies schon fünf Jahre zuvor gelungen war. Lemaître war tatsächlich der erste, der Beobachtungsdaten dafür lieferte und die Expansionskonstante bestimmte – 1927, zwei Jahre vor Hubble.

Allerdings veröffentlichte er seine Arbeit nur in einer außerhalb des frankophonen Raums kaum gelesenen französischsprachigen Fachzeitschrift, so dass fast niemand Notiz von ihr nahm. Erst 1931 wurde Lemaîtres Arbeit von ihm selbst ins Englische übersetzt, wobei er die Passagen über die Expansionskonstante wegließ – diese hatte Hubble schließlich bereits zuvor beschrieben, sodass er ihre erneute Erwähnung für überflüssig hielt. Daher blieb ihm lange die Anerkennung als der eigentliche Entdecker der Expansion des Universums verwehrt. Erst 2018 verfügte die IAU nach einer Abstimmung endlich, dass die Hubble-Konstante von nun an offiziell "Hubble-Lemaître-Konstante" heißen sollte.

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Im Dezember 1932 wurde Lemaîtres Theorie einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, als die Zeitschrift Popular Science über sie berichtete. Demnach sei das Universum aus einem von ihm so bezeichneten "Uratom" (primeval atom) entstanden, in dem alle Materie des Universums in einem Punkt vereinigt gewesen sein soll. In der Fachwelt stießen seine Ideen jedoch zunächst nur auf Ablehnung. Arthur Eddington, dem der Nachweis der Lichtablenkung im Schwerefeld der Sonne gelungen war, lehnte sie ebenso wie Einstein ab – Punktsingularitäten waren physikalisch unplausibel und irgendwie kam ihnen diese Theorie eines Priesters und Theologen wohl auch ein wenig zu religiös daher. Der berühmte Astrophysiker Sir Fred Hoyle bezeichnete sie 1949 in einem Radiointerview als "Big Bang Theory", die Theorie vom großen Knall. Ein Name, der hängen blieb.

Es dauerte Jahrzehnte, bis sich die Urknalltheorie schließlich durchsetzen konnte, da sie durch zahlreiche Beobachtungen unterschiedlichster Art bestätigt wurde. Aber wie stellten sich die Astronomen in den 1930ern bis Anfang der 1960er das Universum überhaupt vor?

Edwin Powell Hubble ist berühmt geworden für seinen Aufsatz über die entfernungsabhängige Rotverschiebung der Galaxien. Er war jedoch weder der Erste, der diese Beobachtung machte, noch war er der Schöpfer der Urknalltheorie. Dennoch ist sein Name heute fast schon synonym für diese.

(Bild: gemeinfrei)

Unser Wissen über das Universum war zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch sehr beschränkt. Bis in die 1920er-Jahre war gar noch unklar, ob nicht unsere Milchstraße das gesamte Universum umfasst. Ich habe den "Kosmos Handanweiser für Naturfreunde" aus dem Jahr 1924 im Bücherregal, in dem unter anderem ein Prof. Dr. K. Graff darüber spekuliert, ob vielleicht radioaktiver Zerfall die Energie der Sterne erzeugt. Da jedoch radioaktive Quellen eine exponentiell fallende Zerfallsrate aufweisen, was den konstanten Energieausstoß der Sterne nicht erklären kann, kommt er zu dem Schluss, dass die Sterne wohl eher durch Kompressionswärme auf dem Weg vom Roten Riesen zum Zwergstern aufgeheizt werden müssten.

Das ist übrigens weniger abwegig, als es zunächst klingt, denn die hydrostatische Kompression unter dem Eigengewicht des Gases liefert etwa beim Planeten Jupiter mehr Energie, als er von der Sonne erhält (genauer gesagt sinkt hier das schwerere Helium nach innen). Bei der 1000-mal größeren Sonne würde noch viel mehr Energie frei. Wenn die Kernfusion in der Sonne plötzlich erlöschen würde, könnte sie noch Millionen Jahre weiter leuchten – aber nicht in der heutigen Intensität für Milliarden Jahre. Erst 1937/38 entdeckten Hans Bethe und Carl Friedrich von Weizsäcker (der Bruder des sechsten Bundespräsidenten) das Prinzip der Energieerzeugung der Sonne durch Kernfusion. Und Sterne beginnen ihr Leben nicht als Rote Riesen, sondern haben die meiste Zeit ihres Lebens eine konstante Größe, bis sich die meisten von ihnen kurz vor ihrem Ende zu Riesen aufblähen, wenn sich mangels verbliebenen Brennstoffs die Fusion in eine Schale um den Kern herum verlagert und der interne Wärmetransport aufgrund einer temperaturbedingten Änderung der Transparenz von Strahlung zu Konvektion übergeht.

Angesichts eines so rudimentären Wissensstands verwundert es nicht, dass viele Wissenschaftler damals davon ausgingen, dass das Universum schon ewig und unveränderlich bestanden hatte. Auch Einstein nahm dies an und als Friedmann und Lemaître zeigten, dass das Universum gemäß seiner ureigenen Relativitätstheorie kollabieren oder expandieren musste, versuchte er mutwillig, es diesem unvermeidlichen Schicksal durch die Einführung eines "Schummelfaktors" zu entziehen: der kosmologischen Konstanten, die dem Kollaps eine abstoßende Gravitation entgegensetzte, welche diesen gerade verhindern sollte. Nach der Entdeckung von Hubble und Lemaître verwarf er die kosmologische Konstante wieder und ärgerte sich über diese "Eselei", die ihn daran gehindert hatte, die Expansion des Universums vorherzusagen.