Missing Link: Virtueller Tatort in der CAVE des LKA Baden-Württemberg

Seite 3: Die Technik der CAVE

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Ein Ganzkörper-Scanner erstellt digitale Abbilder von Personen oder großen Objekten.

(Bild: LKA BW)

Schotte hat in den vergangenen Jahren die CAVE am LKA BW aufgebaut. Drei Projektoren hängen an der Decke und projizieren ihre Bilder auf Projektionswände, die je eine Ebene darstellen: Seite, Rückseite, Boden. Die Projektionswände für die Seiten sind aus Acrylglas und sehr dünn, denn die Projektoren befinden sich hinter ihnen, damit Besucher der CAVE keine Schatten werfen. Neben dem sogenannten Master-Rechner, vor dem Wolfgang Schotte sitzt, gibt es einen Rechner pro Projektor und einen Tracking-PC. Der sorgt dafür, dass der Besucher in der CAVE immer die korrekten perspektivischen Sichten auf den virtuellen Tatort projiziert bekommt, egal in welcher Haltung und Position.

Die Stuttgarter nutzen zwei unterschiedlichen Brillen: Eine einfache wie im Kino, mit der man in der Gruppe arbeitet. Und eine andere mit je drei kleinen Antennen links und rechts, die von drei Infrarot-Kameras getrackt werden. Darauf reagiert der Tracking-PC: Er rechnet aus, wo der CAVE-Besucher sich gerade aufhält, und schickt ihm sozusagen die passenden Bilder durch die Brille. Es gibt auch eine getrackte 3D-Maus, mit der man einen blauen Zeigestrahl steuert; der Rechner unterscheidet, ob es sich um das Target der Brille, der 3D-Maus oder ein anderes Objekt handelt.

Hinter der Anlage steht – und lärmt – der Render-Cluster, ein schulterhoher schwarzer Kasten mit einem Master- und drei Renderknoten mit je zwei Grafikkarten für einen Projektor, erklärt Schotte: Ein Laserscanner erzeugt sehr große Mengen an Daten, "die sind dann schnell mehrere Gigabytes groß und es stellt für so manche Grafikkarte eine Herausforderung dar, diese Daten schnell genug zu rendern."

Das Render-Cluster ist mobil, "wir haben eine Leinwand in gleicher Größe als mobiles System, eine Projektionsfolie, die auf Alugestell gezogen wird, sowie einen extra Projektor", sagt Schotte. Das System können wir auf Wunsch beispielsweise bei Gericht oder den Polizeipräsidien aufbauen. Es hat sich aber als praktisch herausgestellt, zu Fallbesprechungen ins Haus einzuladen."

Das Team nutzt COVISE (Collaborative Visualization and Simulation Environment) als Softwareumgebung und OpenCOVER (Open COVISE Virtual Environment) als COVISE-VR-Renderer. Die Software ist Open Source, man kann sie beliebig erweitern. "Diese Arten von Messdaten mit dem Laserscanner sind nicht einfach zu visualisieren", sagt Schotte: "Punktwolken erfordern andere Rendertechniken als übliche Polygonnetze wie zum Beispiel in Computerspielen. Das ist für die Anwendung in der VR nur mit einer guten Hardware möglich."

Auch im Einsatz: Eine handelsübliche VR-Brille.

(Bild: LKA BW)

"Die Daten kommen als Messdaten direkt aus dem Laserscanner und werden zunächst nur minimal aufbereitet", ergänzt Staiger. "Diese Messdaten stellen die unverfälschte Originalszenerie dar und sind somit auch gerichtsverwertbar. Die interaktive Visualisierung dieser Messdaten ist ein Mehrwert für uns." Im Laufe der Ermittlungsarbeit kommen fortlaufend weitere Informationen hinzu, die entsprechend aufbereitet und in den virtuellen Tatort eingefügt werden. Diese Informationen stehen dann ihrerseits den Ermittlern in der Visualisierung des gesamten Tatorts zur Verfügung.

Die Möglichkeiten und Anwendungen werden ständig weiterentwickelt, erklärt Schotte, so zum Beispiel durch ein Plugin für die Blutspurenmusteranalyse, "ein Forschungsergebnis des Netherlands Forensic Institute. Der damalige Promotionsstudent Nick Laan hat in seiner Dissertation ein mathematisches Modell erarbeitet, das unter Berücksichtigung wichtiger Parameter die Flugbahn von Bluttropfen besser rekonstruieren lässt

Eine andere Erweiterung ist das Schussbahn-Plugin. Die Arbeit der Schusswaffensachverständigen am Tatort kann nun auch im Virtuellen fortgeführt werden, Schussbahnen lassen sich hiermit auch virtuell einfügen: Hat man etwa ein Loch im Fenster und eine Kugel in der Wand, verknüpft man diese beiden Punkte. Auch hier braucht es Mathematik und Physik, denn eine Schussbahn verläuft nicht gerade, sondern wird unter anderem durch Gravitation, Wind und Wetter beeinflusst. In der VR lässt sich eine wahrscheinliche Flugbahn nun unter Berücksichtigung dieser Parameter modellieren und darstellen, erklärt Wolfgang Schotte, "mit ergänzender Darstellung der Umgebung kann ich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit annehmen, wo der Schuss herkommt."

Bezahlt wurde die CAVE von der baden-württembergischen Automobilindustrie. Allerdings nicht ganz freiwillig: In Baden-Württemberg erhält die Polizei auf Grundlage eines Ministerratsbeschlusses im Jahr 2000 ab einem bestimmten Schwellenwert Anteile aus abgeschöpften Vermögensgewinnen. Dabei geht es in der Regel um ein- oder zweistellige Millionenbeträge. Der Diesel-Skandal der Automobilindustrie bescherte der Landeskasse 2019 einen warmen Geldregen. Knapp 1,5 Milliarden Euro flossen in die Kassen, darunter Strafzahlungen von Bosch, Daimler und Porsche. Davon landeten knapp 11 Millionen Euro bei der Polizei.

So eine CAVE ist nicht billig. "Insgesamt haben wir im KTI 4,5 Millionen aus Geldern der Vermögensabschöpfung bekommen", sagt Knapp. "Alles, was sie in dem Raum sehen: Da liegen wir bei rund einer Million", sagt Knapp.

Eine Investition, die sich lohnt: "Seit wir die Vermessungstechnik etabliert haben, sind wir nahezu bei jedem großen Kapitalfall in Baden-Württemberg dabei, vermessen ihn und bereiten ihn auf. Für komplexe Fragestellungen und das Zusammenwirken der Sachgebiete steht uns nun seit Ende 2021 eine neue Art der interaktiven Visualisierung von 3D-Vermessungs- und Spurendaten zur Verfügung", sagt Knapp. "Der Mehrwert ist einfach der, dass ich im Verfahren effizienter bin."

(vbr)