Sichelzellkrankheit: Wie Forscher die richtige DNA-Stelle zur Heilung fanden

Seite 2: Start-ups und die CRISPR-Therapie

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Drei Unternehmen – Editas, Intellia und CRISPR Therapeutics – erhielten um 2014 herum viel Unterstützung von Risikokapitalgebern. Für diese Start-ups schien allein der Gedanke, das Genom von Menschen zu verändern, radikal genug. "Ich habe gesagt: Lasst uns nicht die Probleme der Welt lösen. Lasst uns vereinfachen. Lasst uns fragen, was uns die Humangenetik lehrt, dass wir die Krankheit heilen können, wenn wir sie verändern", erinnert sich Lundberg an seine Treffen mit den Unternehmensgründern. "Und so kamen 50 Jahre Forschung über fötales Hämoglobin ins Spiel".

Die Sichelzellenanämie war ein attraktives Ziel. Sie ist die häufigste schwere genetische Erbkrankheit in den USA. Außerdem können die Stammzellen, aus denen die roten und weißen Blutkörperchen gebildet werden, aus dem Körper einer Person entnommen und dann per Knochenmarktransplantation wieder eingesetzt werden. Auf diese Weise wäre es nicht mehr notwendig, komplexe Technologien einzusetzen, um eine Therapie in den Körper von Patienten zu bringen. Das Ganze könnte einfach in einem Labor durchgeführt werden.

Genau so funktioniert die Behandlung von Vertex. Patienten werden mit einer Filtermaschine Stammzellen aus dem Blut entnommen. Dann fügt man den Zellen das CRISPR-Schneideprotein mit einem elektrischen Stromstoß hinzu, damit es das BCL11A-Gen kaputt machen kann und damit die Produktion von fötalem Hämoglobin ankurbelt. Anschließend erhalten die Patienten die bearbeiteten Zellen über einen Tropf wieder zurück. Die Stammzellen vermehren sich und beginnen, fötales Hämoglobin zu produzieren – genau wie bei den Neugeborenen, von denen Watson feststellte, dass sie nicht krank waren.

Das ist alles machbar, aber für die Patienten ist es auch ein anstrengendes Unterfangen. Eine Knochenmarktransplantation ist mit einer Chemotherapie verbunden. Die Ärzte müssen das alte Blutsystem der Patienten zerstören, um Platz für die bearbeiteten Stammzellen zu schaffen. Die Patienten werden viele Wochen im Krankenhaus verbringen und können durch die Behandlung unfruchtbar werden. Es wird erwartet, dass sich nur Menschen mit den unerträglichsten Symptomen – vielleicht einer von zehn Sichelzellpatienten – für diese Behandlung entscheiden werden.

Trotzdem ist die Behandlung von Vertex ein großer Schritt und wir befinden uns jetzt in der Ära des kommerziellen Genom-Überschreibens. "Es ist ein riesiger Meilenstein in der Geschichte der Menschheit und ein wichtiges Sprungbrett für das, was in Zukunft möglich sein wird", sagt William Pao, ein ehemaliger Leiter der Arzneimittelentwicklung bei Pfizer. Er hat das Vertex-Medikament für ein geplantes Buch über die Zutaten medizinischer Durchbrüche untersucht.

"Jedes Medikament, das jemals zugelassen wird, muss einen optimalen Punkt erreichen, eine Schnittmenge aus wissenschaftlichem, technischem und klinischem Verständnis", sagt Pao. "Sobald man diese erstaunliche Erkenntnis hat, stürzen sich alle darauf." Das ist auch der Grund dafür, dass neue Medikamente meist in Gruppen auftreten: Es gibt nicht nur ein neues Antidepressivum, sondern plötzlich fünf.

Das gilt auch für die Sichelzellkrankheit. Derzeit befinden sich zwei weitere Gentherapien in der Testphase, eine von Editas Medicines und eine von Beam Therapeutics. Sie versuchen ebenfalls, die Produktion von fötalem Hämoglobin zu erhöhen. Noch im Dezember könnte die US-Zulassungsbehörde FDA zudem eine Gentherapie von BlueBird Bio genehmigen, bei der eine komplette neue Kopie des Hämoglobin-Gens hinzugefügt wird.

Pao zufolge erhalten die Entstehungsgeschichten von neuen Medikamenten nicht genug Aufmerksamkeit. Die Leute sehen gerne Filme darüber, wie Mark Zuckerberg die Idee für Facebook gestohlen hat, oder erfahren, wie Jony Ive das iPhone entwickelt hat. "Aber bei Medikamenten sind die Namen schwer auszusprechen, die meisten Menschen wollen keine Medikamente einnehmen, und die Entwicklung dauert Jahrzehnte", sagt er. "Es ist nicht wie eine App, die man in der Hand hat."

Bei der Sichelzellkrankheit begann der Weg von der Entdeckung der Ursache zur Heilung 1910, als ein US-Arzt zum ersten Mal unter dem Mikroskop beobachtete, dass die roten Blutkörperchen eines Mannes aus Westindien die Sichelform aufwiesen. Größere Bekanntheit in wissenschaftlichen Kreisen erlangte die Krankheit 1949, als der Chemiker Linus Pauling, der zwei Nobelpreise erhalten sollte, einen atomaren Ladungsunterschied zwischen normalem und gesicheltem Hämoglobin feststellte. Die Entdeckung veranlasste ihn dazu, die Sichelzellkrankheit als "erste molekulare Krankheit" zu bezeichnen und den Beginn eines neuen Zeitalters der "wissenschaftlichen" Medizin auszurufen.

Auf der Suche nach einem Heilmittel kamen die Forscher immer wieder auf Watsons Beobachtung über fötales Hämoglobin zurück. Sie fanden heraus, dass jeder von uns eine kleine Menge der fötalen Version bildet: etwa ein Prozent unseres gesamten Hämoglobins, wobei die Menge von Mensch zu Mensch variieren kann. Anhand dieser Schwankungen konnten die Forscher die Auswirkungen des Hämoglobins bei Erwachsenen untersuchen, fast so, als ob es sich um ein Medikament handeln würde, das sie einnehmen. In den neunziger Jahren hatten Ärzte Sichelzellpatienten lange genug beobachtet, um festzustellen, dass sie umso länger lebten, je mehr fetales Hämoglobin sie hatten.

Die Frage war nur: Wie lässt sich die Produktion von fetalem Hämoglobin bei Erwachsenen ankurbeln? Es ist bekannt, dass fast alle Wirbeltiere vor der Geburt fötale Versionen von Hämoglobin produzieren. Wissenschaftler gehen davon aus, dass es sich dabei um eine evolutionäre Anpassung handelt, um mehr Sauerstoff aus der Plazenta zu gewinnen. Doch obwohl die Hämoglobin-Gene bereits in den Achtzigerjahren gefunden und sequenziert worden waren, wussten die Forscher immer noch nicht, was die Ursache für den Produktionswechsel vom Fötus zum Erwachsenen ist.

Die Lösung brachte eine neue Gentechnologie. Nach Abschluss des Humangenomprojekts hatten die Forscher begonnen, grobe genetische Karten für Tausende von Menschen zu erstellen. Auf diese Weise konnten sie kleine DNA-Unterschiede zwischen Menschen mit messbaren Unterschieden in ihrem Körper in Beziehung setzen: wie groß sie waren oder ob sie an bestimmten Krankheiten litten. Die neue Technik namens "genomweite Assoziation" war eine statistische Methode, die einflussreiche Genvarianten zählen konnte.

Die Assoziationstechnik führte ab 2007 zum Volltreffer bei der Sichelzellenanämie-Gensuche. So untersuchte etwa ein italienisches Team in einer Studie die DNA von Tausenden Amerikanern mit Sichelzellenanämie sowie von Sarden, von denen einige an einer anderen Hämoglobinstörung namens Beta-Thalassämie litten, die auf der Insel erschreckend häufig vorkommt. Als sie die Menge an fötalem Hämoglobin mit der DNA der Versuchspersonen verglichen, tauchten insbesondere in einem Gen immer wieder Abweichungen auf: BCL11A.

Das war eine völlige Überraschung. Es lag weit entfernt von den Hämoglobin-Sequenzen, nämlich auf einem ganz anderen Chromosom. Bis dahin war es vor allem für seine Verbindung zu einigen Krebsarten bekannt gewesen. "Kein noch so großer Blick auf die Sequenz hätte uns verraten, wonach wir suchen sollten", sagt Orkin. Aber das grelle Signal deutete darauf hin, dass es der Kontrollmechanismus sein könnte. Orkin veranschaulicht die Bedeutung dieses Hinweises gerne mit einem Zitat von Marcel Proust: "Die einzige wirkliche Entdeckungsreise besteht nicht darin, neue Landschaften zu suchen, sondern neue Augen zu haben."