Elektronische Patientenakte: "Keine Panik, das wird sowieso (erstmal) nichts!"

Das Gesundheitsministerium hat für seine Digitalvorhaben ambitionierte Zeitpläne. Viel zu ambitioniert, findet Marie-Claire Koch.

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Dauerbaustellenschild

Die Digitalisierung des Gesundheitswesens gleicht einer Dauerbaustelle.

(Bild: DesignRage)

Lesezeit: 4 Min.
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Von Verzögerungen im Gesundheitswesen kann so mancher ein Lied singen. Daher ist es völlig illusorisch, dass die gesetzlich Versicherten 2025 über eine elektronische Patientenakte (ePA) verfügen, die besser funktioniert als die heutige. Ähnliches gilt für das E-Rezept, das in zwei Wochen "flächendeckendend" starten soll. Vieles funktioniert nur mit Ach und Krach: Zahlreiche Ärzte und andere Beteiligte sind mit der Digitalisierung des Gesundheitswesens unzufrieden.

Ein Kommentar von Marie-Claire Koch

Marie-Claire Koch arbeitet seit 2021 als Redakteurin bei heise online und schreibt inzwischen vorrangig über den Bereich Digital Health.

Keiner will, dass Unbekannte auf seine sensibelsten Daten zugreifen. Genau das soll aber passieren, wenn auch noch viele Details ungeklärt sind. Die "Datenautobahn" der Telematikinfrastruktur gleicht eher einem Feldweg mit Schlaglöchern, immer wieder kommt es dort zu Pannen und Staus, manchmal funktioniert auch das Navigationsgerät nicht. Apotheker fürchten Patienten in die Praxis zurückschicken zu müssen, um sich ein vermeintlich elektronisches Rezept ausdrucken zu lassen, da es wieder mal technische Probleme gibt.

Trotz der maroden Infrastruktur drückt die Regierung aufs Gas, um die seit Jahrzehnten versprochenen "bahnbrechenden Erfolge" zu erzwingen. Deutschland soll schließlich Vorreiter werden. Doch das Einzige, was zu brechen droht, sind die wohl bald überlasteten Wege der Datenautobahn im Gesundheitswesen und einmal mehr das Vertrauen in die Politik.

Vielleicht täte manch einem ein (Quanten-)Sprung zurück ganz gut, um die für Patienten wichtigen Fragen zu stellen: Was hilft den Versicherten am meisten? Was brauchen sie zuerst? Was haben wir bereits? Nicht nur wegen der Effizienz und um schneller Erfolge zu sehen, sondern auch aus Kostengründen. Wie viel Geld sich sparen ließe, wenn die ePA Opt-in bliebe. Oder wenn Werbekampagnen erst starten, wenn wirklich etwas da ist, das zu bewerben sich lohnen würde.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sieht kein Problem darin, "wenn auch Firmen, Pharmafirmen, Digitalfirmen, KI-Firmen, Medizinproduktefirmen, gute Produkte" mit den Daten entwickeln, "solange das Gemeinwohl dabei im Vordergrund steht und nicht der Profit". Wie soll das zusammenpassen?

Statt von zu hebenden Datenschätzen zu schwadronieren, sollte sich die Politik auf eine funktionierende ePA konzentrieren. Das klappt aber nur, wenn sich der Nutzen für den Einzelnen erschließt, beispielsweise Fehlmedikationen verringert werden. Ich möchte meine Daten aber transparent einsehen und verwalten können – ohne, wie geplant, eine automatische Weitergabe fürchten zu müssen.

Der elektronische Medikationsplan ist ein guter Anfang und lässt sich sicher gut "zum Fliegen bringen", wie es von den Entscheidern immer wieder heißt. Apropos fliegen: Neben dem europäischen ist auch ein transatlantischer Datenaustausch geplant. Denn der Markt sei in einzelnen Ländern nicht nur in Deutschland, sondern sogar in den USA zu klein, weil die Forschung immer spezifischer werde, sagte Susanne Ozegowski, Leiterin der Abteilung Digitalisierung und Innovation im Gesundheitswesen, kürzlich auf einer Konferenz.

Richtig, die Forschung wird immer spezifischer und trotzdem wird ein möglichst großer, unstrukturierter Daten(müll)haufen beim Forschungsdatenzentrum Gesundheit gefordert? Die Details sind bislang unklar. Immerhin stehen die Spezifikationen der sogenannten Sicherheitsarchitektur für die elektronische Patientenakte jetzt zur Kommentierung bereit. Dank dieser neuen Architektur sollen Interessierte auf unverschlüsselt in "Vertrauenswürdigen Ausführungsumgebungen" herumliegende Daten zugreifen können. Irgendwie passt das nicht so recht zu Lauterbachs Vision von "supersicherer Verschlüsselung" und dem "modernsten Digitalsystem". Aber vielleicht halluziniert er ja genauso wie die Künstliche Intelligenz, von der er immer schwärmt: Epic und Microsoft sollen bei der elektronischen Patientenakte nämlich eine größere Rolle spielen, so wünscht es sich der von "nicht hackbaren" Daten in einer perfekten Welt träumende Minister.

Bis das letzte Wort bei den dafür notwendigen Spezifikationen gesprochen ist, geht auch nochmal Zeit ins Land, ebenso bis zum Beginn der (Um-)Bauarbeiten. Der Ablauf ist bekannt: ein Baustopp hier, ein Baustopp dort – also keine Sorge, das wird sowieso (erstmal) nichts.

Ansichten zur elektronischen Patientenakte und Gesundheitsdaten

heise online hat mit Experten über den Fortschritt der Digitalisierung im Gesundheitswesen gesprochen.

(mack)