US-Marine will Drohnenschwärme auf Gegner losschicken

Der militärische Nutzen von Drohnen, die im Schwarm angreifen, wird heiß diskutiert. Nun soll das "Super Swarm"-Projekt zeigen, wie das gehen könnte.

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(Bild: Stephanie Arnett/MITTR)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • David Hambling
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Die amerikanische Marine hat neue Projekte gestartet, um Schwarmdrohnen für militärische Zwecke zu nutzen. Die Vorhaben sollen Bau, Einsatz und Steuerung Tausender kleiner Drohnen, die sich autonom zusammenschließen können, erforschen. Ziel dabei ist es, Luftabwehrsysteme zu überwältigen, da diese nur eine begrenzte Anzahl an Angriffen gleichzeitig abdecken können. Das sogenannte Super-Swarm-Projekt wurde in Haushaltsunterlagen der US-Regierung entdeckt.

Der Konflikt in der Ukraine hat bewiesen, welche Dienste kleine Drohnen, darunter sogar Quadcopter für den Privatgebrauch, übernehmen können: Aufklärungsarbeit, Artilleriefeuer lenken und Panzer zerstören. Solche Drohnen sind derzeit aber dadurch begrenzt, dass jede einzelne einen eigenen Bediener benötigt. In einem Schwarm hingegen würden Hunderte oder Tausende von Drohnen als eine einzige Einheit gesteuert. "Die Bedeutung von Drohnenschwärmen liegt darin, dass sie für praktisch jede Mission eingesetzt werden könnten", sagt Zachary Kallenborn, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Schar School of Policy and Government der George Mason University.

Viele Nationen arbeiten an solchen Systemen, darunter China, Russland, Indien, das Vereinigte Königreich, die Türkei und Israel, das 2021 als erste Nation Schwarmdrohnen auch schon im Kampf eingesetzt hat. Die US-Marine war schon immer federführend auf diesem Gebiet, auch wenn sie sich bislang öffentlich eher zurückhält. Haushaltsdokumente, die MIT Technology Review vorliegen, zeigen nun ehrgeizige Pläne für Drohnenschwärme, die alles bisher Dagewesene übertreffen würden. Darin finden sich Details zu mehreren Projekten, die bisher nicht bekannt waren und die auch Drohnenboote und Drohnen-U-Boote betreffen. Zusammengefasst werden sie in einem Projekt namens "Super Swarm".

Drohnen im Mehrfacheinsatz kennt man bereits von zivilen Anwendungen: Vielleicht haben Sie schon einmal Drohnen-Lichtshows gesehen, bei denen Hunderte oder Tausende von Drohnen in perfekter Synchronität zusammen fliegen. Dabei handelt es sich aber nicht explizit um Schwärme, denn jede Drohne fliegt entlang einer choreografierten, vorher festgelegten Route. Die einzelnen Drohnen nehmen weder ihre Umgebung noch sich gegenseitig wahr. Im Gegensatz dazu fliegen die Drohnenschwärme in einem Schwarm zusammen und sind sich ihrer Umgebung und ihres Abstands zueinander bewusst. Sie nutzen Algorithmen, um Hindernissen auszuweichen und sich dabei nicht gegenseitig in die Quere zu kommen – wie ein Vogelschwarm. Fortgeschrittenere Versionen nutzen KI, um die Aktionen für Aufgaben wie die Ausbreitung zur Durchsuchung eines Gebiets oder die Durchführung eines synchronisierten Angriffs zu koordinieren.

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Die US-Marine hat in diesem Bereich bereits erhebliche Fortschritte erzielt. Im Jahr 2017 demonstrierte sie einen Schwarm von 30 Drohnen, die gemeinsam fliegen. Die Idee ist, dass die Drohnen explosive Sprengköpfe für Kamikaze-Angriffe tragen, was sie zu Miniatur-Marschflugkörpern macht. Derselbe Ansatz wurde in den letzten Wochen von Russland gegen ukrainische Städte eingesetzt. Das US-Projekt mit dem Namen LOCUST (für "low-cost UAV swarming technology") soll nun unter dem Dach der größeren Super-Swarm-Mission eingeordnet werden.

Im April 2021 führte ein Drohnenschwarm der Marine in einer Kriegsspielübung zum ersten Mal einen Angriff auf ein Schiff durch. Selbst bei einem echten Einsatz, so Experte Kallenborn, würden die Drohnen jeweils nur wenige Pfund Sprengstoff mit sich führen – verglichen mit dem 220-Kilo-Sprengkopf einer Harpoon-Schiffsabwehrrakete. Das bedeutet, dass sie auf unterschiedliche Weise eingesetzt werden könnten, um ihre hohe Präzision zu nutzen. "Der Drohnenschwarm könnte aus mehreren Winkeln angreifen, um kritische Systeme wie Radarantennen, Deckgeschütze und Waffensysteme zu beschädigen oder zu zerstören", sagt er.

Die Pläne der Marine laut dem Haushaltsdokument sehen vor, dass Schwärme von Schiffen, U-Booten, Flugzeugen und Bodenfahrzeugen aus gestartet werden, was als "Multidomain-Operationen" bezeichnet wird. Die Drohnen sollen eine Vielzahl von Nutzlasten tragen: einige können Sensoren tragen, andere Störsender oder andere Geräte zur elektronischen Kriegsführung. Wieder andere werden besagte Sprengköpfe haben. Drohnenschwärme haben jedoch immer noch mit dem Problem einer begrenzten Reichweite zu kämpfen: Die 6 Kilogramm schwere Raytheon Coyote beispielsweise, die im Rahmen des LOCUST-Programms eingesetzt wird, kann beispielsweise nur zwei Stunden lang mit einer Geschwindigkeit von 80 Kilometer pro Stunde fliegen, muss also "per Anhalter" mitgenommen werden.

Ein anderes Projekt, DEALRS genannt ("Deployment and Employment of Autonomous Long-Range Systems"), versucht, dieses Problem zu lösen. Dabei kommt es zur Verwendung so genannter Marsupial-Systeme (eine Art "Beuteltier") oder spezieller Mutterschiffe. Letzteres sind größere unbemannte Flugzeuge, die mehrere kleinere Drohnen tragen. Zwei US-Drohnenhersteller, Kratos und General Atomics, haben bereits Drohnen vorgeführt, die kleinere Drohnen starten. Dabei handelte es sich jedoch nur um ein oder zwei Stück, während DEALRS darauf abzielt, eine "extrem große Anzahl" kleiner Drohnen ohne menschliches Eingreifen zu transportieren und zu starten.

Ein weiteres Teilprojekt von Super Swarm zielt darauf ab, ein grundlegendes Problem militärischer Hardware zu lösen: die Kosten. Die US-Armee zahlt für jede ihrer kleinen tragbaren Drohnen, die als "Rucksack Portable Unmanned Aircraft Systems" bekannt sind, rund 49.000 Dollar. Kamikaze-Schwarmdrohnen müssen weitaus erschwinglicher sein, um in großen Stückzahlen eingesetzt werden zu können. Ein Projekt namens MASS ("manufacturing of autonomous systems at scale") nutzt 3D-Druck samt digitaler Designwerkzeuge, um kostengünstige Drohnen in großer Zahl zu produzieren. Das Ziel ist ein Design, das nach Belieben geändert werden kann, um Drohnen herzustellen, die für verschiedene Zwecke optimiert sind, z. B. die Maximierung von Geschwindigkeit, Reichweite, Tarnkappenfähigkeiten oder Nutzlast.

Den Haushaltsunterlagen der US-Regierung zufolge wird MASS die Drohnen "so weit vorne wie möglich" herstellen, was auf eine mögliche Produktion an Bord von Marineschiffen schließen lässt, die relativ nah am Kriegsgeschehen sind. Das erklärte Ziel ist die Herstellung von Zehntausenden von Drohnen.

Die Marine wünscht sich auch ein ausgefeilteres Steuerungssystem. Super Swarm umfasst bereits eine kooperative Planung und Zuweisung von Aufgaben an die einzelnen Schwarmmitglieder. Ein weiteres Teilprojekt, bekannt als MATes (steht für "bemannte und autonome Teams"), zielt darauf ab, die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Schwarm zu erleichtern und dem Schwarm mehr Autonomie zu verleihen.

Die Bandbreite, die dem Bediener für die Steuerung zur Verfügung steht, kann während der Mission abnehmen, etwa durch absichtliche Funkstörungen. MATes ermöglicht es dem Schwarm dann, von sich aus zu handeln, wenn er keine Entscheidungen vom Bediener zurückerhalten hat. MATes lässt zudem die vom Schwarm gesammelten Informationen in seine Entscheidungsfindung einfließen: Es kann seine Flugroute ändern, wenn die Drohnen eine neue Bedrohungslage identifizieren – oder sogar einzelne Drohnen zur Untersuchung eines neu identifizierten Ziels losschicken. All das ist laut US-Marine mittels KI möglich.